Mehr Befugnisse im Sog des Entsetzens

Mehr Befugnisse Entsetzens
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Sicherheitspolizeigesetz: Ein Entwurf des Innenministeriums schafft eine Lizenz zum Screenen Unverdächtiger. Gefahrenabwehr braucht jedoch ein Tätigwerden des Gefährders.

Wien. Vor wenigen Tagen ist die Frist für die Begutachtung eines von der Innenministerin als „Antiterrorpaket“ bezeichneten Gesetzesvorschlags zu Ende gegangen. Eines der zentralen Anliegen dieses Textes besteht im Ausweiten der in § 21 Abs 3 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) geregelten und in Bezug auf „Gruppierungen“ bestehenden Aufgabe der „erweiterten Gefahrenerforschung“ auf das „Beobachten von Einzelpersonen“. Die Erläuterungen zu dem Entwurf berufen sich auch auf „aktuelle Entwicklungen“, und es ist evident, dass damit – zwar keine Entwicklung, sondern ein Seriendelikt – die knapp zurückliegenden Taten des Anders Bering Breivik im Juli in Norwegen gemeint sind. Breivik wird die Tötung von 77 Menschen vorgeworfen. Insgesamt weist die Diktion freilich auf eiliges Hervorholen aus der Lade, um den „guten Wind“ für die polizeiliche Befugniserweiterung im Sog des Entsetzens über diese Taten nützen zu können.

Was ist überhaupt unter „erweiterter Gefahrenerforschung“ zu verstehen? Dieser Begriff wurde 1999 entwickelt. Der nunmehrige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung war damals als leitender Beamter der „Staatspolizei“ an diesem Projekt beteiligt, ich als Legist.

Im Wesentlichen ging es darum, in Bezug auf künftige organisierte, insbesondere weltanschaulich/religiös motivierte Gewaltausübung Kriminalprävention zu ermöglichen. Die Erläuterungen zur maßgeblichen Regierungsvorlage lesen sich wie ein Kontrapunkt zu den Erläuterungen des nunmehrigen Begutachtungsentwurfs. Damals hieß es: „Während eine sicherheitspolizeiliche Aufgabe im Zusammenhang mit einem gefährlichen Angriff (Anm.: eines Einzelnen) nicht erst dann besteht, wenn der Angriff bereits gegenwärtig ist, sondern bereits vor diesem Stadium Aufgaben des vorbeugenden Schutzes vor drohenden gefährlichen Angriffen bestehen (§ 22), existiert ein solches Vorfeld im Zusammenhang mit [...] mit kriminellen Verbindungen bislang nicht. Deshalb können Ermittlungen im Rahmen der prinzipiell gebotenen Gefahrenerforschung streng genommen erst dann einsetzen, wenn eine Gruppierung bereits kriminell agiert.“

Dementsprechend wurde den Sicherheitsbehörden aufgetragen, Gruppierungen, bei denen aufgrund deren gesamten Umfeldes in naher Zukunft ein Abgleiten in weltanschaulich/religiös motivierte Gewaltkriminalität wahrscheinlich war, zu beobachten und hiefür – falls erforderlich – geheimdienstliche Mittel (Observation und verdeckte Ermittlung) anzuwenden.

Für Einzelne war derlei nicht erforderlich: Bereits mit der Stammfassung des SPG (§22 Abs2) war den Sicherheitsbehörden die Aufgabe zugewiesen worden, „gefährlichen Angriffen auf Leben, Gesundheit, Freiheit, Sittlichkeit, Vermögen oder Umwelt vorzubeugen, sofern solche Angriffe wahrscheinlich sind“. Hiefür dürfen selbstverständlich personenbezogene Daten verarbeitet und diese auch durch Observation gewonnen werden.

