"gaupenraub +/-": Die Bauherren von der Straße

gaupenraub Bauherren Strasse
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Alexander Hagner und sein Büro gaupenraub +/- bauen mit Vorliebe für nicht ganz einfache, aber umso dankbarere Bauherren: für Obdachlosen. Zurzeit ensteht das Projekt "VinziRast Mittendrin".

Manchmal könnte er gar nicht mehr aufhören, den Kopf zu schütteln. Wenn Architekt Alexander Hagner an Prag denkt, dann ist das so ein Moment. Die Stadt wollte ein Problem wegschieben, das fast alle Städte haben. Raus an die Peripherie, an den schmutzigen Rand der Stadtgesellschaft, in einem Sammellager gleich neben der Müllverbrennungsanlage, dort wollte Prag seine Obdachlosen sehen. Für Hagner gehören sie ganz woanders hin, nämlich mittenrein: ins Bewusstsein, in die Stadt, nicht auf die Straße, nicht unter die Brücke, sondern unter das Dach eines Projektes. Wie etwa in das Haus, dessen Umbau er gerade mit seinem Architekturbüro gaupenraub +/- plant. „VinziRast Mittendrin“ ist der Name des aktuellen Projektes, das sich selbstbewusst in die Währinger Straße 19, mitten in den neunten Bezirk, stellen will.

Hagner wollte schon immer für Obdachlose bauen, vor mittlerweile mehr als acht Jahren hat er damit begonnen. Und plötzlich steckt der Architekt wieder in einem Projekt der Sorte „Das gab's noch nie“. Für das Büro gaupenraup +/- fast schon Gewohnheitssache. Auch der Entwurf für das Eiermuseum in Winden etwa, von Architekturkritikern vielfach beklatscht und für den Mies van der Rohe Award 2011 nominiert, folgte keinen Vorlagen und Mustern, einfach weil es kaum welche gab. Jetzt soll ein Haus Obdachlose und Studierende erstmals gemeinsam unter einem Dach beherbergen. Auch wie das funktionieren soll, kann man sich schlecht im Vorfeld zusammengoogeln, und es nützt wenig, in einer Schublade zu kramen, um zu sehen, ob da nicht irgendwelche ähnlichen Konzepte herumliegen.


Programmatischer Name. „Hier mittendrin kann Architektur noch etwas leisten. Am Stadtrand braucht sie das nicht mehr“, meint Hagner. Das Eckhaus soll sich öffnen, nicht vom Stadtraum isolieren. Sonst könnte es gleich neben einer Wiener Müllverbrennungsanlage stehen. Höflich bittet das Haus die Stadt herein, hinter den noch staubverschmierten Auslagenscheiben soll ein Café und Kommunikationsort entstehen. „Wir wollen schließlich das Erdgeschoss nutzen, damit sich das Haus mit dem städtischen Umfeld verzahnt“, erklärt Hagner. Jeder solle ganz leicht „hinein- und hinausdiffundieren können“. Und drinnen soll sich der integrative Anspruch aktiv auf mindestens der Hälfte der Fläche verwirklichen dürfen. Platz genug, um aufeinander zu, aber auch, sich aus dem Weg zu gehen.

Bloß ein „Wohnheim“, das wäre Hagner zu wenig. „Den Bewohnern sollen so viele Nutzungen wie möglich zur Verfügung stehen.“ Fahrrad- und Möbelwerkstatt etwa, auch Veranstaltungsräume, ein Café und vielleicht sogar ein paar Quadratmeter Erde, in denen die Hände wühlen dürfen, um Paradeiser und Salat zu pflanzen: Auf dem Dach wünscht sich Architekt Hagner einen Garten, womöglich sogar mit einem verglasten Atelier davor. „Geben wir doch diesem Projekt ein bisschen Luxus“, sagt er. Wenn man anfange, hier und dort wieder am Projekt zu schnippeln und es zu beschneiden, „dann könne man es ja gleich lassen.“

