Heute vor ... im April: Der Kampf um das Trinkgeld

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Schaffner auf der Straßenbahn müssen ab 1. Mai das Trinkgeld zurückweisen.

Neue Freie Presse am 30. April 1919

Von übermorgen an wird der Schaffner auf der Straßenbahn das Trinkgeld zurückweisen. So wurde heute im Stadtrat offiziell mitgeteilt. Damit wir aber in unserer umsturzreichen Zeit den Glauben an das Bleibende im Wiener Wechsel nicht vollkommen einbüßen, brauchen wir uns nur gleichzeitig der beruhigenden Beteuerung zu entsinnen, daß im Kaffeehaus, im Gasthaus nach wie vor Trinkgelder gegeben und genommen werden dürfen. In Wien, das längst keine Stadt der Lieder mehr ist, aber dafür auf die Bezeichnung einer Stadt der Trinkgelder den Anspruch niemals verloren hat, ist man zu allen Zeiten dem Kampf gegen das Trinkgeld kühl bis ans Herz hinan gegenübergestanden. Die Angst, am Ende gar für einen Schmutzian gehalten zu werden, ist just in jenen Schichten der Bevölkerung am stärksten entwickelt, die auf die vielfarbigen Einkaufsscheine für Minder-, sogar für Mindestbemittelte Anspruch erheben dürfen. Darum wird der mannhafte Entschluß der trinkgeldfeindlichen Schaffner und Schaffnerinnen vielfach nicht mit dem verdienten Enthusiasmus, sondern eher mit einem lachenden Achselzucken vernommen werden.

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