„Beobachten von Einzelpersonen“

Nun soll nach dem Willen der Innenministerin die erweiterte Gefahrenerforschung auf „das Beobachten von Einzelpersonen“ ausgeweitet werden. Menschen, die objektive Gefährlichkeitskriterien (die Billigung von Gewalt gegen Menschen, Sachen oder verfassungsmäßige Einrichtungen sowie die Fähigkeit und das Potenzial, Sachschäden in großem Ausmaß oder Gefährdung von Menschen herbeizuführen) erfüllen, sollen dann, wenn (als subjektives Gefährlichkeitskriterium) „damit zu rechnen ist, dass sie weltanschaulich oder religiös motivierte Gewalt herbeiführen“, geheimdienstlich beobachtet werden dürfen. Hiefür muss allerdings zuvor die Ermächtigung des Rechtsschutzbeauftragten beim Bundesministerium für Inneres eingeholt werden.

Die oben zitierte Position aus den Jahren 1999/2000 wird im Entwurf überhaupt nicht erwähnt, und so wird der Eindruck erweckt, nach geltendem Recht in Bezug auf einen „sich selbst radikalisierenden Einzelnen“ nichts unternehmen zu können. Warum aber bei Menschen, die auf sich allein gestellt in der Lage sind, derart erhebliche Gewalt herbeizuführen, die erforderliche Präventivwirkung nicht mit dem Instrumentarium des bereits geltenden „vorbeugenden Schutzes“ (§ 22 Abs 2 SPG, s. oben) erzielt werden kann, ist ebenso unerfindlich wie der Umstand, dass der Entwurf diese Frage nicht einmal aufwirft.

Screening in großem Stil

Dieses Schweigen kann seine Erklärung eigentlich nur darin haben, dass den Initiatoren des Entwurfs dieses subjektive Gefährlichkeitskriterium als Einstiegsvoraussetzung schon zu anspruchsvoll ist. Offenbar soll zunächst – als Vorvorverlagerung – ein „Screening“ aller Menschen möglich sein, auf die eines der objektiven Gefährlichkeitskriterien zutrifft, um nach der Eliminationsmethode Gefährliche (das sind die, bei denen mit Gewalt zu rechnen ist) von Harmlosen zu scheiden. Erst dann soll die erweiterte Gefahrenerforschung im engeren Sinn Platz greifen, erst dann wird die Ermächtigung des Rechtsschutzbeauftragten eingeholt. Damit werden aber Grundrechte verletzt: einerseits, weil zunächst bei keinem der „gescreenten“ Menschen eine sicherheitspolizeiliche Gefahr und damit eine Ermächtigung, Daten zu ermitteln, vorliegt, und andererseits, weil – etwa mit der Billigung von Gewalt gegen Sachen (gar nicht bloß in Österreich, z.B. „Occupy Wall Street“) oder mit der Fähigkeit, Sachschaden in großem Ausmaß herbeizuführen (z.B. Lenkerberechtigung für Tankwagen) – ein so großer Kreis von Betroffenen infrage kommt, dass eine, durch die verfügbaren Ressourcen bedingte, Beschränkung auf wenige ein erhebliches Willkürpotenzial entstehen lässt. Daran kann auch der am Einzelfall orientierte Rechtsschutzbeauftragte nichts ändern.

Kriminelle Gruppe ist strafbar

Schließlich ist noch etwas Entscheidendes zu bedenken: Eine Gruppierung, die kriminell wird, ist nicht nur eine sicherheitspolizeiliche Gefahr, sondern ihre Mitglieder sind strafrechtlich nach den §§ 278 ff StGB verantwortlich. Diese Verantwortlichkeit entsteht unmittelbar nach der Gründung der Organisation. Die Polizei kann gegen alle einschreiten.

Ein Mensch, der bei sich beschließt, als Einzelner kriminell zu werden, ist noch lange nicht strafbar; auch dann nicht, wenn er dies anderen mitteilt. Wird er geheimdienstlich beobachtet, bestehen eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man lässt diesen Menschen wissen, dass man ihm auf der Spur ist; dies wäre transparent, präventiv und rechtsstaatlich. Oder man wartet zu, bis er die Schwelle zum gefährlichen Angriff überschritten hat, um diesem dann ein Ende zu setzen; hoffentlich rechtzeitig, bevor Furchtbares passiert!

Dr. Wolf Szymanski,
Sektionschef i.R., war bis 2000 im Innenministerium für die gesamte Legistik verantwortlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2011)

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