Erdgeschoße: Rezepte gegen gähnende Leere

Findige Unternehmer wandeln die zunehmend verwaisten Flächen in mietbare Lagerräume um. Stadtplaner sind darüber nicht besonders glücklich.

Es wird eng in Wien. Schon 2029, fünf Jahre früher als bisher prognostiziert, wird die Bundeshauptstadt die Zwei-Millionen-Einwohner-Marke knacken. Das bedeutet, dass die Nachfrage nach leer stehenden Flächen weiter steigen wird. Mit einer Ausnahme: dem Erdgeschoß. Allein 505 freie Geschäftslokale zählt die Wirtschaftskammer derzeit auf ihrer Internetplattform freielokale.at. Ein europaweiter Trend, der mittlerweile auch Wien erreicht hat, setzt genau hier an und nutzt die leeren Erdgeschoße, um darin für jedermann mietbare Lagerräume zu errichten.

Idee aus den USA

„Wir gehen nicht an den Stadtrand, sondern in Wohngegenden, wo die Leute im Altbau oftmals feuchte Keller haben, die als Lager nicht geeignet sind“, erklärt Raoul Billan, Manager von Localstorage. Der Storage-Anbieter hat sich bereits 2009 auf die Nutzung von leer stehenden Erdgeschoßen im innerstädtischen Bereich spezialisiert und bietet Flächen im fünften und siebten Bezirk an. „Unsere Mieter buchen übers Internet und erhalten sofort einen Code, mit dem sie das Lager betreten können“, so Billan. Der Einstiegspreis pro Monat beträgt 30 Euro, insgesamt sind 180 Abteile verfügbar.

Geboren wurde die Idee des Selfstorage bereits in den 1950er-Jahren in den USA. Die Vermietung von Garagenzeilen in der Nähe von großen Wohnbauanlagen wurde schnell zu einem lukrativen Geschäft. In den 1960er- und 1970er-Jahren wurde das Konzept der Lagervermietung schrittweise professionalisiert und erstmals unter dem Namen Selfstorage vermarktet. Diese neue Branche wuchs rasant und machte die USA zum globalen Vorreiter dieses Wirtschaftszweigs.

Neue Bedürfnisse

Das Konzept funktioniert auch in Wien. Die jährliche Auslastung bei Localstorage beträgt über 95 Prozent, ein Lagerabteil ist laut dem Storage-Manager nie länger als zwei Wochen frei. Daher denkt das Unternehmen bereits über eine Ausweitung seiner Angebote nach. „Vor allem die Bezirke eins bis neun sind für uns als neue Standorte interessant“, versichert Billan.

„Der Trend geht nach oben“, bestätigt Eveline Moser. Sie hat im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) Selfstorage-Anbieter im Großraum Wien untersucht. „Der Markt in Österreich und im Speziellen in Wien ist aber noch sehr jung. Im Vergleich zu den USA oder Großbritannien sind bisher erst wenige Anbieter auf dem Markt präsent“, so Moser. Als Grund für den wachsenden Bedarf an mietbarem Stauraum ortet sie die Wohnungsgrundrisse, die nicht den heute vorherrschenden Familien- und Haushaltsformen angepasst sind. Auch die steigende Mobilität wirke sich auf einen veränderten Bedarf an Wohn- und Stauraum aus. Der Vorteil von Erdgeschoßzonen liegt für Moser auf der Hand: „Diese Flächen eignen sich gut, um sie als Lager umzubauen, und sie sind aufgrund der ebenen Lage gleichzeitig praktisch für die Anlieferung.“

Mit der Frage, warum ausgerechnet ein großer Teil der Erdgeschoßzonen leer steht, hat sich Theresa Schütz vom Department für Örtliche Raumplanung an der TU Wien auseinandergesetzt. Strukturelle Probleme hätten sie verwaisen lassen, sagt sie. „Diese waren ursprünglich für den Einzelhandel konzipiert, die wirtschaftliche Situation in Kombination mit dem Aufstieg des Onlinehandels hat die Betriebe jedoch zurückgedrängt.“ Die leer stehenden Flächen seien nun schwer nutzbar. „Viele Erdgeschoße sind so angelegt, dass sie schwer zusammengelegt und vergrößert werden können.“ Hinzu kommen überzogene Mieterwartungen der Eigentümer, und aufgrund langer Leerstände würden sich viele Räume in schlechtem Zustand befinden. „Auch Wasserschäden machen die Erdgeschoße für Mieter oder Käufer unattraktiv“, meint Schütz.

Start-ups statt Lagerräume

Als Stadtplanerin steht Schütz der Lagerflächennutzung jedoch kritisch gegenüber. „Das Erdgeschoß hat eine vermittelnde Rolle zwischen privatem Wohnen und öffentlichem Leben. Durch Lagerflächen entstehen abweisende Fassaden, die das öffentliche Leben beschränken“, kritisiert sie. Sie wünscht sich daher vermehrt innovative Konzepte, um den innerstädtischen Bereich zu beleben. Kleine Start-ups, Kaffeehäuser, die auch als Treffpunkt für Nachbarschaft dienen, oder eine Mischung aus Friseur und Hundesalon könnten dazu beitragen, soziale Kontakte zu ermöglichen. „Die Erdgeschoße sind traditionellerweise Orte des Austauschs, wo es Handel, aber auch Kommunikation gibt. Diese sozialen Kontakte finden sonst nicht im öffentlichen Raum statt“, so die Stadtplanerin.

INFO

Laut Internetplattformfreielokale.at stehen in Wien derzeit rund 500 Geschäftslokale leer.

DerSelfstorage-Trend kommt aus den USA. In Europa steckt die Branche noch in den Kinderschuhen, die Bewirtschaftungsdichte liegt erst bei rund 1,6Prozent des US-Markts.

Der Anbieter Localstorage hat sich auf Erdgeschoße spezialisiert. 180 Lagerabteile sind in Margareten und Neubau verfügbar.www.freielokale.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2015)

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