Die Macht der Sommeliers

Sommelière Anna Gstrein: „Diejenigen, die wenig Ahnung haben, sind oft am experimentierfreudigsten.“
Sommelière Anna Gstrein: „Diejenigen, die wenig Ahnung haben, sind oft am experimentierfreudigsten.“Die Presse
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Früher waren es Weinbewertungen, heute sind es die Sommeliers großer Restaurants, die ein Weingut groß oder klein machen können. Wobei die Macht der Sommeliers beschränkt ist – etwa durch mündige Gäste.

Sie gelten als die neuen Stars in der Gastronomie. Nach dem Hype um die Köche sind nun also die Sommeliers dran. Sie sind jung und machen sich – auch medial – besser als das Vorgängermodell im steifen Anzug und mit dem obligatorischen Tastevin (einer kleinen Verkostungsschale) um den Hals. Sie verfügen über Fachwissen, sind kreativ und geben dem Gast eben nicht das Gefühl, ein ahnungsloser Tölpel zu sein, der den Wein nicht wert ist, denn er – dem Sommelier sei dank – bald konsumieren darf, sondern vielmehr ein Mensch, der sich auf seinen Geschmack verlassen soll. Und einer, der nichts riskiert – immerhin kann jede Kostprobe zurückgeschickt werden –, aber sehr viel gewinnt, wenn er sich auf Neues einlässt.

Es soll sogar Gäste geben, die Lokale nicht mehr des Koches wegen, sondern des Sommeliers wegen besuchen. Steve Breitzke, der Sommelier im Das Loft Wien, soll solche Gäste haben. Vom neuen Status als kulinarischer Popstar ist er nur bedingt begeistert. „Das ist ein Fluch und ein Segen.“ Ein Sommelier ist für ihn immer noch ein „Mittel zum Zweck. Ich habe den Wein ja nicht produziert.“ Die Ehrfurcht, die so mancher Gast früher einmal einem Sommelier gegenüber hatte, werde stetig weniger. Das hat auch damit zu tun, dass sich Gäste für die Materie interessieren und auch gern mitreden. Als lästig empfindet er das nicht, im Gegenteil. Die Diskussion mit Gästen mache die Arbeit eben weitaus spannender als ein entschuldigendes „Ich kenn mich nicht aus“, das er, wenn auch seltener, so doch immer noch hört. Problematisch seien für ihn viel mehr jene Menschen, „die glauben zu wissen, was ihnen schmeckt, das aber nicht richtig wiedergeben können“. So hat er einmal einem Gast 14 verschiedene Weine gebracht, und jeder einzelne wurde von diesem zurückgeschickt. „Da war ich dann schon mit meinem Latein am Ende. Er hat dann ein Bier getrunken, auch in Ordnung.“

Anna Gstrein, Sommelière im Restaurant Zur blauen Gans im Burgenland, sieht die immer besser informierten Gäste ebenso als Bereicherung. Wobei sie festgestellt hat: „Diejenigen, die wenig Ahnung von der Materie haben, sind oft am experimentierfreudigsten.“ Aber es gibt eben auch jene, die ihr Wissen anbringen wollen. „Unter dem Strich muss der Gast das Gefühl haben, dass er recht hat. Man muss das diplomatisch machen. Die meisten Herren sehen das nicht gern, wenn ich sie vor einer Dame blamieren würde“, sagt Gstrein, die als eine der wenigen weiblichen Sommeliers hin und wieder aber auch erklären muss, dass eben sie die Weinexpertin im Haus ist, und kein Kollege. „Aber das nehm ich mit Humor, da muss man drüberstehen.“


Kleiner Machtbeweis. Schwierig, sagt sie, sei es nur dann, „wenn die Gäste schon im Auto gestritten haben. Dann kann es schon passieren, dass der Gast als kleinen Machtbeweis seinerseits die ersten drei Weine zurückschickt.“ Das sei aber eher die Ausnahme. Denn ein guter Sommelier stelle eben nicht den eigenen Geschmack, sondern den des Gastes in den Vordergrund.

