Filmausstatter: Atmosphärischer Feinstaub

Haarig. Andreas Donhauser von Donmartin Supersets inspiziert die Wildschwein-Population.
Haarig. Andreas Donhauser von Donmartin Supersets inspiziert die Wildschwein-Population.(c) Carolina Frank
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Der Verband der österreichischen Filmausstatter, VÖF, feiert sein 30-jähriges Jubiläum. Und führt zur Vienna Design Week auch in die Tiefen seiner Fundi.

Außer Androiden, Elfen und sprechenden Autos vielleicht: Die meisten Filmfiguren sind dann doch nur Menschen. Mit kitschigen Schneekugeln im Regal, mit Schuh-Fetisch, verwaschenem Lieblings-T-Shirt, ausgeprägtem Socken-Spleen. Und der Angewohnheit, an gelben Füllfedern zu kauen, wenn man nervös ist. Nur so zum Beispiel. Dann brauchen diese erfundenen Menschen noch Teller, von denen sie essen, Uhren, auf die sie schauen, und Telefonhörer, die sie knallen, wenn es Drehbuchautoren so wollen.

Ganze Biografien, komplexe Persönlichkeiten breiten sich da aus – komprimiert auf Filmlänge. Bei 90 Minuten wären das fast 130.000 Einzelbilder, die bis ins letzte Eck des Bildausschnitts mit Bedeutungen gefüllt sind. So dicht, dass man beim Abspann das Gefühl hat, man hätte die Hauptfiguren ein Leben lang gekannt. Da werden Wohnungen, Autos, Schreibtische, Pullover, Krawatten zu stummen Erzählern. Sie flüstern ihren Beitrag ins semantische Rauschen eines filmischen Gesamtbildes, mit einem Zeichenschatz, der so spitz ist wie ein Brieföffner, rund wie der Lieblingshut und löchrig wie der alte Wintermantel, von dem man sich nicht trennen kann.

Requisitenfundus. Peter Ecker, Obmann des Vereins Props.co, kennt zahlreiche Ding-Geschichten.
Requisitenfundus. Peter Ecker, Obmann des Vereins Props.co, kennt zahlreiche Ding-Geschichten. (c) Carolina Frank

Atmosphärisch. Dem Handlungspfad entlang gleiten die Filmfiguren dem vom Drehbuch vorbestimmten Ende zu, dem tragischen, dem happy oder dem offenen. Ihr Weg dorthin ist semantisch ausgekleidet, mit Formen und deren Inhalten. Gesetzt von Menschen, von denen viele in Österreich ein immaterielles Zuhause haben: dem Verband österreichischer Filmausstatter, kurz VÖF. Szenenbildner, Kostümbildner, Innen- und Außenrequisiteure gehören dazu. Und zusammen feiern sie den 30. Geburtstag ihres Verbandes, gleich eine Woche lang – vom 29. 9. bis zum 8. 10. im Rahmen jenes Festivals, das sich traditionell auch der Ausstattung von Welten und der Ausformung von Dingen widmet: der Vienna Design Week.

Werkstattgespräche mit internationalen Szenen- und Kostümbildnern sind in der Geburtstagswoche genauso angesetzt wie etwa Filmvorführungen und Podiumsdiskussionen im Metro-Kino, oder auch eine Ausstellung, die Filmstills zeigt. Aber nicht nur der VÖF gibt sich zum Jubiläum extra „offen“ – auch jene Plätze, an die sich die filmischen Bedeutungsmoleküle nach den Drehtagen zurückziehen: die Kostüm- und Requisitenfundi. Begehbare Schatzkisten, aus denen die Filmausstatter schöpfen, um ihre Ad-Hoc-Universen zu bestücken. Gleichzeitig sind die Fundi jene Orte, an denen sich der heimische Film am ehesten dauerhaft verorten und materialisieren darf, wenn er nicht gerade „on location“ weilt.

