Karl Schwanzer: Visionär und Comicfigur

Aufgefädelt. Die Liste der Bauherren von Karl Schwanzer ist lang.
Aufgefädelt. Die Liste der Bauherren von Karl Schwanzer ist lang. (c) Illustrationen: Benjamin Swiczinsky
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Karl Schwanzer wäre letztes Jahr 100 geworden. Und darf jetzt eine ganz neue Rolle spielen. Gezeichnet, in seiner eigenen Geschichte.

Das Hirn liebt Geschichten, gute Plots und Handlungsfäden. Vor allem wenn sie gute Erzähler noch mal so dicht und spannend verweben. Im Café Engländer in der Wiener Innenstadt sind letztes Jahr zwei gesessen, die das besonders gut beherrschen. Der eine: Martin Schwanzer, Sohn von Karl Schwanzer, der letztes Jahr 100 geworden wäre. Anekdote an Anekdote kann er fädeln über seinen Vater, den renommierten Architekten und Architekturvisionär. Der andere: Benjamin Swiczinsky. Der reiht am liebsten Zeichen an Zeichen, Bild an Bild, zu Animationsfilmen – gemeinsam mit zwei Partnern hat er das Studio „Neuer Österreichischer Trickfilm" gegründet. Manchmal zeichnet er aber auch Filme auf Papier, sodass man plötzlich auch blättern kann, in einem Zeitraum von 100 Jahren Zeitgeschichte. Oder auch im Leben eines Mannes, der für die Architektur gelebt hat und gebrannt.

Geschichtenerzähler. Martin Schwanzer war die Quelle, und Swiczinsky der Schwamm. Schwanzer kam auf den Zeichner zu, mit der Idee, für das Leben seines Vaters eine besondere, eine neue Erzählform zu finden, Und so begann Swiczinsky sich seinerseits einer Ikone der österreichischen Architekturgeschichte zu nähern. Einem Mann, der selbst eine Reihe von Ikonen hinterlassen hat, inzwischen denkmalgeschützte Bauten sind darunter, wie das 20er Haus, das heutige Belvedere 21 in Wien, das als Pavillon für die Weltausstellung 1958 in Brüssel begonnen hatte. Oder das Philips-Haus am Wienerberg. Oder die legendäre BMW-Zentrale in München. Und weil keine Ikone ohne Mythos auskommt, heißt es auch, dass Schwanzer diesen Entwurf ganz speziell veranschaulicht habe: mit vier Maßkrügen Bier nebeneinander.

Figuren­entwicklung.
Figuren­entwicklung. (c) Illustrationen: Benjamin Swiczinsky

Und dazwischen, dahinter und darüber hinaus gab es noch so einiges zu erzählen. Swiczinsky hörte, las und schaute sich durch das üppige Karl- Schwanzer-Archiv, das sein Sohn betreute. Super-8-Filme vom Italien-Familienurlaub, Schallplattenaufnahmen, Pläne – all das skizzierte das Bild eines Architekten und seines Berufsethos mit. Und das konturierte Swiczinsky mit stimmungsvollen Erzählsequenzen nach. Zuerst die analoge Datenverabeitung, im Hirn des Zeichners. Dann die digitale. Mit dem Stift auf dem digitalen Zeichenbrett. So entstand der Comic „Schwanzer. Architekt aus Leidenschaft", der im Birkhäuser Verlag erschienen ist. Der Band erzählt Zeit- und Architekturgeschichte zugleich, wie er schon am Cover behauptet. Und dabei hüpft die Bildsprache und erzählerische Form über sämtliche Schwellen, die sich sonst gern zwischen Architektur und Menschen, die täglich von ihr umgeben sind, legen. Und die Comicfigur Schwanzer war natürlich auch Privatperson, die trotz der hellen Erfolgsjahre in der Architektur wohl auch düsterere Einschlüsse in sich trug, Karl Schwanzer beendete sein Leben selbst. Das war 1975. Eine Düsterheit, die der Band höchstens andeuten will. „Wir wollten Karl Schwanzer auf keinen Fall psychologisieren", sagt ­Swiczinksy. Und als Aufgabe sah er es auch nicht, Schwanzer über sein Privatleben zu charakterisieren, sondern viel mehr und vor allem über sein architektonisches Schaffen und seine visionären Ideen.

Benjamin Swiczinsky selbst stand Architektur familiär nahe, inhaltlich aber nicht so ganz, wie er zugibt. Obwohl sein Vater Helmut Swiczinsky das Architekturbüro Coop Himmelb(l)au mitgegründet hatte. Eine Architektengeneration, die dem Experiment aufgeschlossen und mitgeprägt worden war durch die Ideen Schwanzers, der viele Jahre an der TU Wien doziert hatte.

Zeichner. Benjamin Swiczinsky gründete „Neuer Österreichischer Trickfilm“.
Zeichner. Benjamin Swiczinsky gründete „Neuer Österreichischer Trickfilm“. (c) Eugenia Maximova/Anzenberger

Es hätte auch ein Film werden können ursprünglich. Oder nur eine kleine illustrierte Beilage zu einem der Bücher, die zu Karl Schwanzers Geburtstag kürzlich erschienen sind oder noch erscheinen werden. Aber je mehr Anekdoten und Geschichten Swiczinsky im Café Engländer notierte, desto klarer wurde: Es muss etwas Eigenständiges werden. Wie ein Film ist das Werk trotzdem geworden. Nur mit viel, viel weniger Bildern in der Sekunde. Ansonsten hatte Swiczinsky als Zeichner zirka jede Rolle über, die man auch beim Film spielen kann außerhalb der Handlung: Regisseur, Kameramann, Setdesigner, Dramaturg. Und: „Es verhält sich auch fast so wie beim Filmschnitt", sagt Swiczinsky, wenn man die „Kästchen" mit den Bildern immer wieder umreiht. „Nur dass es beim Film niemand bemerkt, wenn man Bilder rausschneidet. Aber im Comic fällt die Struktur der Seite gleich zusammen." Denn Swiczinsky zeichnete nicht nur jeweils am Einzelbild, sondern stets auch am Gesamtbild. Und das hat der Zeichner auch in verschiedene Stimmungslagen eingefärbt. Schon das Cover deutet farblich die 1970er-Jahre an, grün, orange und gelb. Denn die Rahmenhandlung spielt in den 1970er-Jahren. Und von dort aus blendet die Graphic Novel zurück, in Episoden der Vergangenheit, die zweifärbig ihre ganz eigene Stimmung ausdrücken.

„Schwanzer. Architekt aus Leidenschaft". Von Benjamin Swiczinsky, mit Texten von Filmemacher Max Gruber. Erschienen im Birkhäuser Verlag.

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