Zürich: Wie Designer wirklich ticken

Tiefgang. Das Schaudepot führt in Zürich in die Designgeschichte.
Tiefgang. Das Schaudepot führt in Zürich in die Designgeschichte.(c) Beigestellt
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Die Schweiz ist die Heimat der Swissness. Und ihre Gestaltungshauptstadt ist Zürich, wo Design an verschiedenen Ecken präzise verortet ist.

Hier liegt also die Designgeschichte der Schweiz. Eingeschlichtet in Regalen, mit Barcodes versehen, gruppiert nach äußeren und inneren Merkmalen. „Eigentlich ist es wie im Zoo. Die Elefanten stehen bei den Elefanten“, sagt Christian Brändle, Direktor des Museums für Gestaltung in Zürich. Die Plakate liegen auf Plakaten, die Nachbarn der Freischwinger-Stühle sind Freischwinger. Brändle führt in die Tiefe, in die Sammlung des Museums für Gestaltung, ins Schaudepot, denn hier darf man zwar nichts berühren, aber umso intensiver die Schweizer Ikonen der Designgeschichte betrachten. Wie den „Landi-Stuhl“ von Hans Coray etwa. Oder den „GA-Stuhl“ von Hans Bellmann. Ganz viel „Swissness“ auf engstem Raum. Ja, die Schweiz ging schon immer gern in die Tiefe.

Bahnhofsuhr. Die Schweizer Klarheit und Präzision schafften es sogar aufs iPad.
Bahnhofsuhr. Die Schweizer Klarheit und Präzision schafften es sogar aufs iPad.(c) Beigestellt

Ganz genau! Vor allem bei konsequentem Nation Branding kam sie sich selbst und dem Schweizerischen auf die Spur. Und ergründete auch, wie sie ticken, diese Menschen, die diese Swissness prägen. Nicht nur in Form von Alu-Trinkflaschen à la Sigg oder Taschenmessern à la Victorinox. Gestaltung erobert sich vor allem im Alltagsleben, aber auch in Zürich neue Terrains: Wie etwa das Toni-Areal, eine ehemalige Molkerei, die heute nicht nur den neuen Standort des Museums für Gestaltung beherbergt, sondern auch etwa die Zürcher Hochschule der Künste. In einem Teil Zürichs, das als Indus­trieviertel lange Zeit ganz andere Dinge produzierte als Nachwuchshoffnungen des Schweizer Designs. Auch in Zürich-Oerlikon ist die industrielle Vergangenheit regelmäßig Kulisse für gegenwärtige Gestaltung: Im November füllte die Designmesse „Neue Räume“ zum achten Mal die ABB-Halle mit über 100 Ausstellern, internationalen sowie Schweizer Möbelunternehmen, die ihre Art von Swissness zeigten. In einer Stadt, die in den Gassen der Altstadt genauso wie auf den schicken Meilen des Konsums demonstrierte, dass Design hier offensichtlich nicht nur klar verortet, sondern vielmehr: auch tief verwurzelt ist.

Präzise – so tickt die Swissness natürlich vor allem. Selbst dort, wo keine Züge fahren, im Schaudepot hängt ein plakatives Beispiel davon: die Schweizer Bahnhofsuhr, die einer in den 1940er-Jahren designt hat, der kein Designer war – Hans Hilfiker. Auch auf dem iPad drehten sich mehr als 70 Jahre später die Zeiger der Uhr – Apple hatte zuerst ungefragt das Design übernommen, dann ein paar Millionen dafür bezahlt. Das Bemerkenswerte: Der Sekundenzeiger ist schneller als die Zeit, in ca. 58 Sekunden ist er bereits wieder dort, wo er gestartet ist, wartet ein winziges Weilchen, bis alle Bahnhofsuhren der Schweiz synchron den Minutenimpuls empfangen. Dann erst marschiert er weiter. Präzision des Uhrmachers und des Designers scheinen im Schweizer Verständnis von Gestaltung ohnhin nicht allzu weit voneinander entfernt zu sein: Selbst wenn man kein Typograf ist wie Max Miedinger, der die berühmte Helvetica-Schrift entwarf. Oder Adrien Frutiger, der vergangenen September verstarb, aber dessen Skizzen in den Schubladen des Züricher Schaudepots verewigt sind.

Grundsolide. Das Sofa „Flow“ von This Weber für Team By Wellis.
Grundsolide. Das Sofa „Flow“ von This Weber für Team By Wellis.(c) Beigestellt

Historische Erscheinung. Auch für die Innenarchitektin Lilly Reich, die mit Mies van der Rohe am Dessauer Bauhaus lehrte, hatten Mikroentscheidungen Größe: „Der Möbelbau ist die Disziplin des Millimeters, hat sie gesagt“, erzählt Samuel Eberli. Gemeinsam mit Joan Billing hat er im Architekturforum Zürich eine Schau kuratiert, die jemandem gewidmet ist, für den Mies van der Rohe als einer der letzten das Diplom unterschrieb: Hans Bellmann. Der Untertitel der Ausstellung erklärt auch seine ikonische Position in den Augen der Kuratoren: „Protagonist der Schweizer Wohnkultur“ (eine Monografie über Bellmann erschien bei Scheidegger & Spiess).

