Reinhard Gerer: Sechs Platten und ein Koch

(c) Christine Ebenthal
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Das Rezept für das vielleicht ideale Lokal braucht nur wenige Zutaten: eine Kochlegende, Kutteln, Platzmangel, Schneebesen und Lust am Schmähführen.

(c) Christine Ebenthal

Und die Butter feiert fröhliche Urständ. Ein möglicher Schlusssatz für diese Geschichte, der jedoch am Anfang stehen darf, um gleich einmal die Marschrichtung vorzugeben. Reinhard Gerer kocht wieder. Und man darf hoffen, dass er damit nicht so schnell wieder aufhört. Gerade für sehr junge Köche, die das legendäre Korso nicht mehr kennen, könnte es eindrucksvoll sein zu schmecken, was das Schlagwort „große Küche“ aus der Prä-Noma- und Prä-Pacojet-Zeit bedeuten kann und was dieser französische Einfluss ist, von dem man schon einmal vage etwas gehört hat.

„Gerer, ist das nicht dieser Koch, den man aus den Seitenblicken kennt?“, fragt eine jüngere Kollegin. Ja, ist er, und ja, sein Stern war irgendwann einmal gesunken – von ehemals vier Hauben war es 2008 nur mehr eine. Reinhard Gerer ist aber auch einer, ohne den die heutige österreichische Küche nicht so wäre, wie sie ist. Klar, das ist schon zur Genüge breitgetreten worden, es darf aber aus gegebenem Anlass daran erinnert werden. Gerer, der von Werner Matt, Eckart Witzigmann und Paul Bocuse gelernt hat, kochte im wohl berühmtesten Hotelrestaurant des Landes, dem Korso im Bristol. Gerer hat Beuschl und Kutteln salonfähig gemacht, Taube auf Krautfleckerln gebettet und Klassiker geschaffen wie den Rollmops vom Lachs oder die – so die Korso-Mär – aus verschüttetem Zitronensaft resultierten Zitronennudeln mit Kaviar.
Signature Dishes, wie sie jeder große Koch, jede große Köchin vorweisen sollte (allein um der genussinteressierten Meute das Smalltalken leichter zu machen). Gerer hat aber auch unzählige Köche ausgebildet, von denen manche ihrerseits als relevante Lehrmeister gelten dürfen, etwa Toni Mörwald. Bei Gerer lernten Martina Willmann, von der er sich stets besonders beeindruckt zeigte, Christian Domschitz, Josef Hohensinn, sowohl Andi als auch Alex und zig weitere. „16 Köche hatten wir eigentlich im Korso. Meistens ein paar weniger, weil ich, na ja . . .“ – Gerer selbst bringt den Stil seines Regiments lieber mit einem lauten Lachen auf den Punkt.

Winzig. Seit Kurzem kann man sich nun selbst davon überzeugen, wie Essen schmecken kann, wenn es auch einmal ein bisschen Cholesterin sein darf. Reinhard Gerer steht im winzigen Gewölbeschlauch namens O in der engen Wiener Sonnenfelsgasse am Herd, Wirtin ist seine Frau Nathalie. „Ich kenn mich noch nicht aus, aber es wird“, sagt Gerer nach den ersten Tagen. Nicht dass man sich hier verlaufen könnte – die Küche darf sich mit sechs Herdplatten und einer Miniaturarbeitsplatte zu den übersichtlicheren zählen, um die zur Verfügung stehende Größe mit euphemistischen Worten zu würdigen. Aber Gerer muss sie eben noch zu seiner eigenen machen. „Spielzeugküche“, sagt er, und „die Kaffeemaschine muss weg.“ Die ist, dem italienischen Vorgänger sei Dank, riesig und nimmt dem Koch nur Platz zum Arbeiten. Ebenfalls weg soll, wenn es nach ihm geht, der Prosecco.
„Prosecco!“, ruft Reinhard Gerer verächtlich näselnd.

„Zum Aperitif gehört ein Bier her, ein Glas Weißwein oder natürlich Champagner, damit das was G’scheites wird.“
Vakuumierte Kutteln liegen neben Gegenbauer-Bier in der Kühllade, die Rumrosinen für den Kaiserschmarren stehen im Marmeladeglas auf dem Schnapsregal. Architekt Paolo Piva, der im Korso 2004 die berühmte Onyxwand installiert hat, sei schon vorbeigekommen und habe Gerer sogleich seine diversen Pläne verlautbart. „Eine Glaswand vor der Küche, aber ich bin ja kein Affe im Zoo“, der Vorschlag amüsiert Gerer durchaus. Dass seine Weggefährten so rege teilhaben an seinem neuen Projekt, scheint den Koch aber doch ziemlich zu befriedigen. Ein Teil des Publikums sieht nach ehemaligen Korso-Abonnementen aus, einen Gutteil des Rests machen Anrainer aus, und nicht zu selten dürften sich diese Zielgruppen auch überschneiden.

Spontanaktionen. Die Karte listet etwa acht Gerichte und ist schwungvoll handgeschrieben; ob sie mit „Karte“ oder „Heute“ betitelt ist, ist da schwer auszumachen. Und manchmal gibt es keine Karte, sondern ein lebendes weibliches Navigationssystem, weil Gerer sich dauernd neu entscheidet, was er an diesem Tag zu kochen gedenke und seine Frau nicht permanent neu kopieren gehen will. Die Gäste werden auch einmal darauf hingewiesen, dass man nur sechs Herdplatten habe und es, frei übersetzt, dem Meister Schweißperlen ersparen würde, wenn pro Tisch nicht allzu divergent geordert werde.

Reinhard Gerer kocht im O etwa seine Cremesuppe aus weißen Zwiebeln und Paradeisern, und angesichts der Einlage nimmt man Notiz, dass ihm Trends ebenso herzlich egal sind wie die Debatte, ob Jakobmuscheln überschätzt und „aber sowas von passé“ sind oder das Gegenteil der Fall ist. Hier kommt man eben her, um zu essen, wie man hierzulande lang nicht mehr gegessen hat. Statt Vogelmiereneis auf verbrannten Brotbröseln oder hausgemachtem Sanddorn-Frufru gibt’s Eierspeis mit Albatrüffeln und Cremespinat, Froschschenkel oder Nudeln mit Gänseleber und Cognac. Letztere sind ein Gericht, das aber wirklich sowas von passé ist, und gut ist’s. Wenn Gerer in Form ist und man am Nachbartisch jemanden findet, mit dem man eine Kaiserschmarren-Zweckgemeinschaft bilden kann, gibt er spätabends noch mit großem Grinser den Schneebesen-DJ. Reinhard Gerer pur – das war eine Nische, die nur er füllen kann.

Tipp

Reinhard Gerer kocht im O in der Sonnenfelsgasse 5, 1010 Wien. Mo, Di, Fr, 18–24; Mi, Do, 12–24 Uhr; Tel.: 01/ 512 27 03.

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