Rechtspanorama in Salzburg

„Leute vertrauen dem Internet zu viel“

Die Diskutierenden auf der Edmundsburg in Salzburg (v. l. n. r.): Öffentlichrechtler Dietmar Jahnel, Reinhard Klaushofer und Gertrude Lübbe-Wolff, Moderator Benedikt Kommenda, Software-Entwicklerin Barbara Ondrisek (teilweise verdeckt), Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch.
Die Diskutierenden auf der Edmundsburg in Salzburg (v. l. n. r.): Öffentlichrechtler Dietmar Jahnel, Reinhard Klaushofer und Gertrude Lübbe-Wolff, Moderator Benedikt Kommenda, Software-Entwicklerin Barbara Ondrisek (teilweise verdeckt), Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch.(c) Österreichischer Juristentag/Alexander Winsauer
  • Drucken

Illegale Datenflüsse, gefälschte Profile, Fake News, undurchschau-bare Algorithmen bringen soziale Medien ins Gerede. Experten fordern mehr Medienkompetenz.

Wien. Soziale Medien wie Facebook oder Twitter sind als Faktoren der Meinungsbildung in der Demokratie nicht mehr wegzudenken – und das bedeutet nicht unbedingt Gutes. „Gefährden Facebook & Co. die Demokratie?“, lautete deshalb das Thema des ersten „Rechtspanoramas an der Universität Salzburg“, das vorige Woche zum Auftakt des 20. Österreichischen Juristentags auf der Edmundsburg in Salzburg stattfand.
„In der derzeitigen Konfiguration stellen die sozialen Medien eine Gefahr für die Demokratie dar“, sagte Reinhard Klaushofer, Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht im Fachbereich Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht der Universität Salzburg. Die Algorithmen, die im Hintergrund wirksam seien, zielten nämlich auf eine Verhaltenssteuerung. „Der Demokratie liegt der freie Wählerwille als Idee zugrunde. Wenn aber der Wähler nicht einmal weiß, dass er manipuliert wird, wird dieser freie Wille untergraben“, so Klaushofer.

Jetzt drohen Milliardenstrafen

Dazu bedarf es gar nicht eines Skandals wie der Weitergabe der Daten von Millionen Facebook-Nutzern an die umstrittene Firma Cambridge Analytica, deretwegen Facebook-Chef Mark Zuckerberg vorige Woche vor das EU-Parlament zitiert wurde. Dank EU-Datenschutz-Grundverordnung wäre eine solche illegale Weitergabe – sie erfolgte mit dem Ziel einer Beeinflussung des US-Präsidentschaftswahlkampfs – heute mit Strafen bedroht, die in die Milliarden gehen können, sagte Datenschutzexperte Dietmar Jahnel, ebenfalls Professor im Fachbereich Öffentliches Recht in Salzburg.
Es gibt aber ganz andere Möglichkeiten einer bedenklichen Beeinflussung in sozialen Netzwerken: gefälschte Accounts auf Facebook etwa, wie sie auch im Nationalratswahlkampf eingesetzt wurden, oder Bots, interaktive Programme, die auf Twitter zum Beispiel Politikeraussagen mehr Gewicht verleihen, indem sie diese retweeten oder liken: „Likes oder Retweets sind halt die Währung des Internets“, sagte die Wiener Software- und App-Entwicklerin Barbara Ondrisek. Im US-Wahlkampf seien ganze Bot-Netzwerke eingesetzt worden.
Dazu kommt der Filterblaseneffekt: Er entsteht, indem Facebook-Nutzer abhängig vom eigenen Verhalten unbemerkt eine bestimmte Vorauswahl an Beiträgen zu sehen bekommen. „Facebook entspricht dem eigenen Schweinehund“, sagte der Salzburger Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch: „Man sieht die Dinge, die man gern ansieht.“ Auch Gertrude Lübbe-Wolff, Professorin in Bielefeld und ehemalige Richterin am deutschen Bundesverfassungsgericht, hält es für ein großes Problem, wenn man „nur noch unter Gleichgesinnten kommuniziert und nur noch Nachrichten bekommt, die man gern hören will und die das eigene Weltbild bestätigen“.
Heinisch zufolge nutzen nach dem Zerfall der Zentrumsparteien vor allem radikale Parteien die Möglichkeiten der Mobilisierung nach rechts: über Emotion, Verschwörungstheorien, Untergraben bestehender Institutionen. Die deutsche AfD (Alternative für Deutschland) etwa setze auf einen alternativen Medienauftritt an den etablierten Medien vorbei. Sie hat übrigens einen der ersten Anwendungsfälle für das neue deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz geboten: Ein volksverhetzender Tweet wurde sogleich gelöscht – und wenig später unnötigerweise (vorübergehend) auch eine Reaktion des Satire-Magazins „Titanic“.

Jeden Tag sollte 1. April sein

Satire ist – schon gar automatisiert – mitunter eben schwer erkennbar. Wie auch Fake News, Falschinformationen, die in sozialen Netzwerken so gern bezogen wie (weiter-)verbreitet werden. „Uns mangelt es einfach an Digital Literacy“, sagte Ondrisek, also an der Kompetenz für einen kritischen Umgang mit dem Internet. „Die Leute vertrauen diesem Medium zu viel.“ Einzige Ausnahme sei der 1. April, weil an diesem Tag die Nachrichten hinterfragt würden. „Wir sollten also eigentlich jeden Tag 1. April haben.“
Klaushofer warnte, dass nach einer deutschen Studie bereits ein Fünftel der 18- bis 24-Jährigen ihre Nachrichten nur noch über soziale Medien bezögen. Und er bedauerte, dass der Qualitätsjournalismus immer stärker zurückgedrängt werde. Die vielfältigen Herausforderungen, welche die sozialen Medien an die Demokratie stellen, erfordern auch eine Vielfalt an Reaktionen. Die Netzwerke selbst setzen Schritte zur Selbstregulierung – Facebook etwa stellt Heerscharen von Faktencheckern ein. Nicht nur Dietmar Jahnel fordert darüber hinaus mehr Transparenz bei der Wirkweise der Algorithmen ein. Und alle Experten waren sich einig, dass die Medienkompetenz der Nutzer erhöht werden muss. „Es braucht Aufklärung und Sensibilisierung“, sagte Klaushofer. „Das ist ein ganz anderer Zugang, wenn den Nutzern bewusst ist, dass sie das hinterfragen sollen, was hier geschieht, als wenn sie einfach sehr naiv damit umgehen.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.