Holzinger: „Staatliche Wahrheitsbehörde ist apokalyptisch“

Holzinger: „Legitim zu sagen, dass größere Parlamentsmehrheiten für die Nominierung von Höchstrichtern zweckmäßig wären.“
Holzinger: „Legitim zu sagen, dass größere Parlamentsmehrheiten für die Nominierung von Höchstrichtern zweckmäßig wären.“(c) Stanislav Jenis
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Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs über die Wahlaufhebung, den schweren Stand des Rechtsstaats und über alternative Wege der Höchstrichterbestellung. Ein Verbot von Fake News lehnt er strikt ab.

Die Presse: Die Aufhebung der Stichwahl ist auf breites Unverständnis gestoßen. Sehen Sie die Gefahr, dass die Entscheidung trotz der Absicht, die Rechtsstaatlichkeit zu fördern, den Rechtsstaat in den Augen der Öffentlichkeit geschwächt haben könnte?

Gerhart Holzinger: Das glaube ich nicht. Die Entscheidung wurde ja gerade zu dem Zweck erlassen und auch so formuliert, um den Rechtsstaat zu stärken. Kern des demokratischen Rechtsstaats ist, dass die Verwaltung nur aufgrund der Gesetze handeln darf. Bei der Entscheidung ging es schlicht darum, dass massenhaft die Gesetze, die das Parlament für die Durchführung der Wahlen erließ, nicht beachtet wurden. Darauf reagierten wir so, wie es die Verfassung vorsieht, und der Wähler konnte ein zweites Mal wählen.

Aber ist das auch so angekommen? Es gab doch die weitverbreitete Meinung, hier sei man aus einem Formalismus heraus um eine bereits gefällte Wahlentscheidung gebracht worden.

Mit dem Vorwurf des Formalismus muss sich das Recht immer auseinandersetzen. Aber im Kern geht es darum, dass die vom Volk gewählten Abgeordneten Gesetze erlassen haben, die verhindern sollen, dass Wahlen manipuliert werden.


Wieso ist die Entscheidung dann so stark kritisiert worden?

Die rechtsstaatliche Sichtweise der Entscheidung differiert von der Sichtweise derer, die Interessen haben, etwa an einem bestimmten Ausgang der Wahlen. Ein Gericht wird nie eine Entscheidung treffen, die alle Interessen in gleicher Weise befriedigt – das ist das Wesen des Rechts. Und diejenigen, die sich in ihren Erwartungen enttäuscht sehen, attackieren dann die Entscheidung. Wobei in diesem Fall die Situation besonders paradox ist: Denn der Rechtsstreit, den wir entschieden haben, ist ein Streit zwischen dem zustellungsbevollmächtigten Vertreter des Kandidaten Norbert Hofer und der Bundeswahlbehörde gewesen, also zwischen einem Einzelnen und einer Behörde! Nur in ihren Auswirkungen hat die Entscheidung andere betroffen.

Warum ist die Entscheidung nicht verstanden worden?

Sie ist nicht verstanden worden, weil man sie nicht verstehen wollte. Es ist ein wesentliches Element der verfassungsrichterlichen Ethik, zwischen der eigenen Erwartungshaltung als Mensch und Staatsbürger und dem, was die Verfassung oder das Gesetz vorsieht, zu unterscheiden. Andere Menschen trennen das nicht in dieser Weise und verwerfen etwas, was ihre Kreise und ihre Interessen stört.

Ist der Respekt vor dem Recht in Österreich groß genug?

Die Reaktionen auf das Erkenntnis zur Aufhebung der Bundespräsidentenwahl werfen kein gutes Licht auf das Rechtsstaatsverständnis. Es ist klar, dass der Rechtsstaat etwas Schwieriges ist. Der Rechtsstaat teilt das Schicksal der Demokratie. Es ist oft zu bemerken, dass Menschen, die in Sonntagsreden die Demokratie abfeiern, diese dann verdammen, wenn das Ergebnis demokratischer Entscheidungen nicht ihren Vorstellungen entspricht. Der Rechtsstaat ist diesbezüglich noch mehr bedroht, weil er etwas noch Abstrakteres ist.

