Craft-based Design: Handwerk ist Kopfsache

Spiel der Kräfte. Der Tischler Arnold Meusburger kreierte den „Selbst­tragenden Kreis“ aus Ahornholz.
Spiel der Kräfte. Der Tischler Arnold Meusburger kreierte den „Selbst­tragenden Kreis“ aus Ahornholz.(c) Beigestellt
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Die Hände denken mit. Wie das funktioniert, zeigen ein Buch und ein Design-Studiengang.

Design und Handwerk. Die waren einmal ein Paar, ein ziemlich enges, recht vertrautes. Auch weil sie sich wie selbstverständlich ganz ausgezeichnet verstanden haben. Kein Wunder, wohnten sie doch meist auf zwei Gehirnhälften ein und derselben Person. Dann kam die Industrialisierung. Man lebte sich auseinander, trennte sich. Die Entwurfshand und jene, die das Werkzeug hält, waren oft nicht mehr dieselbe. Heute wird jedoch wieder verkuppelt, angebahnt, werden Beziehungen eingefädelt, von Standort- und Wirtschaftsagenturen genauso wie von Gestaltern selbst, die das „Machen“ nicht mehr denen überlassen wollen, die es schon immer gemacht haben. ­Auch das Marketing entdeckte das Handwerk, vor allem als Argument, warum diese Sofas ernsthaft das kosten sollen, was da auf dem Preisschild steht. Gleichzeitig ist die dreckige Werkstattwelt zum Gegenentwurf zum allzu cleanen, entseelten Digitalen geraten. Doch Mythos, Romantik, Wehleidigkeit – das wäre noch lang keine Grundlage für einen Design-­Studiengang, wie ihn Stefan Moritsch an der New Design University in St. Pölten (NDU) in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Dort hat der Designer eigene Erfahrungen, Expertenwissen und wissenschaftliche Zugänge in ein Curriculum eingespeist, das Entwurf und Produktion inhaltlich von Anfang an verbindet. Expertise ist da eingeflossen aus den Mikrouniversen von Atelier und Werkstatt, die kaum noch als Expertise wahrgenommen wurde.

Textiles Handwerk. Veronika ­Perschè arbeitet mit Garn, Wolle, ­Nylon und sogar Stahldraht.
Textiles Handwerk. Veronika ­Perschè arbeitet mit Garn, Wolle, ­Nylon und sogar Stahldraht. (c) Beigestellt

Für das Buch „Craft-based Design“, erschienen im Niggli-Verlag, hat Moritsch diese Welt der „produzierenden Gestalter“ nach subjektiver Auswahl, von der Osttiroler Schlosserei bis zum Wiener Keramikatelier, inhaltlich kartografiert. Dort arbeiten Menschen, die zwischen all den Architekten und Designern und anderen, denen man herausragende Gestaltungsleistungen sofort zutraut, noch keinen so rechten Platz hatten, weder in der Wahrnehmung noch in den Bücherregalen der Designbibliotheken.

Stefan Moritsch betreibt sein eigenes Designbüro, BKM, und leitet den Bachelorstudiengang „Design, Handwerk und materielle Kultur“ an der NDU, der allen offensteht, die schon ein Handwerk gelernt haben. Oder sich – während des Studiums – eines erschließen wollen. Die Verschränkung von Entwurfs- und Handwerkswissen ist die inhaltliche und diskursive Substanz des Designlehrgangs. Genauso wie der thematische Faden durch das „Craft-based-Design“, den Janko Ferk mit seinen Texten atmosphärisch getränkt und leicht zugänglich verdichtet hat. Die Grundlage für das Buch war allerdings eine andere Textsorte: das sozialwissenschaftliche Interview. Drei Jahre lang hat Moritsch Dutzende davon gemeinsam mit Soziologen der Universität Wien im Rahmen eines Forschungsprojekts geführt. Mit „produzierenden Gestaltern, gestaltenden Handwerkern, Designer-Makers. Es gibt viele Begriffe.“ Der Versuch, das Wissen, das da oft unausgesprochen und gleichermaßen unerkannt an so manchem Arbeitsgewand klebt wie Holzspäne, zu erfassen und womöglich zu entschlüsseln.

Esszimmerstuhl. Beim Schlosser ­Peter Bruckner aus Lienz gehen Entwurf und Produktion Hand in Hand.
Esszimmerstuhl. Beim Schlosser ­Peter Bruckner aus Lienz gehen Entwurf und Produktion Hand in Hand. (c) Beigestellt

