Wieso erfolgreiche Klimaklagen vereinzelt sind

Marjan Minnesma führt das niederländische Klagsbündnis Urgenda an, hier umringt von Unterstützern im Vorfeld einer Gerichtsverhandlung in Den Haag.
Marjan Minnesma führt das niederländische Klagsbündnis Urgenda an, hier umringt von Unterstützern im Vorfeld einer Gerichtsverhandlung in Den Haag.(c) APA/AFP/ANP/KOEN VAN WEEL (KOEN VAN WEEL)
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In den Niederlanden haben eine Umweltschutzorganisation und Bürger die weltweit erste Klimaklage betrieben, die bereits in zwei Instanzen erfolgreich war. Dabei hat die besondere Lage des Landes eine Rolle gespielt.

Wien. Nun wird es also auch in Österreich eine Klimaklage geben: Greenpeace Österreich hat angekündigt, im Herbst eine solche gegen die österreichische Bundesregierung einbringen zu wollen.

Was genau wird nun unter „Klimaklagen“ verstanden? Üblicherweise werden damit Klagen von Individuen gegen Regierungen gemeint. Aktuell ist auch eine Klimaklage gegen Rat und Parlament der EU auf europaweit strengere Treibhausgasbeschränkungen eingebracht. Manchmal wird der Ausdruck auch auf Klagen gegen Unternehmen wie Öl- oder Energiekonzerne ausgeweitet.

Klagen gegen Regierungen bzw. die EU sollen Staaten dazu motivieren, ihre in völkerrechtlichen Verträgen, wie dem Kyoto-Protokoll oder dem Pariser Übereinkommen, vereinbarten Verpflichtungen zum Klimaschutz einzuhalten. Dies ist juristisch nicht einfach, da völkerrechtliche Verträge in der Regel keine subjektiven Rechte verleihen, also von Individuen nicht direkt eingeklagt werden können. Daher wird – formal betrachtet – bei Klimaklagen immer ein nationales Grund- oder Menschenrecht, wie das Recht auf Leben oder das Recht auf Eigentum, eingeklagt, dessen Schutzbereich nunmehr allerdings durch völkerrechtliche Klimaverträge näher definiert wird. So wird argumentiert, dass das Recht auf Leben von Staaten, welche nicht ausreichend gegen den Klimawandel agieren, nicht vollständig eingehalten wird. Durch diese Weiterinterpretation der nationalen Grundrechte durch internationales Klimaschutzrecht werden die Inhalte des Klimavölkerrechts vor nationalen Gerichten überprüfbar.

Höchstgericht noch am Wort

In den Niederlanden haben sich eine Umweltschutzorganisation und einzelne Bürger zu einer Klimaklage zusammengefunden und damit erste Erfolge erzielt: „Urgenda gegen die Niederlande“ ist die weltweit erste Klage, in der ein Gericht eine nationale Regierung zu strengeren Klimaschutzzielen verurteilte. Mittlerweile ist die Entscheidung auch in zweiter Instanz bestätigt worden, aktuell ist das Verfahren beim Höchstgericht anhängig. Der zuständige Gerichtshof bestätigte, dass sich die klagenden Parteien direkt auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Niederlande im Rahmen des Pariser Abkommens berufen können, obwohl dieses keine subjektiv einklagbaren Rechte zur Verfügung stellt. Zudem fasst der Gerichtshof mit der Beurteilung darüber, ob die Regierung genug für den Klimaschutz im Sinne der völkerrechtlichen Verpflichtungen getan hat, die gerichtlichen Zuständigkeiten sehr weit auf.

Das Gleiche wurde dem Bundesverwaltungsgericht vorgeworfen, als er die Genehmigungsfähigkeit der dritten Piste des Flughafens Wien verneint hatte. Auch hier hatte das Gericht mit der Notwendigkeit der Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen zum Klimaschutz argumentiert, welche dem Vorhaben entgegenstünden. Allerdings verpflichtet die niederländische Verfassung die Regierung ausdrücklich, das Land bewohnbar zu erhalten. Das ist durch die besonders exponierte Lage einiger Landesteile unter dem Meeresspiegel zu erklären und findet sich so nicht in der österreichischen Verfassung.