Wie könnte er besser verständlich gemacht werden?

Ende dieses Jahres werden es 45 Jahre, dass ich mich mit Verfassungsrecht beschäftige. Ich habe immer versucht, die Verfassung und ihre Grundsätze möglichst vielen Menschen zu vermitteln. Aber letztlich ist dieses Bemühen immer unzulänglich. Wie Figura zeigt, gibt es da noch beträchtliche Informationslücken.

Wenn die Koalition dieses Jahr übersteht, wird sie Ihren Nachfolger und wohl auch zwei neue Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs bestimmen. Sie bestimmt zu 100 Prozent über dessen Zusammensetzung, während ihr Rückhalt in der Bevölkerung eher in Richtung 50 Prozent tendiert. Ist das in Ordnung?

Es kommt darauf an, dass die Menschen, die in diesem Gerichtshof sitzen, sowohl was ihre juristische Qualifikation als auch ihr Berufsverständnis vom Amt des Verfassungsrichters anbelangt, höchst qualifiziert sind. In den Jahren seit 2008, in denen ich Präsident bin, sind immer exzellente Richterinnen und Richter bestellt worden, und es ist mehr als die Hälfte der Mitglieder wegen Erreichens der Altersgrenze neu ernannt worden. Die Bestellung der Mitglieder von Höchstgerichten ist in allen Ländern so geregelt, dass oberste Organe – Parlament, Regierung, Staatspräsident, Bundespräsident – das Ernennungsrecht haben. Dazu gibt es keine Alternative. Was sicher richtig ist: Wenn etwa im Parlament für eine Nominierung größere Mehrheiten als die einfache Mehrheit erforderlich sind, dann erhöht das die Legitimation der Mitglieder des Gerichtshofs. Man muss sich aber im Klaren sein: Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs sind keine Repräsentanten einer politischen Partei. Sie sind von jenen Kräften unabhängig, die sie in das Amt bestellt haben.


Eine Zweidrittelmehrheit für die Nominierung durch National- und Bundesrat wäre für Sie vorstellbar?

Es ist legitim zu sagen, dass es zweckmäßig wäre, in den parlamentarischen Gremien für eine Nominierung größere Mehrheiten zu verlangen. Ebenso legitim wäre es, einen höheren Anteil an Richtern vom Parlament bestellen zu lassen.

Trauen Sie der Regierung noch größere Reformen in dieser Legislaturperiode zu?

Ich habe mich immer wieder dazu geäußert, dass strukturelle Reformen im Staat notwendig wären. Dieser Auffassung bin ich nach wie vor. Bestärkt fühle ich mich dadurch, dass vieles von dem, was ich immer wieder gesagt habe, im Regierungsprogramm der amtierenden Regierung steht: insbesondere eine Neugestaltung des Bund-Länder-Verhältnisses, die Beseitigung von Doppelgleisigkeiten und Kompetenzüberschneidungen vor allem bei Gesundheit, Sozialem, Bildung, mit allen finanziellen Konsequenzen. Das stand auch in den Regierungsprogrammen der vorhergehenden Regierungen. Ich möchte keinerlei Spekulationen anstellen, wie weit es gelingen wird, innerhalb der nächsten gut eineinhalb Jahre etwas davon zu realisieren.

Warum geht so wenig weiter?

Es ist ein grundsätzliches politisches und gesellschaftliches Problem: In unserer Gesellschaft ist es offensichtlich sehr schwierig, Reformen durchzusetzen, deren Notwendigkeit eigentlich jeder, der sich mit den Dingen beschäftigt, für völlig zutreffend hält. Die Gesellschaft und unsere Mechanismen sind nicht in der Lage, Reformen in einer Zeit zu setzen, in der sie nicht so notwendig sind, dass sonst alles zusammenbricht. Die Moral von der Geschicht': Wirkliche Strukturreformen sind offenkundig nur in Zeiten äußerster Not möglich. Insofern ist es auch unfair, das immer wieder den Regierenden vorzuwerfen, weil auch die Regierten Widerstand gegen Reformen leisten. Das Risiko, dass sich, wie in der Steiermark, zwei große Parteien zu einer Reformpartnerschaft zusammenschließen und dafür abgestraft werden, geht leider kaum jemand mehr ein.