Der Lohn des Projekts: Hagner darf regelmäßig staunen, bei den monatlichen Meetings, bei denen „„Menschen zusammensitzen, die normalerweise nicht viel miteinander zu tun haben“, und dabei solange die Projektdetails ausdiskutieren, bis alle dazu nicken können. Auf der Baustelle selbst dominiert noch der Schutt; Studierende und ehemalige Obdachlose helfen fleißig mit beim Entkernen, Ausräumen, Entsorgen und Wände-Niederreißen. „Ich habe viele Baustellen gesehen, selten waren die Bautrupps besser“, sagt Hagner. „Wenn man Verantwortung überträgt, wird sie auch in vollem Umfang wahrgenommen“.

Die Initiative kam von Studierenden. Im November 2009, während der Studentenproteste und der Audimax-Besetzung, war Generalprobe für das Zusammenleben von Studierenden und Obdachlosen, nur wussten beide noch nichts davon. Obdachlose hatten das Audimax als Schlafstätte benutzt und integrierten sich bei verschiedensten Aufgaben allmählich in den Protestalltag. Als die Normalität einzog, mussten die Obdachlosen wieder raus. Daraufhin wollten ein paar Studierende das Zufalls-Integrationsprojekt langfristig institutionalisieren.

Symbiotisch. Integration sei eine wichtige Aufgabe von Architektur und Städtebau, meint Hagner. Quer durch die Stadtlandschaft verdrängen viel zu oft Bau- und Stadtentwicklungsprojekte Randgruppen aus den Räumen und aus der Wahrnehmung. „Doch Siedlungen waren von Prinzip her immer symbiotische Gefüge.“ Menschen kamen zusammen, weil sie sich gegenseitig nützten, halfen, voneinander profitierten. Irgendetwas muss da schiefgelaufen sein in der Entwicklung der Städte. Die „commons“, die Gemeingüter, also alles, was früher wie selbstverständlich allen gehörte, wie das Brennholz in den Wäldern, und ebenso von allen nutzbar war – dieses Prinzip existiert nur noch in verklärter Robin-Hood-Romantik, nicht in der urbanen Realität. Designer und Architekten gestalten, unbewusst oder im dezidierten Auftrag, meist für spezielle Zielgruppen, selten für alle. Das schönste Stadtmobiliar signalisiert allzu oft deutlich, wen die Stadt dort nicht sitzen sehen will. Und schon gar nicht liegen oder schlafen.

„Es muss doch möglich sein, etwas, was wir als Gesellschaft selbst produzieren – und Obdachlosigkeit gehört dazu – auch selbst zu lösen“, sagt Hagner. „Nur weil uns das Problem nicht gefällt, können wir es nicht irgendwohin schieben, wo wir es nicht sehen.“ Hagner denkt wieder an Prag, schüttelt den Kopf und murmelt etwas, was sich anhört wie „Katastrophe“.

Als Hagner vor Jahren hörte, dass Pfarrer Wolfgang Pucher die Idee des Grazer VinziDorf-Projektes auch nach Wien tragen wollte, fragte er sofort an. Und: Ja, klar würden sie einen Architekten brauchen. Doch Heimat hat das Modell VinziDorf in Wien nach wie vor nicht gefunden. Schnell lernte Hagner auch die Gegenkräfte kennen, die engagierte Sozialprojekte ganz schön zerzausen können, allein bei der Suche nach geeigneten Bauplätzen. Inzwischen kennt er die Schimpftiraden, die wilden, wütenden Gesten der Anrainer bei Versammlungen, die langen Unterschriftenlisten. Doch mit „Vinzi“ beginnen trotzdem, oder auch gerade deswegen, einige Projekte und Einrichtungen in Wien. Zuletzt wurde „VinziPort“, die Notschlafstelle für obdachlose EU-Bürger, im November 2010 eröffnet. „VinziBett“, eine Notschlafstelle, gehört in die Reihe, aber auch „VinziWürstel“, ein Würstelstand gegenüber der Ottakringer Brauerei, der von Obdachlosen betreut wird. Und natürlich „VinziRast“, das erste Projekt, das gaupenraub +/- für Obdachlose im Jahr 2002 realisiert hatte, in der Wilheminenstraße in Wien Meidling, ebenfalls eine Notschlafstelle. Das Honorar damals war ein untypisches, zumindest für Architekten: „Ein unglaublich gutes Gefühl auf dem Heimweg nach der Eröffnungsfeier“, erzählt Hagner.

