Verbot der Sterbehilfe ein Kann, aber kein Muss

Stefan Mezgolits, unheilbar an Multipler Sklerose erkrankt, kämpft vor dem VfGH um das Recht auf assistierten Suizid.
Stefan Mezgolits, unheilbar an Multipler Sklerose erkrankt, kämpft vor dem VfGH um das Recht auf assistierten Suizid. (c) Benedikt Kommenda
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Tötung auf Verlangen und Mitwirkung am Selbstmord sind in Österreich strafbar. Das ist schwer zu rechtfertigen und verfassungsrechtlich nicht zwingend. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs steht bevor.

Wien. Kaum ein Thema ist gesellschaftlich und politisch dermaßen aufgeladen wie die Sterbehilfe, die Frage der Verfügung über das eigene Leben. Es prallen einerseits der mit dem Siegeszug der Privatautonomie einhergehende Drang nach Selbstbestimmung und andererseits das religiöse Verbot der Verfügung über das eigene Leben aufeinander. Wieso darf im 21. Jahrhundert der Mensch nicht selbst über sein Dasein entscheiden? Welcher Zweck verbirgt sich hinter Straftatbeständen, die eine konsentierte, also von einer Einwilligung getragene, Fremdtötung und die Beteiligung an einer Selbsttötung unter Strafe stellen?

Im österreichischen Strafgesetzbuch (StGB) ist sowohl die Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB) – ein Fremdtötungsdelikt – als auch die Mitwirkung am Selbstmord (§ 78 StGB) unter Strafe gestellt. Trotz einer qualifizierten Einwilligung („auf ernstliches und eindringliches Verlangen“) ist der Täter daher strafbar, wenn er einen anderen tötet oder er den frei gewählten Selbstmord eines anderen fördert oder diesen dazu anstiftet.

Unmenschliche Situation

Verfassungsrechtlich bedenklich ist es, dass der Staat die Tötung auf Verlangen und die Mitwirkung am Selbstmord als konsentierte Organisationsgemeinschaften pönalisiert. Wer sich nicht mehr selbst töten kann, ist unter Umständen gezwungen, Qualen zu ertragen – solange nicht der normativ tolerierte Bereich von indirekter (erlaubter) aktiver Sterbehilfe erreicht ist. Damit ist eine Schmerzbekämpfung mit lebensverkürzender Nebenfolge gemeint. Durch diese Verbotskultur ist der Sterbewillige einer staatlich verstärkten, unmenschlichen Situation ausgesetzt. Daher wird von einigen Autoren gut begründet ins Treffen geführt, dass die Paragrafen 77 und 78 StGB verfassungswidrig seien. Ebenso unmenschlich ist die Perspektive desjenigen, dem ein Leidensweg bevorsteht, der es ihm unmöglich macht, sich ab einem gewissen Zeitpunkt selbst zu töten. Möchte er diesem Zustand entgehen, muss er dies zu einem früheren Zeitpunkt tun, als er es vorhätte. Hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit ist nicht gemeint, dass die Verfassung einem jeden Menschen ein Recht auf den Tod (gegenüber dem Staat) einräumt. Aus Art 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention folgt eine zwingende Verpflichtung der Konventionsstaaten, ein allgemeines Tötungsverbot einzuführen. Die erwähnten konsentierten Tötungen gehören jedoch nicht unmittelbar zum Begriffskern dieser Verpflichtung. Vielmehr finden sie sich in einem zugestandenen Ermessensspielraum des staatlichen Gesetzgebers: Dieser kann, aber muss solche Sachverhalte nicht unter Strafe stellen. Somit sind die Paragrafen 77 und 78 StGB nicht zwingend durch die Verfassung vorgegeben.

Als geschütztes Gut der Tötungsdelikte wird immer wieder ein individuelles, jedoch indisponibles Rechtsgut ins Treffen geführt. Diese Einordnung ist problematisch. Warum soll der Rechtsgutsträger nicht über sein Rechtsgut verfügen können? Um diesem logischen Widerspruch zu entrinnen, rechtfertigen einige Autoren die Einwilligungssperre mit indirektem Paternalismus. In diesem Fall wird also der Täter bzw. Mitwirkende bestraft, um so den Lebensmüden davon abzuhalten, sich selbst zu töten oder töten zu lassen. Moderne Auffassungen hingegen sehen die Paragrafen 77 und 78 StGB als Gefährdungsdelikte. Demnach soll der Rechtsgutsträger vor einer übereilten Aufgabe des Rechtsguts geschützt werden. Die Gefahr, die Selbsttötungshemmung zu umgehen, soll verhindert werden – schließlich spielen viele mit dem Gedanken, jedoch nur wenige schreiten zur Tat.

Ein weiterer Erklärungsansatz versteht das Rechtsgut der Fremdtötungsdelikte als ein universelles. Es soll im Einklang mit dem modernen Staat und der Konzentration des Gewaltmonopols in seinen Händen das Fremdtötungsverbot stabilisiert werden. Dessen Aufweichung wäre geeignet, Erwartungshaltungen in der Gesellschaft zu destabilisieren.

Studiert man die Normen der Tötungsdelikte, so fällt auf, dass die vorsätzliche Vernichtung fremden Lebens immer den Tatbestand eines Fremdtötungsdelikts erfüllt. Müsste dann aber nicht jede Sterbehilfe strafbar sein? Die herrschende Ansicht differenziert jedoch bei der Zulässigkeit der Sterbehilfe – anhand des anvisierten Ziels der Handlungssteuerung – zwischen direkter (verbotener) und indirekter (erlaubter) aktiver Sterbehilfe. Anders als bei der direkten wird die indirekte aktive Sterbehilfe als sozialadäquat (normativ toleriert) und damit straflos angesehen. In diesen Fällen zeige sich eine Überlagerung des Straftatbestands durch eine soziale Norm. Andere wiederum rechtfertigen die indirekte Sterbehilfe mittels rechtfertigenden (übergesetzlichen) Notstands, wobei freilich diese Lösung mit dem Topos Leben als höchstes Gut in Konflikt gerät.

Einzelfallentscheidung gefragt

Der Verfassungsgerichtshof wird als „negativer“ Gesetzgeber über die Paragrafen 77 und 78 StGB in naher Zukunft erkennen. Die Verfasser meinen, dass Strafbestimmungen im vorliegenden Zusammenhang nicht als „Allheilmittel“ taugen, sondern vielmehr die Entscheidung einer besonderen Expertenkommission übertragen werden sollte. Diese sollte objektiv und einzelfallbezogen über den Zugang zum Freitod entscheiden. Dafür müsste jedoch der Gesetzgeber tätig werden.

Sergio Pollak ist Projektmitarbeiter
an der Abteilung Unternehmensstrafrecht der JKU Linz, Richard Soyer ist Universitätsprofessor für Strafrecht an der JKU Linz
und Rechtsanwalt in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2019)

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