Haben Sie im letzten Jahr als Präsident ein besonderes Ziel?

Ich habe mich darum bemüht, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen den Gerichtshof in verschiedener Hinsicht neu zu gestalten. Das Haus, in dem wir sitzen, ist eines dieser Projekte gewesen, wir haben den elektronischen Akt eingeführt, wir haben den Außenauftritt des Gerichtshofs verbessert. Es sind neue Aufgaben und eine große Anzahl von Asylfällen hinzugekommen. Mir geht es jetzt darum, meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger ein wohlbestalltes Haus zu übergeben. Ich möchte auch über die Kommunikation hauptsächlich über die Medien, aber auch direkt über die Teilnahme an sozialen Medien, den Verfassungsgerichtshof etwas näher an die Menschen heranbringen. Dieses Gericht ist das älteste Verfassungsgericht der Welt, und seit 1920 haben mehr als 100 Staaten nach diesem Vorbild Verfassungsgerichte eingerichtet. Sie haben eingesehen, dass es offenbar zweckmäßig ist, bestimmte politische Streitigkeiten gerichtsförmig austragen zu lassen, um den Rechtsstaat und die Demokratie zu stabilisieren. Diesen Gedanken den Menschen näherzubringen habe ich in den vergangenen zehn Jahren immer als eine wichtige Aufgabe betrachtet.

Ein Multiorganversagen hat zum Hypo-Debakel geführt, das die Steuerzahler Milliarden kostet; politisch und rechtlich scheint kaum jemand dafür verantwortlich zu sein. Ist das akzeptabel?

Meine Meinung als Staatsbürger möchte ich nicht kundtun. Der Verfassungsgerichtshof ist aber einmal damit befasst worden. Er hat signalisiert, dass der Gesetzgeber es sich nicht so einfach machen kann, dass er bestimmte Gläubiger gleichheitswidrig behandelt. Was die politische Verantwortlichkeit anlangt, hat es einen Untersuchungsausschuss im Nationalrat gegeben. Ob man mit der Vorgangsweise und dem Ergebnis zufrieden ist oder nicht, ist eine Frage, die jeder Staatsbürger für sich beantworten muss: Demokratie beruht auf dem Prinzip, dass es periodische Wahlen gibt und die Bürgerinnen und Bürger nach jeweils fünf Jahren die Möglichkeit haben, die Mehrheitsverhältnisse zu ändern.


Es wird diskutiert, Fake News, falsche Nachrichten, die im Internet verbreitet werden, zu verbieten. Was halten Sie davon?

Da mahne ich sehr zur Vorsicht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der Verfassungsgerichtshof und viele andere Verfassungsgerichte qualifizieren die Freiheit der Meinungsäußerung als ein Wesenselement einer freien Gesellschaft. Aus dieser Freiheit ist abzuleiten, dass auch Meinungen, die für den Staat oder für Teile der Bevölkerung verletzend, schockierend oder beunruhigend sind oder Positionen, die falsch sind, von diesem Schutz umfasst sind. Dieses hohe Gut sollte man nicht infrage stellen. Wenn es irgendwo Erscheinungsformen gibt, die einer strafrechtlichen Sanktionierung bedürfen, wird man die Strafgesetze entsprechend ändern müssen. Aber eine staatliche Wahrheitsbehörde: Das ist apokalyptisch.

Zur Person

Gerhart Holzinger, 1947 in Gmunden (OÖ) geboren, hat in Salzburg Jus studiert. Er begann seine Karriere als Universitätsassistent in Salzburg und wechselte 1975 für 20 Jahre in den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts. Ab 1984 war er dessen Leiter. 1997 habilitierte er sich an der Uni Graz, deren Lehrbeauftragter er seit 1998 ist. Holzinger ist seit 1995 Mitglied des Verfassungsgerichtshofs und seit 1. Mai 2008 dessen Präsident.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2017)

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