Sobald ein Film fertig verpixelt auf der Festplatte liegt, atomisiert sich auch seine Dingwelt, die ihn ein paar Drehtage lang zusammengehalten hat. Die Kostüme gehen zurück an ihre Kleiderstangen, in die Ateliers der Kostümbildner oder in die größeren heimischen und internationalen Fundi. Und so manche Dinge kehren heim an den Ort, wo das Flüchtige des Films auch einen verlässlichen Zufluchtsort hat: Props.Co, der Requisitenfundus auf dem Gelände des ehemaligen Nordwestbahnhofs im zweiten Wiener Bezirk. Dort darf ein Hauch von filmischer Atmosphäre, aufgesogen von tausenden Dingen, in Ruhe in den Regalen abliegen, bis sie das nächste Drehbuch zurück in die Fiktion ruft. Um diesen unsichtbaren atmosphärischen Feinstaub, den Filmrequisiten tragen, wieder in neue Szenen zu streuen.

Kostümbildnerin. Marie-Theres Bartl verantwortete u.a. den Look der Serie „Schnell ermittelt“.
Kostümbildnerin. Marie-Theres Bartl verantwortete u.a. den Look der Serie „Schnell ermittelt“. (c) Carolina Frank

Zeitsubstrate. „Alles, was hier steht, ist schon mal in einer Filmprodukion aufgetaucht“, erklärt Peter Ecker, der Obmann des Vereins Props.Co, der Betreiber des riesigen Requisitenfundus. Raritäten und Banalitäten sind in den Regalen Nachbarn. Ganze Lebensläufe, von der Wiege bis zum Sarg, ließen sich hier bestücken. Und das noch dazu in unterschiedlichsten Zeitepochen, vom Biedermeier bis heute. „Dabei darf man nicht vergessen, dass für uns die 80er oder 90er-Jahre auch schon historische Epochen sind“, sagt Andreas Donhauser, Szenen-, Bühnen- und Kostümbildner. Als hätte man aus verschiedenen Zeitpunkten der ferneren und näheren Vergangenheit eine schlau kuratierte Dingwelt extrahiert: Hier dürfen sich Epochen in Formen und Farben manifestieren. Und dazu auch die ästhetischen und gestalterischen Haltungen, die sie so geraten ließen, wie sie sind. Die Dinge, die hier lagern, erzählen von gesellschaftlichen Zuständen und Stimmungen, fabulieren von der Produktionskultur ihrer Ära. „So hat das alles hier natürlich auch einen sehr dokumentarischen Charakter“, meint Donhauser.

Der Fundus ist ein Design-Museum der anonymen Gestaltung. Ein Universum der verdinglichten Mainstream-Alltagskultur. Ausgebreitet auf 3500 Quadratmetern. Ein Museum, dessen Ausstellungsarchitektur das jeweilige Filmset ist. Das keinen Kurator braucht und keinen Kunsthistoriker. Denn „wertvoll“ ist hier ohnehin keine künstlerische oder materielle Kategorie. Schließlich muss der Requisiteur auch mal für den geknickten Plastik-Kitsch-Eiffelturm quer durch Österreich und noch weiter fahren. Oder sich zumindest pro scheinbar unlösbarer Aufgabe im Internet heillos verlieren. Spätestens dann ist alles wertvoll, was der Szene dient. Früher, erzählt Peter Ecker, funktionierte die Suche nach dem ausgefallenen Banalen eher nach dem Prinzip: Man weiß von jemandem, der wen kennt, der eine Idee haben könnte, wo vielleicht.

Fündig. Szenebildner Hannes Salat und Renate Martin von Donmartin Supersets stöbern bei Props.Co.
Fündig. Szenebildner Hannes Salat und Renate Martin von Donmartin Supersets stöbern bei Props.Co. (c) Carolina Frank

Das Finden hat der Fundus den Requisiteuren jedenfalls erleichtert. „Wenn man eine Kiste Schundhefte will, dann findet man eine Kiste Schundhefte“, sagt Donhauser. Und bei Bedarf werden sie dann Bilder in den Bildern, auf die sich die Kamera richtet. Da malen auch manchmal Gemälde an der Wand tüchtig mit am Gesamteindruck. Gerade klaffen im Fundus ein paar Lücken. „Da wird wahrscheinlich gerade irgendwo ein historischer Film gedreht“, sagt Ecker.