Materielle Kultur. Für alle Interviewten vom Tischler bis zum Sattler gilt: „Handwerk bedeutet Produktion, mit ökonomischer Relevanz für jene, die das Handwerk betreiben.“ Im Buch lässt Moritsch eine jüngere Generation einer älteren begegnen, in fünf Feldern einer „materiellen Kultur“: Metall, Holz, Textil, Keramik und Glas. „Es sollte auch eine Wertschätzung den Menschen gegenüber werden, die kaum als Gestaltungsexperten definiert werden.“ Jedenfalls keine nostalgische, wehmutsschwangere Rückschau mit inhaltlichen Seufzern wie „der Letzte seiner Zunft“. Eher will Moritsch, genauso wie der Studiengang, Handwerk als Zukunftsthema verstehen. Ein Feld, das lernt, sich neueste Technologien oder auch innovative Vertriebskonzepte für seine Zwecke anzueignen. „Beim Thema Handwerk rutscht man gern allzu schnell in eine rückwärtsgewandte, nostalgisch geprägte Debatte“, sagt Moritsch. Ihn interessiere viel mehr, „was neue Technologien dazu beitragen können, dass wir autonomer produzieren“. Aber auch, was neue Ideen leisten, damit Handwerk auch zugänglich bleibt und sich nicht in einem Luxussegment isoliert. Der Tischler Martin Aigner geht mit seinem Label „Handgedacht“ auf die Konsumenten und ihre individuellen Situationen zu. Jeder kann entscheiden, wie viel man selbst in welcher Form beitragen kann, wenn nicht der Geldtopf die Ressource ist, in die man großzügig greifen kann.

Wertschätzung. „Ich wollte zeigen, was die produzierenden Gestalter machen und leisten“, erklärt Moritsch. Den ersten Kontakt hatte er mit einem Schlosser in Lienz, Peter Bruckner. Innenausstattungen für Kaffeehäuser etwa gehören zu seinen Kompetenzfeldern. „Ich bekam großen Respekt vor seiner Arbeit, der Qualität und dem gestalterischen Zugang“, erzählt Moritsch. Etwa in Form eines Armlehnstuhls aus dem Jahr 1998. Dieser entstand nicht nach einer Entwurfszeichnung, sondern anhand eines 1:1-Arbeitsmodells im Originalmaterial. „Das demonstriert den Anspruch, dass Handwerk selbst auch einen Entwurfsanteil hat. Und deswegen wollte ich, dass diese Leute auch als Entwerfer wahrgenommen werden.“

Peter Bruckner bei der Arbeit.
Peter Bruckner bei der Arbeit.(c) Beigestellt

Vor allem in einer Zeit, in der Digital Natives, haptische Analphabeten und Kulturpessimisten zu den Spezies gehören, die beste Bedingungen vorfinden, um sich zu vermehren. In diesem Revier ist das Handwerk gerade dabei, sich die Zukunft als ökonomische Grundlage zu erobern. Im Studiengang der NDU, der „materielle Kultur“ bewusst im Namen trägt, wird deshalb Handwerk weit gefasst und gedacht: Jeder Studierende soll sich das Material aneignen, das ihm entspricht. Genauso wie das Feld, in dem er später Entwurfshand und -hirn zusammenspannt. So führt der Lehrgang genauso in Ateliers, wo aufblasbare Möbel entstehen, wie auch zu längst traditionellen Bastionen des gestalterischen Wissens, wie zum Werkraum Bregenzer Wald, wo Handwerk, Design und Architektur sich inhaltlich verknotet haben. Dann werden in Workshops wiederum Arduino-Boards gelötet, um Produkten auch Sensoren und interaktives Potenzial mitgeben zu können. Schließlich reicht der Handwerksbegriff in St. Pölten wie auch im Designver­ständis von Stefan Moritsch tief ins digitale Zeitalter hinein. Wie es auch der Soziologe Richard Sennet regelmäßig beschwört: Das digitale Zeitalter hat seine eigenen Formen des Handwerks. Etwa auch, wenn das Produkt ein Code ist, den ein Programmierer geschaffen hat. Neue Technologien ermächtigen den Handwerker, sich neue Produktions- und Vertriebswege zu erschließen, selbst in Kleinserien zu produzieren. „So wird die produzierende Gestaltung in kleineren Strukturen wieder ermöglicht und zusammengeführt, was die Industrialisierung getrennt hat“, sagt Moritsch. Schließlich seien industrielle Produktionsmethoden nicht mehr nur der Industrie vorbehalten. „Tischler verwenden ja seit Jahren CNC-Fräsen. Und auch 3-D-Drucker werden in bestimmten Feldern an Bedeutung gewinnen.“

Auch das sei ein Thema, das im Studiengang untersucht werde. Die Technologien ermächtigen die Umsetzer, „Dinge so zu produzieren, dass die Leute sie auch kaufen können. So löst sich die Trennung von traditionellem Handwerk und Design auf. Ich versuche den Studiengang genau darauf auszurichten“, so Stefan Moritsch.

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Tipp

„Craft-based Design“. Von Handwerkern und Gestaltern. Niggli-Verlag. Herausgegeben von Stefan Moritsch, Texte von Janko Ferk. An der New Design University in St. Pölten kann man sich dem Thema im Studiengang „Design, Handwerk und materielle Kultur“ widmen.

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