Design + Design nennt sich wiederum das Büro der Kuratoren Eberli und Billing. Einmal stehe „Design“ für die Vergangenheit, einmal für die Gegenwart, erklären die beiden: „Wir wollen vermeiden, dass Schweizer Designer in Vergessenheit geraten.“ Deshalb widmen sie eine Ausstellung pro Jahr der Designvergangenheit, als Teaser, um wieder Bewusstsein zu schaffen für Ideen wie jene von Bellmann: Das Spannstützenregal, das sich frei im Raum positionieren lässt, weil es eben „eingespannt“ wird zwischen Decke und Boden. „Schon damals wollte er gestalterisch das Bedürfnis nach Mobilität und Leichtigkeit verwirklichen“, erzählt Kurator Eberli. Auch der „Einpunkt-Stuhl“ aus dem Jahr 1952, den der Hersteller Horgen-Glarus, die älteste Tisch- und Stuhlmanufaktur der Schweiz, bis heute produziert, steht in vielen Schweizer Haushalten. Gestalterisch konzentriert er sich auf den entscheidenden Punkt: die Schraube, die unter der Sitzfläche die Konstruktion zusammenhält.

Innovativ. „Ovolo“ von Röthlisberger, entworfen von Moritz Schmid.
Innovativ. „Ovolo“ von Röthlisberger, entworfen von Moritz Schmid.(c) Beigestellt

Bilaterale Bemühung. Auch ein Schweizer Diplomat möchte Botschafter der Swissness und des Schweizer Designs sein. Und das in einem Land mit starker eigener Design-Identität, nämlich Dänemark. Dafür hat der Botschafter in Kopenhagen einen beauftragt, der selbst schon Teil der Designgeschichte ist und zu den erfolgreichsten und profiliertesten Schweizer Gestaltern zählt: Alfredo Häberli. Für die Inneneinrichtung der Botschafterresidenz bemüht sich Häberli gerade, die Ikonen und Meilensteine der Schweizer Designgeschichte sinnvoll zu versammeln – aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Und das ganz unabhängig davon, ob er sie mag oder nicht mag, wie er sagt. Im Studio von Häberli im Bezirk Seefeld arbeiten fünf Mitarbeiter, fast schon ein gestalterischer Großbetrieb.

Ein Ruderboot hängt von der Decke, und an der Wand hängen Dinge, die Häberli nicht mehr losgelassen haben, auch wenn sie noch so banal sind. Und oft wurden sie zum Ausgangspunkt einer Idee. Wie der American-Football-Helm etwa, der im Stuhl „Nais“ von Classicon eine Analogie fand. Oft seien es „die kleinen Ärgernisse des Alltags“, die ihn inspirieren. Oder er geht mit einem kleinen Elefanten aus Leder zum Schweizer Hersteller De Sede und wünscht sich ein Sofa, „das eine ähnliche Plastizität und Faltung hat“. Vor der Designgeschichte der Schweiz verbeugt er sich auch in seinem Konzept für Kopenhagen. Was ihm ein wenig fehlt im Schweizer Design, meint Häberli, sei die Emotion. Die Portion Seele, die aus fein durchdachten, systematisch ausgeklügelten Ansätzen so etwas wie Wohnlichkeit oder Behaglichkeit erzeugt. „Erfindungen, ja, bitte! Aber ein wenig humaner, das wäre gut“, sagt Häberli.

Recycelt. Leuchte des Labels 2mol aus Nespresso-Kapseln.
Recycelt. Leuchte des Labels 2mol aus Nespresso-Kapseln.(c) Beigestellt

Kreativdistrikt. Im Zürcher Kreis vier, an der Langstraße, betreibt Designer Moritz Schmid sein Studio. In diesem Viertel sind Döner-Spieße und Glücksspielautomaten noch zahlreicher als gestalterische Geistesblitze. Doch die kreative Klasse rollt bereits an. Neben dem Longstreet, einem der beliebtesten Clubs von Zürich, steht ein Haus, in dem man in den 1960er-Jahren vielleicht ein Maklerbüro vermutet hätte. Heute werkt dort Schmid. Zuletzt entwarf er kleine hölzerne Tierskulpturen für Atelier Pfister, die Design-Edition des größten Schweizer Einrichtungshauses gleichen Namens. Oder auch einen Sekretär für Röthlisberger, vorgestellt auf der Designmesse „Neue Räume“: „Ovolo“ heißt das Modell, das auch Modell stehen soll für eine innovative Technologie, Materialien zu verbinden. Eine intelligente Ingenieursleistung voller trockener Präzision und Swissness. Und gerade diesen tun Designer wie Moritz Schmid besonders gut.

Die Reise nach Zürich erfolgte auf Einladung durch „Neue Räume“.

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