Der Architektur-Aufreger: Am Flakturm

Wie man seine Vergangenheit ausradiert: Das Haus des Meeres wird vom Flakturm zum Aqua-Klotz.

Man kann nicht nicht kommunizieren. Paul Watzlawicks These gilt auch uneingeschränkt für die gebaute Umwelt. Architektur kann man einfach nicht stumm schalten. Auch wenn es vielen Gebäuden gelingt, ungewollt ziemlich nichtssagend zu wirken - sie sind immer Zeichen. Und als solche transportieren sie nun mal Inhalt mit Hilfe von Form. Im Erdgeschoß der Städte erzählen Architektur und Städtebau in Form von Garagentoren und Schrägparkplätzen, wie ernst man das urbane Leben nimmt. Die Gestaltung, sie berichtet immer auch von den baukulturellen Haltungen dahinter, von den "Mir is wurscht"-Attitüden. Und weiter oben, da wo der Stadtraum eigentlich auch noch öffentlich ist, aber wo keiner hinkommt, außer man lässt sich hinhieven von Immobilieninvestoren, die einem Dachgeschoßwohnungen verkaufen - dort erzählt die bauliche Gestaltung genausoviel. Selbst die Dachgeschoßwohnung, von der man selbst in die und über die  Stadt schaut, hat allen anderen auch etwas mitzuteilen. Ob man will oder nicht. Sie erzählt von Wachstumsschmerzen einer Stadt mit ästhetischem Kollateralschaden: Die Dachlandschaft ist die neue Peripherie.  Die, wie es der stets kritische Stadtplaner Reinhard Seiß genannt hat, "Eh-schon-wurscht"-Gegend der Stadt. Nur dass sie nicht am südlichen oder östlichen Rand des urbanen Raums liegt, sondern an ihrem oberen.

Der Zeigefinger, der keiner ist

Und dort zwischen all dem gestalterischen Unheil der Wiener Dachlandschaft, ragt ein Zeigefinger in die Wiener Stadtshilouette. Ganz und gar nicht phallisch. Eher klobig. Und schon so lange, das er fast schon beiläufig, aber nie unbemerkt, auf etwas verweisen kann. Der Flakturm im sechsten Bezirk im Esterhazy-Park murmelt stumm: Da war doch was. Nicht nur Zeiten,  in denen Architektur im Argen lag. Sondern die ganze Welt. Und die Stadt in Trümmern noch dazu. Krieg und Unheil für alle. Für viele sogar unerträglich viel davon. Der Flakturm jedoch wird in Zukunft nicht mehr so recht auf seine und unser aller Vergangenheit zeigen können. In den letzten Jahren wurde er schon allmählich vom Flakturm mit Aquazoo-Nutzung in einen Aqua-Klotz mit Kletterwand transformiert. Nun soll er gestalterisch seinen mahnenden Charakter gänzlich abschütteln.  Umbaupläne stehen an. Noch mehr Wasser. Noch mehr Fische. Noch mehr Reptilien. Noch mehr Aufzüge. Die gute Aussicht vom Dach soll noch effizienter durchkommerzialisiert werden. Was wienüblich und - wie man fairerweise sagen muss -  weltüblich ist.

++ HANDOUT ++: HAUS DES MEERES WIRD ERWEITERT
++ HANDOUT ++: HAUS DES MEERES WIRD ERWEITERT(c) APA/OFFICE LE NOMAD OLN (UNBEKANNT)

Dabei war gerade das „Oben“ des Flakturms das stärkste Zeichen. Eine Wortskulptur des Konzeptkünstlers Lawrence Weiner setzte dem stumm mahnenden Koloss aus Beton noch ein mahnendes Statement darauf. Auch das wird verschwinden. „Smashed to Pieces in the still of the night“. Nun: Ausradiert durch selbstverliebten, wehleidigen Expansionsdrang eines Fisch- und Reptilienimperiums. Bald wird nur mehr „Haus des Meeres“ auf dem Dach prangen. 1991 wurde der Schriftzug im Rahmen der Wiener Festwochen angebracht, 2005 wurde er erneuert. Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny hat damals von "der Umdeutung eines Symbols des Nationalsozialismus zum Mahnmal gegen Krieg und Faschismus" schwadroniert. Und der Stiftungsvorstand des Haus des Meeres Franz Six war spätestens 2013 der Meinung, dass man ohnehin schon genug Erinnerungskultur zwischen den Süßwasser- und Salzwasserbecken installiert hätte. Denn in jenem Jahr wurde, 70 Jahre nach Baubeginn des Flakturms, die Dauerausstellung "Erinnern im Innern" im ehemaligen Kommandoraum des Flakturms eröffnet. Franz Six erklärte damals nach Dankbarkeit heischend: "Warum befasst sich ein Zoo mit der Geschichte eines Flakturms und stellt trotz eklatantem Plaztmangel entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung?" fragte er in einem Text. Obwohl man ja, jetzt wiederum nach Mitleid heischend, "bereits externe Flächen wie den Tiefbunker im Park anmieten müsse". Nach noch mehr Dankbarkeit heischend: "Wir empfanden es als Verpflichtung die spärlichen Beschriftungsreste an den alten Mauern zu erhalten". Im Inneren. Der riesige, relevante, für alle zugängliche und rezipierbare hingegen, den radiert man - nach Verständnis heischend - aus. Ah, ja. Nachsatz aus dem Jahr 2013: "Es besteht nicht die Absicht, die Vergangenheit des Gebäudes zu verdrängen".  Ok, es gibt eh noch fünf andere Flaktürme in Wien. Aber keinen, der so  selbstverständlich in die Stadtmorphologie integriert war.

Neue Chancen für die Kultur des Mahnens

Das ewige Mahnen. Das ist natürlich nicht so gut für die Stimmung. Und Zeigefinger, die mag man schon gar nicht. Aber sie stehen ja ohnhin an allemöglichen Orten Wiens, wo man sie nicht brauchen kann: in Form von schlanken Solitären, die auch an so einiges mahnen. Wie man es städtebaulich  tunlichst nicht tun sollte zum Beispiel.  Doch die Mahnmale, die als Mahnmale geplant wurden, sind ohnehin rar in Wien. Das letzte ist im Herbst 2017 im Stadtraum dazugekommen, auf den Aspanggründen. Wo heute die Stadt längst über eine Zeitschicht des Grauens hinweggewuchert ist, erinnert jetzt, dass von dort auch tausende Menschen deportiert wurden.

Und an einem anderen Ort in Wien, wo der Wohnbau sich auch anschickt, über geschichtlich aufgeladenes Terrain zu wuchern, da könnte man in Zukunft baulicher Erinnerungskultur zumindest etwas Platz lassen: Am Nordwestbahnhof wird sich die Stadt zur Landschaft des geförderten und freifinanzierten Wohnbaus verdichten. Schon 1924 war die Nordwestbahnhalle funktional obsolet geworden. Danach wurde sie gerne von den Nazis für Großveranstaltungen genutzt. Herman Göring sprach hier, Goebbels und Hitler genauso. Auch die Ausstellung "Der ewige Jude", ein propogandistische antisemitisch-rassistische Schau zur Geschichte der Juden von der Römerzeit bis zur vermeintlichen Weltverschwörung, fand in der Halle statt. 1952 wurde die Bahnhofshalle endgültig abgerissen. Eine Chance für Wien, sich mit dem Mahnen und Gemahnt werden, auch in baulicher Form, neu zu arrangieren.

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