Innsbruck: Nach oben ist immer Luft

(c) Christof Lackner
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Berg und Stadt, weite Welt und enges Tal. In Innsbruck verdichten sich landschaftliche, aber vor allem architektonische Qualitäten.

Städte haben ihre Höhen und Tiefen. Doch manche haben mehr davon – vor allem von den Gipfeln. Wie Innsbruck, rein topografisch, der Alpen wegen. Stadt und Land – da steht immer das eine vor dem anderen, egal aus welchem Winkel man sie betrachtet. Die Berge sind die Fototapete an der Wand des Stadtraums. Und gleichzeitig scheinen sie so manche städtischen Merkmale in die Zange zu nehmen, zu quetschen, zu verdichten: Das Bahnhofsviertel ist klein, aber so richtig Bahnhofsviertel. Die malerische Innenstadt ist klein, aber so richtig wie gemalt. Und von der Räudigkeit der einen Straße zum Chic der anderen muss man oft nur um die Ecke gehen.

Etwas dichter zu drängen scheinen sich aber auch die architektonischen Qualitäten, die versuchen, zwischen Nordkette und Patscherkofel Platz zu finden. Vielleicht, weil „oben“ ein Niveau ist, das man gern anstrebt. Per Kletterseil oder baukultureller Haltung. Auch Zaha Hadid nahm sich 2003 gestalterisch einer der zahlreichen oberen Positionen rund um Innsbruck an: Sie entwarf die neue Bergiselschanze. Einmal im Jahr erfüllt sie, was Schanzen so leisten müssen: für Sportler und Sport-Fernsehübertragung. Und den Rest des Jahres leistet sie ihren eigentlichen Mehrwert: Skulptur in der Landschaft zu sein. Den Job erfülle sie bravourös, meint Arno Ritter, der Leiter des Aut, des Tiroler Architekturzentrums.

Naheverhältnis. Die eine Landschaft, die gebaute, und die andere, die gewordene, die sich per Naturgewalt aufgefaltet hat, verbinden mehr als nur Blickbeziehungen: Auch die Vertikallogistik begünstigt das Rauf und Runter – in Form von Seilbahnen und anderen Steighilfen. In Innsbruck beginnen die ersten Schritte auf den Berg schon im Zentrum, über ein paar Stufen in den Untergrund: zur Talstation der Hungerburgbahn – das Schlupfloch für Innsbrucker und Innsbruck-Besucher in den urbanen Freiraum, der am Rand der Stadt plötzlich spektakulär in die Vertikale kippt, die Nordkette.

In anderen Städten heißt urbaner Freiraum so viel wie Park, hier heißt das „Naturpark Karwendel“. Die Hungerburgbahn erledigt die erste Etappe in seine Richtung, überbrückt den Inn, klettert am Innsbrucker Alpenzoo vorbei bis zur Hungerburg, vom Seil auf Schienen gezogen. Dann geht’s weiter mit dem Seil durch die Luft, zur Seegrube, Innsbrucker Abenteuerspielplatz und Aussichtsbalkon zugleich. Dorthin in die Höhe hat die Stadt noch ganz andere urbane Funktionen ausgelagert – ein bisschen Nachtleben sogar, zumindest am Freitag in der „Cloud 9“-Iglu-Bar. Am Wochenende, weiß Arno Ritter, bekommt man auch die Architekturinteressierten nicht gar so leicht ins Aut. Denn dann stülpt sich die Stadt samt ihren Bewohnern von innen nach außen – in die Bergwelt. Und einer der Zubringerdienste dorthin sind die Nordkettenbahnen: Erst am Hafelekar auf 2256 Metern endet der öffentliche Raum Innsbrucks mit direktem Verkehrsanschluss.

Die Stationen der Hungerburgbahn, der ersten Etappe hinauf, hat vor nunmehr zehn Jahren ebenfalls Zaha Hadid symbolisch aufgeladen: Schon im Tal hat sie die Bergwelt rundum ästhetisch vorweggenommen: Lackiertes Glas wölbt sich über Sichtbeton. Eine künstliche Mini-Gletscherzunge, die fast bis in die Altstadt leckt. „Der Kontrast der Materialoberflächen soll den Eindruck des Schwebens unterstützen“, sagte Zaha Hadid damals. Dem Naheverhältnis von Stadt und Berg hat’s jedenfalls gutgetan. Einem anderen Naheverhältnis auch: jenem der Innsbrucker zur Architektur überhaupt. „Der Identität Innsbrucks haben die großen internationalen Namen schon genützt“, sagt Arno Ritter.

Architektur-Soziotop. Seit 23 Jahren leitet Arno Ritter das Aut. Seinen Platz in Innsbruck hat es längst gefunden, seit 2005 im Sudhaus der ehemaligen Brauerei Adambräu, einem Bau des Tiroler Architekten Lois Welzenbacher aus den 1920er-Jahren. Auch seine Rolle hat das Architekturzentrum ganz gut für sich definiert: Es wurde zum Knotenpunkt der Architekturexpertise, aber ebenso des baukulturellen Engagements und Diskurses. Auch, weil Arno Ritter konsequent knotet: an einem Netzwerk von Architektur-Urhebern und Architektur-Entscheidern – an einem Soziotop von Akteuren, die in den vergangenen 20 Jahren so manches Bekenntnis zur Qualität zwischen Berg und Tal hinterlassen haben. Und dabei Idee, Experiment, Vision und Haltung gern auch mal weit hinauf in die alpine Landschaft tragen.

