Umwelt

Bürgerbeteiligung: Nachholbedarf im geschriebenen Recht

Die Wasserentnahme für Schneekanonen aus einem Fluss war Anlass des Streits, der jetzt vor dem EuGH liegt.
Die Wasserentnahme für Schneekanonen aus einem Fluss war Anlass des Streits, der jetzt vor dem EuGH liegt.(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Diese Woche entscheidet der EuGH zu einem österreichischen Streit Umweltschützer gegen Behörde. Seine Linie ist klar erkennbar.

Wien/Linz. Für übermorgen, Mittwoch, wird ein wegweisendes Urteil des Gerichtshofs der EU (EuGH) erwartet. Es betrifft die Rechtssache C-664/15 (Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltschutzorganisation gegen Bezirkshauptmannschaft Gmünd) und wird präjudizieren, inwiefern Umweltschutz-NGOs im wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren ein Recht auf Überprüfung der Entscheidung selbst dann zusteht, wenn diese im Bewilligungsverfahren keine Parteistellung hatten. Das ist außerhalb des UVP-Verfahrens in Österreich der Regelfall.

Inhaltlich geht es um die Umsetzung eines völkerrechtlichen Übereinkommens, nämlich der sog. Aarhus-Konvention. Dieses Übereinkommen der Wirtschaftskommission für Europa (Unece) über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten wurde sowohl von Österreich als auch der EU im Jahr 2005 ratifiziert. Damit ist Österreich verpflichtet, im Rahmen seines Umweltrechtsvollzugs einschlägige EU-Rechtsakte und nationales Recht im Lichte eines – so gebietet es die Aarhus-Konvention – umfassenden Öffentlichkeits-Beteiligungsmodells und im Sinne eines weiten Rechts auf Gerichtszugang (Access to justice) für Betroffene und NGOs zu interpretieren.

Das würde in der seitens der NGO „Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz“ anhängig gemachten Causa nun auch das Wasserrechtsverfahren betreffen. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat das Verfahren zur Vorabentscheidung dem EuGH vorgelegt. Davor hat der EuGH bereits in den Urteilen C-240/09 („Slowakischer Braunbär I“), C-115/09 („Trianel“), C-137/14 (Kom gg Deutschland) und C-243/15 („Lesoochranárske zoskupenie VLK“) eine Erweiterung des Access to justice zugunsten von NGOs eingemahnt. Bis dato fehlt eine Umsetzung ins österreichische Recht, sodass die nunmehr als gefestigt anzusehende EuGH-Judikatur direkt im Rahmen der nach den Naturschutzgesetzen der Länder durchzuführenden Naturverträglichkeitsprüfung anzuwenden ist. Ein Mahnverfahren der Kommission (Nr. 2014/4111) gegen Österreich aus dem Jahr 2014 reklamiert ferner das Luftgüte-, Abfall- und Wasserrecht als anpassungsbedürftig.

Beschwerderecht für Fischer

Jüngst hat der EuGH im Urteil „Folk“ (C-529/15) in österreichischen Umwelthaftungsverfahren eine Erweiterung der Aktivlegitimation im Rahmen der Umweltbeschwerde zugunsten des Fischereiberechtigten zuerkannt, obwohl das österreichische Umsetzungsgesetz (B-UHG) diesem nicht das Recht zugesteht, bei behördlicher Untätigkeit ein Handeln einzumahnen. Der EuGH stützte sich auf die Betroffenheit des Einzelnen.

Auch in der einschlägigen Mitteilung (KOM [2017] 2616 final) wird jeder Person, die im Recht auf Gesundheit, Eigentum oder einem speziell eingeräumten Umweltnutzungsrecht durch ein umweltrelevantes Verfahren betroffen ist, das Recht auf Zugang zu Gericht zugesprochen. Das geschriebene Recht in Österreich, insbesondere das Immissionsschutzgesetz-Luft, die Naturschutzgesetze der Länder, das Umwelthaftungsrecht und wohl auch das Wasserrecht, entspricht nicht mehr der vom EuGH geschaffenen und unmittelbar anzuwendenden Rechtslage.

Den für die Gesetzgebung verantwortlichen Ministerien und Landesregierungen ist diese Situation bekannt. Wegen der divergierenden Interessen wurde aber bislang noch keine Einigung zwischen den betroffenen Gruppen (NGOs, Wirtschaft, Landwirtschaft etc.) erzielt. Das ändert aber nichts an den bestehenden Defiziten – im Gegenteil: Die Projektanten leiden unter großer Rechtsunsicherheit, weil sie sich nicht auf das geschriebene Recht verlassen können.

Einheitliche Lösung von Vorteil

Dabei wäre eine Aarhus-konformen Rechtslage durchaus erreichbar. Schon mehrere Gesetzesvorschläge sind erstellt worden: Aufgrund der föderalen Struktur sind Bund und Länder für ihre jeweiligen Bereiche zuständig. Während der im Frühsommer 2017 als Initiativantrag grüner Abgeordneter vorgelegte Umsetzungsentwurf auf Bundesebene NGOs umfassende Parteistellung bereits im behördlichen Ermittlungsverfahren gibt, sieht der Vorschlag einer Novellierung des Wiener Naturschutzgesetzes bloß ein nachträgliches „Access to Justice“ vor. Rechtspolitisch ist von 9+1 unterschiedlichen Modellen aber abzuraten. Folgende Lösung könnte als Modell für ein abgestimmtes Vorgehen von Bund und Ländern dienen: Die Umweltanwaltschaften könnten im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren auf die Bereinigung von Interessenskollisionen mit NGOs, Bürgerinitiativen und Einzelpersonen im Rahmen eines Clearing-Verfahrens hinwirken. Die betroffenen Gruppen hätten zwar keine förmliche Parteistellung, wären aber in den Versuch der Umweltanwaltschaft, eine Verhandlungslösung zu erreichen, eingebunden. Damit könnten viele Konflikte bereits im Vorfeld ausgeräumt bzw. auf die konkrete Sache eingeschränkt werden. Das Clearing-Verfahren könnte mit vier Wochen beschränkt sein und damit erheblich zur Effizienz beitragen. Der erstinstanzliche Bescheid kann dann – sollte er dennoch nicht den Erwartungen aller Betroffenen gerecht werden – von sämtlichen Beteiligten bekämpft werden.

Beschwerdelegitimiert wären NGOs, Bürgerinitiativen und Einzelne als Rechtsgutträger von Gesundheit, Eigentum und spezifischen Umweltnutzungsrechten. Das Modell eines „Aarhus Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes“ würde nicht bloß die Rechtslage den internationalen Vorgaben anpassen; es würde das Ermittlungsverfahren effektiver machen, konsensorientierte Lösungen fördern, ein Mehr an Information und damit schnellere Entscheidungen bringen. Ein weiteres Zuwarten mit der Umsetzung der Aarhus-Konvention durch die neue Regierung kann aus Gründen der Rechtssicherheit dagegen nicht empfohlen werden.

Univ.-Prof.inDr.in Wagner ist Vorständin des Instituts für Umweltrecht der JKU Linz, Anwalt Dr. Bergthaler ist Partner bei Haslinger, Nagele & Partner, Dr. Donat ist OÖ Umweltanwalt. Wagners Institut hat für die OÖ Umweltanwaltschaft den Umsetzungsbedarf infolge der Aarhus-Konvention untersucht und den Vorschlag eines Entwurfs für ein Aarhus-Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz ausgearbeitet.www.ooe-umweltanwaltschaft.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2017)

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