Sammeln. „Bei jedem Film sammelt sich ein wenig Zeug an“, sagt Donhauser, der gemeinsam mit Renate Martin das Atelier Donmartin Supersets betreibt. Oft findet es sein erstes Zwischenlager im Wohnzimmer des Requisiteurs. Dann füllt es schon mal das Atelier. Dann ganze Hallen. „Wir hatten eine beim Südbahnhof. Aber nach zwei, drei Filmen war sie schon wieder voll.“ Im Jahr 2005 schlossen sich schließlich einige Requisiteure und Szenenbildner zu einer Genossenschaft zusammen, bündelten ihre Fundi und machten sie leichter zugänglich. Ein Pool der Ausstattungsmöglichkeiten, in den immer noch Neues sickert. „Am Ende jeder Produktion gibt‘s meist einen Flohmarkt“, erzählt Szenenbildner Hannes Salat. Als würden die Filmfiguren schließlich ihre Wohnungen auflösen und ihren Kleiderschrank ausmisten. Vieles davon wird verscherbelt, verstreut, teils gespendet, oft entsorgt. Und so manches aufgehoben. Was, entscheiden Erfahrung und Gefühl. Auch bei den Kostümbildnern. „Es gibt so Teile, die will man nicht mehr hergeben“, erzählt Kostümbildnerin Marie-Theresia Bartl. Etwa solche, an denen haftet, was man ihnen künstlich nie anheften könnte: so etwas wie Patina, den Code des Gebrauchten. „Das ist nicht so leicht herstellbar, die Spuren des Lebens kriegt man nicht so leicht in die Stücke hinein“, sagt Bartl. Und geht schon mal in die Werkstätten, um den Handwerkern ihre löchrigen, verschmierten Hosen gegen neue zu tauschen. Aber auch Strickjacken sind ein Schatz. „Wenn sie dann noch dazu Löcher haben und in der richtigen Technik gestopft. Dann sind sie für uns schon kostbar“, sagt sie.

Anekdoten-Sammlung. Andreas Donhauser, Renate Martin und Brigitte Hutter, Vorsitzende des VÖF.
Anekdoten-Sammlung. Andreas Donhauser, Renate Martin und Brigitte Hutter, Vorsitzende des VÖF. (c) Carolina Frank

„Die guten Teile hebt man auf, und natürlich auch die historischen“, erzählt Brigitte Hutter, Vorsitzende des VÖF. Auch im Kostümbereich sind 1980er und 1990er-Jahre schon historische Kategorien, die gar nicht so leicht zu bestücken sind. Dann kommt‘s vor, dass durch die Filme immer dieselben Sakkos und Kleider zirkulieren. „Ich sehe ständig die Sachen aus meinem Fundus, die sich Kollegen ausborgen, durch die Filme huschen“, sagt Hutter. Sie selbst hat ihre eigene Schatzkiste auf 250 Quadratmeter in der Wiener Schloßgasse ausgebreitet und in den letzten Jahren verdichtet. Dafür, sagt sie, habe sich das Angebot auf den Flohmärkten deutlich ausgedünnt. „Am Wiener Flohmarkt etwa kriegt man fast gar nichts mehr“, sagt Hutter.

In den USA wirft der dortige Lebensstil hingegen noch mehr potentielle Fundstücke ab: „Die Menschen übersiedeln oft und lassen auch ihre Sachen immer wieder zurück in Garagenflohmärkten.“ Manchmal stehen auch Schauspieler bei Hutter vor der Tür und suchen eine Kleiderstange, auf der ihr abgewetztes Lieblingssakko noch ein paar Jahre abhängen kann. Den Überblick verliert sie nicht: „Ich weiß, was ich hab. Und weiß, wo es ist.“ Auch in der kommenden Woche, wenn der VÖF den 30sten feiert, öffnen so manche Kostümfundi ihr Atelier: der Kostümkontor von Anita Stoisits etwa, der Kostümfundus Navas, oder auch Lambert Hofer, in dem sich vor allem historische Kostüme versammelt haben.

Tipp

30 Jahre VÖF. Das gesamte Programm 29. 9. bis 8. 10. findet sich unter www.filmdesigners.at. Am 29. 9. geht‘s los um 15.30 im Metro-Kino, mit Anekdoten, Werkstattgespräch (19.30) mit Uli Hanisch, Filmvorführung. Am Samstag, 30. 9., lädt der Props Requistenfundus ins „Offene Atelier“. Ab 13 Uhr, nochmals am Montag, dem 2. 10., von 16 bis 19 Uhr. Adresse: Taborstraße 95, Ladestraße 3.

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