Andere Argumente in Klimaklagen erscheinen leichter auf die österreichische Rechtslage übertragbar. So argumentieren die Kläger der deutschen Klimaklage, dass es ihnen verunmöglicht wird, weiter ihre Landwirtschaften zu betreiben; erhöhte Temperaturen würden verhindern, gewinnbringend Feldfrüchte anzubauen. Ähnliches wird auch in der Klage gegen das EU-Parlament und den Rat auf verstärkten Klimaschutz in der EU vorgebracht.

Schweizer Seniorinnen klagen

In der Schweiz wiederum beruft sich eine Gruppe von Seniorinnen darauf, dass ihr Leben durch die steigenden Temperaturen stark bedroht wird, da die Sterblichkeit älterer Personen durch Hitzeperioden nachweislich überdurchschnittlich ansteigt.

Zusätzlich zur Bedrohung von Grund- und Menschenrechten wird in allen Klimaklagen argumentiert, dass die Regierungen zu wenig täten, um das im Pariser Übereinkommen vorgesehene Ergebnis eines Temperaturanstiegs unter zwei Grad Celsius zu erreichen. Ein wichtiges Argument mancher Klimaklagen ist auch, dass Zwischenergebnisse im Kampf gegen den Klimawandel wichtig sind und Staaten nicht ständig darauf verweisen können, dass sie in den kommenden Jahren verstärkt in Klimaschutz investieren werden. Besonders hervorgehoben wird dies in der deutschen Klimaklage, welche auch von einigen sehr jungen Personen eingebracht wurde. Diese argumentieren, dass ihre wirtschaftliche Zukunft stark eingeschränkt wird: Die in einigen Jahren unzweifelhaft notwendigen viel umfassenderen Beschränkungen aus Klimaschutzgründen würden sie auch wirtschaftlich überproportional treffen, weshalb der Staat schon jetzt adäquat auf den Klimawandel reagieren müsse. Argumentativ wird dafür das EU-rechtliche Vorsorgeprinzip herangezogen und eine Umkehr der Beweislast vorgenommen: So Regierungen ernsthaft vermeinen, die völkerrechtlichen Klimaziele noch erreichen zu können (und deshalb noch keine umfassenden Maßnahmen setzen), müssen sie überzeugend und detailliert darlegen, wie genau die internationalen Verpflichtungen erreicht werden sollen.

Die deutsche Verfassung schreibt eine spezielle Verantwortung des Staates für künftige Generationen fest. In Österreich findet sich diesbezüglich das Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung: Demnach bekennt sich die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) zum Prinzip der Nachhaltigkeit bei der Nutzung der natürlichen Ressourcen, um auch zukünftigen Generationen bestmögliche Lebensbedingungen zu gewährleisten. Ob der Verfassungsgerichtshof diese Formulierung als konkreten Schutz künftiger Generationen vor Klimaerwärmung bzw. Einschränkungen durch verstärkten Klimaschutz interpretieren wird, bleibt abzuwarten.

Erderwärmung trifft alle

Weitere Klimaklagen sind z. B. in Belgien, Irland und Norwegen eingebracht, bis jetzt ist die niederländische aber die einzige, die in zwei Instanzen erfolgreich war. Jedenfalls dienen diese Klagen einer verstärkten Bewusstseinsbildung, indem sie die oft als sehr allgemein klassifizierte Bedrohung durch den Klimawandel konkret mit der Verletzung von Grund- und Menschenrechten verbinden und damit die Bedrohungen der Erderwärmung auch für die Rechte Einzelner aufzeigen.


Mag. Dr. Karin Hiltgartner, E.MA ist Planungs- und Umweltjuristin am Institut für Raumplanung der TU Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2019)

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