UVP-Gesetz: Neuer Rechtsschutz für Nachbarn verfehlt sein Ziel

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Ohne frühe Beteiligung als Partei kann man ein Beschwerderecht kaum nutzen.

Wien. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verbesserung des Rechtsschutzes der Nachbarn bei Großprojekten dürfte ihr Ziel verfehlt haben. Die Position der Anrainer sollte gestärkt werden, wenn zu entscheiden ist, ob für ein Projekt eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchgeführt werden muss. Was nun aber Gesetz geworden ist, droht für den Einzelnen weitgehend nutzlos zu sein.

Mit der UVP-Gesetz-Novelle 2016 können Nachbarn zukünftig eine Beschwerde gegen UVP-Feststellungsbescheide beim Bundesverwaltungsgericht erheben. Der Gesetzgeber reagiert damit auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gruber (C-570/13). Karoline Gruber war die Nachbarin einer Liegenschaft in Klagenfurt, auf der ein Einkaufszentrum errichtet werden sollte. Der EuGH hat kritisiert, dass Nachbarn keine ausreichende Möglichkeit hätten, UVP-Feststellungsbescheide überprüfen zu lassen; die österreichische Rechtslage widerspreche damit dem Unionsrecht.

Konzentriertes Verfahren

UVP-Feststellungsverfahren sind im Vorfeld von UVP-Verfahren von zentraler Bedeutung. In ihnen wird entschieden, ob ein Vorhaben einem Genehmigungsverfahren nach dem UVP-Gesetz zu unterziehen ist. Ist ein Vorhaben UVP-pflichtig, muss nicht bloß diese umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden; es tritt auch die jeweilige Landesregierung als UVP-Behörde grundsätzlich an die Stelle der sonst zuständigen Behörden, etwa der Bezirkshauptmannschaft (bei gewerberechtlichen Betriebsanlagen). Das Verfahren wird konzentriert, sodass daneben keine Genehmigungen erteilt werden dürfen. Geschieht dies trotzdem, können sie innerhalb von drei Jahren für nichtig erklärt werden. Die bescheidmäßige Feststellung, ob ein Projekt UVP-pflichtig ist, hat also nicht nur für Projektwerber, sondern auch für Nachbarn enorme Konsequenzen.

Mit der Novelle könnte das UVP-Gesetz nun zwar „Gruber-konform“ ausgestaltet worden sein; der Gesetzgeber hat aufgrund der gewählten Minimallösung aber verfassungsrechtlichen und grundrechtlichen Weitblick vermissen lassen, was sich bald rächen könnte.

In der österreichischen Verwaltungstradition fallen die Rechte, a) sich an einem erstinstanzlichen Verfahren als Partei umfassend zu beteiligen und b) die in diesem Verfahren getroffene Entscheidung mittels Rechtsmittel auch überprüfen lassen zu können, grundsätzlich zusammen. Bei Formalparteien, etwa Umweltorganisationen etc., kann zwar etwas anderes gelten, nicht aber bei von einem UVP-Projekt betroffenen Nachbarn.

In diesem Auseinanderfallen von Parteistellung und Beschwerderecht könnte bereits für sich genommen eine Verfassungswidrigkeit erkannt werden. Jedenfalls braucht es im Sinn des Art. 7 B-VG (Gleichheitssatz) aber zumindest einen guten Grund dafür, dass Nachbarn nicht schon von Anfang an verfahrensbeteiligt sein sollten. Dies gilt umso mehr, weil es fraglich werden könnte, ob ein faires Beschwerdeverfahren gemäß Art. 6 EMRK in dieser Form überhaupt möglich ist.

Die am erstinstanzlichen Verfahren beteiligten Parteien und die UVP-Behörde haben über Monate hinweg Zeit, sich mit dem Projekt vertraut zu machen. Projektmodifikationen können noch relativ unkompliziert vorgenommen werden; der Verfahrensablauf ist insgesamt noch beeinflussbar. Die Entscheidungsfrist im Feststellungsverfahren beträgt an sich zwar sechs Wochen, diese Frist ist gerade bei komplizierteren Feststellungsverfahren aber praktisch kaum einhaltbar.

Großer Wissensrückstand

Der betroffene Nachbar muss dagegen innerhalb der Frist von vier Wochen den gegebenen Wissensrückstand aufholen, hatte keine Möglichkeit, den bisherigen Verfahrenshergang zu beeinflussen, und muss dann auch noch sein Anliegen in die rechtliche Form einer Beschwerde gießen. Ist das fair?

Realistisch gesehen wird einem solchen Nachbarn die Möglichkeit genommen, maßgeblich an der Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken. Obwohl im Beschwerdeverfahren neue Tatsachen vorgebracht werden können, ist dieses dennoch bloß ein Kontrollverfahren. Eine über das Beschwerdevorbringen hinausgehende Sachverhaltsermittlung findet nicht mehr statt, was den Nachbarn auch in rechtlicher Hinsicht in seiner effizienten Rechtsverfolgung behindert.

Die Wirtschaft fordert in erster Linie schnelle, kostengünstige und rechtsbeständige Entscheidungen. Mit der vom Gesetzgeber gewählten Lösung wird dieser Forderung – unnötigerweise – nicht entsprochen. Eine Beteiligung von Nachbarn von Anfang an führt nicht zwangsläufig zu Verfahrensverzögerungen. Im Gegenteil: Nachbarn können durch eine Mitwirkung am erstinstanzlichen Verfahren ihr Anbringen frühzeitig vortragen, fühlen sich dadurch ernst genommen – was bereits für sich zur Konfliktbereinigung beitragen kann. Und der Projektwerber kann darauf noch relativ flexibel reagieren. Wird der Nachbar dagegen vor vollendete Tatsachen gestellt, die er bloß überprüfen kann, wird er grundsätzlich misstrauischer sein. Eine mögliche Konfliktbewältigung ist erschwert.

Nachbarn werden daher wohl mit gutem Grund auch die UVP-Novelle 2016 von den Höchstgerichten überprüfen lassen, um jene Mitwirkungsrechte einzufordern, die ihnen der Gesetzgeber offenbar nicht zugestehen will. Projektwerber ihrerseits haben sich auf neuerliche Rechtsunsicherheiten bei Projektrealisierung einzustellen. Die Novelle ist daher weder nachbar- noch wirtschaftsfreundlich.


Dr. Helmut Kinczel ist Rechtsanwalt bei FWP-Rechtsanwälte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.02.2016)

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