So wie es in Innsbruck inzwischen auch Ableger international renommierter Architekturkollektive tun: Das Büro Snøhetta etwa, vor allem auch in Oslo und New York zu Hause, legte den „Perspektivenweg“ in die Landschaft rund um die Station Seegrube hoch über Innsbruck. Sitz- und andere Aussichtskonstruktionen haben sie dafür entwickelt und all das philosophisch überbaut: mit Zitaten von Ludwig Wittgenstein.

Aber auch andere Gestalter mit Weltruf haben die Architekturlandschaft in Tirol mitmodelliert. Dominique Perrault gehört dazu, ebenso der eine oder andere kultur- und architekturaffine Bauherr. Das Unternehmen MPreis beauftragte den Franzosen in Wattens schon im Jahr 2003 mit einem Entwurf für einen Supermarkt. Bis heute haben sich etliche lokale innovative Architekturbüros in den Gestaltungskosmos rund um die Familie Mölk eingereiht. Arno Ritter bezeichnet MPreis gern als „indirekte Volksbildungseinrichtungen“. Denn viel niederschwelliger als über einen Supermarkt kann man dem Publikum den Zugang zu architektonischen Raumqualitäten kaum legen. Und bei jedem Einkauf gibt’s eine zarte subkutane Impfung dazu: zum Thema, was gute Architektur leistet, auch in einem Alltag, in dem es sich manchmal ganz banal schlicht um Butter und Brot drehen darf.

Kulturfrage. Vor der Baukultur komme in Tirol auch eine ganz andere Kultur, sagt Ritter, jene, die sich schon im Vorfeld des Bauens positiv niederschlägt: in der Kommunikation. „Was ich erst in Innsbruck kennenlernen durfte: Dass man zwar unterschiedliche Haltungen vertreten, aber trotzdem miteinander reden kann. Das ist der Ausdruck einer gewissen Gesprächs-, Verständnis- oder auch Streitkultur“, sagt Ritter.

Und diese hat sich etabliert seit den 1970er-Jahren, innerhalb eines Soziotops, in dem auch etwas revolutionärere Geister wie Georg Pendl, Thomas Moser oder Wolfgang Pöschl ihre baukulturellen Positionen festgezurrt haben. Und dabei Ansprüche und Qualitäten durchaus auch hochgehievt. Biografien haben sich da gekreuzt, die für sich schon bewegt waren, aber zusammen auch einiges bewegen konnten. Auch die Gründung des Aut als Schnittstelle von Meinungen wurde wichtig, als Katalysator der Architektur-Wahrnehmung genauso. „Auffallend ist auch, wenn ich die vergangenen 20 Jahre betrachte, wie sich die Sprache, mit der Architektur behandelt wird, gewandelt hat“, meint Ritter. Gemeinsam mit einer allgemeinen Sensibilisierung dafür, in welchen Formen Architektur überhaupt stattfindet.

Auch Herwig van Staa nennt Ritter als einen, der die Architekturqualität begünstigte. Von 1994 bis 2002 war er Innsbrucker Bürgermeister, mit „intensivem Kontakt zur Kultur- und Architekturszene“, befreundet mit und beeinflusst auch von Robert Schuller, wie Ritter erzählt, dem architektonischen Urheber des Passionsfestspielhauses in Erl. „Auch durch Herwig van Staa gelang es etwa, die Wettbewerbskultur in der Stadt zu heben.“

Natürlich hat auch die Gründung der Fakultät für Architektur vor Ort dazu beigetragen, eine Community bilden zu können. Berühmte Architektur-Tiroler wie Henke & Schreieck mussten ihre Erfolge fast noch zwangsläufig von anderen Städten wie Wien aus einfahren. Den architektonischen Braindrain konnte man mittlerweile stoppen. Junge Architekten versuchen inzwischen innerhalb ihres gewohnten sozialen Umfelds mit ersten Schritten Fuß zu fassen. Und sich danach auch Spielfelder zu erschließen, auf die sie ihre etwas experimentelleren, aufgeschlosseneren Zugänge loslassen. Dazu gehören auch Büros wie etwa LAAC, die den Landhausplatz in Innsbruck gestaltet und auch den österreichischen Beitrag der Architekturbiennale bereichert haben. Oder auch Namen wie Columbosnext. „Kennzeichnend für die Situation hier ist auch, dass es nicht so etwas wie eine ‚Tiroler Schule‘ gibt“, sagt Ritter. „Der Farbfächer der Architektur und der Haltungen, die dahinterstehen, ist breit.“

Die Reise des Autors wurde unterstützt von den Nordkettenbahnen.

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