Doch auch Ärger gehört zum Standardrepertoire der Emotionen eines Architekten, der für soziale Randgruppen baut. Und den Kopf schütteln könnte Hagner schon wieder, diesmal ist nicht Prag, sondern Wien Meidling der Auslöser: Das bestehende Notquartier Hetzendorfer Straße wollten die Vinzigemeinschaft, seine Förderer und er als Architekt sanieren und ausbauen. Aber plötzlich war der Widerstand von Anrainern und Bezirksvorstehung viel mehr als der übliche Gegenwind, nämlich ein ganzer Entrüstungssturm.


Empathiefähigkeit. Das Modell „Wohnheim“ lässt sich nicht über alle Obdachlosen stülpen. Denn neben dem Rand der Gesellschaft scheint es weiter draußen noch einen zu geben, an dem Menschen mit noch schockierenderen, unvorstellbareren Geschichten leben müssen. Für sie greifen viele Angebote zu kurz oder daneben, meint Hagner. Viele werden einfach nicht angenommen, zu sehr haben die Jahre in einem Haufen Karton die Obdachlosen traumatisiert. Das traditionelle Modell „Haus“ oder „Heim“, in das der Großteil der Gesellschaft wie selbstverständlich hineinwächst, kann man vielen nicht einfach vorsetzen. Das funktioniere nicht, meint Hagner. „Das wäre für Architekten eine glatte Themenverfehlung.“ Denn für manche erzeuge der Typ „Wohnheim“ einfach „zu viel Nähe, zu viel Zwang“. Hineindenken, recherchieren, das Umfeld beobachten – das sind ganz selbstverständliche Architektenaufgaben vor dem Planungsprozess. „Als Architekt muss man die Bedürfnisse der Bauherren kennen, auch wenn diese Obdachlose sind.“ Doch das Reindenken in die Kartonschachtel fällt schwerer als in den Lebensstil eines Rechtsanwalts. Da helfen nur Fähigkeiten, die keine Universität der Welt unterrichtet. „Die Antennen für die Bedürfnisse der Obdachlosen“ habe er bereits, sagt Hagner. Viel war er unterwegs, in Abbruchhäusern genauso wie in ausrangierten Bahnwaggons, um zu erforschen, wie sich seine Bauherren ihre Behausungen und Unterkünfte selbst gestaltet haben, wohin sie sich verkriechen, um sich notdürftig vor der Nacht und dem Wetter zu schützen.

Im Modell „VinziDorf“, das Hagner vorschwebt, hat deshalb die klassische Typologie „Haus“ nicht unbedingt einen Platz. „Ein Dorf aus Modulen soll es sein“, und anpassbar, so dass diese sich schrittweise von einer kleinen, wärmegedämmten Einheit zu etwas Größerem entwickeln können. An den Ideen fehlt es nicht, doch noch am geeigneten Platz.

gaupenraub +/-
Das Büro besteht aus den Partnern Alexander Hagner und Ulrike Schartner sowie einigen Mitarbeitern. Zuletzt wurde das Eiermuseum für den Bildhauer Wander Bertoni viel beachtet. Aber auch die Businesslounge für den Moskauer Flughafen gehört zu ihren Referenzen, genauso wie Einfamilienhäuser.

VinziRast
Das Cortihaus in Meidling ist Notschlafstelle, Übergangswohnhaus und WG für abstinent lebende Alkoholiker. „VinziRast Mittendrin“, der neue Ableger in der Währingerstraße 19, soll Obdachlose und Studierende gemeinsam beherbergen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2011)

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