Auffällig ist, dass die heimische Sommelierszene sehr jung ist – und sehr gut. „So gut waren sie noch nie. Ich kann nicht erklären, warum, aber diese Generation ist so“, sagt dazu Adi Schmid, Sommelier im Steirereck im Stadtpark und seit rund 40 Jahren im Geschäft. Auch ihn freut der immer mündiger werdende Gast. „Natürlich kommt es vor, dass sich einer matchen will, aber das ist ja das Schöne im Beruf“, sagt Schmid. Fachlich aber könne eine Privatperson nicht mithalten. „Natürlich wissen die Gäste mehr als früher, aber dadurch wissen sie nicht mehr als ein Sommelier. Wenn man sich nicht täglich damit beschäftigt, hat man keine Chance.“

Ein Schwinden der Ehrfurcht gegenüber den Sommeliers kann er nur indirekt bestätigen: „Ich wusste gar nicht, dass es eine Ehrfurcht gibt. Aber ein gewisser Respekt ist schon da.“ Er beobachtet durchaus einen Unterschied zwischen heimischen und internationalen Gästen, was die Offenheit gegenüber ungewöhnlichen Weinen betrifft. Während Österreicher eher konservativer wählen, haben Menschen aus Nordeuropa etwa keine Berührungsängste gegenüber Naturweinen. Auch die Gesellschaft, mit der man bei Tisch ist, beeinflusst die Experimentierfreudigkeit. Gäste, die wegen eines wichtigen Geschäftstermins oder aber privat aus einem speziellen Anlass essen gehen, gehen beim Wein lieber auf Nummer sicher, während eine gemütliche Runde im Freundeskreis gern auch experimentiert, meint Schmid. Bei der Küche sind die Gäste allerdings noch weitaus aufgeschlossener als beim Wein. „Bei manchen Kreationen denke ich mir schon, geht das? Aber es funktioniert, während ein Orange Wine eher abgelehnt wird.“

Wobei sich Letzteres wohl bald ändern wird. Denn Orange Wine ist mittlerweile weit mehr als ein Trend, nämlich etwas, was einfach dazugehört und sich in die Vielfalt der Weinwelt einreiht. Davon ist auch Annemarie Foidl, Präsidentin des Österreichischen Sommelierverbandes, überzeugt: „Bio wird noch wichtiger und intensiver werden. Orange Wine wird Teil des Ganzen. Das ist nichts Exotisches mehr.“ Daran dürften auch die jungen, heimischen Sommeliers nicht ganz unbeteiligt sein. Denn auch wenn jeder Sommelier seine eigenen Vorlieben in den Hintergrund stellt, fällt schon eine gewisse Affinität zu jenen Winzern auf, die naturnah und nachhaltig arbeiten. „Ich würde das einem Gast nicht aufdrängen, aber mir ist es schon wichtig, wie ein Winzer arbeitet und mit der Natur umgeht“, sagt dazu Gstrein. Auch Breitzke hat darauf ein Auge und kann es etwa gar nicht ausstehen, wenn ein Winzer das Thema nur aus Marketinggründen aufnimmt.


Verkaufen, nicht nur beraten. Dass ein Sommelier nicht nur den Gast bei seiner Auswahl beeinflusst, sondern Weingüter stärken kann, sehen die Sommeliers nur bedingt so. „Die Macht wird eher weniger. Ein Sommelier allein hat nicht so viel Einfluss, sondern eher die Gastronomie. Wenn ein Winzer in großen Restaurants vertreten ist, macht das schon etwas aus. Das ist ja auch das Ziel jedes Winzers“, sagt Schmid und verweist auf den Schweizer Winzer Daniel Gantenbein. „Er hat zwar nur sechs Hektar, aber sich vorgenommen, auf jeder Weinkarte eines Michelin-Restaurants zu stehen – das hat er auch erzielt.“

Für Annemarie Foidl ist ein Sommelier ein „Botschafter der Getränke“ – immerhin befasst sich ein Sommelier nicht nur mit Wein, sondern auch mit allen anderen flüssigen Speisebegleitern bis hin zu Zigarren und Käse. Aber sie stellt auch klar: „Ein Sommelier ist da, um zu verkaufen, er ist nicht nur Lexikon und Gesprächspartner.“ Und: Er sei nicht nur Begleiter des Gastes, sondern eben auch Partner des Gastgebers. „Ein Sommelier soll das so umsetzen, wie sich das der Gastgeber vorstellt“, meint Foidl.

Insofern ist die Macht der Sommeliers zwar nicht grenzenlos. Vielleicht ist sie momentan aber einfach ein bisschen größer, weil das Produkt, mit dem er sich befasst, derzeit besonders geschätzt wird.

Auf einen Blick

Ein Sommelier ist nicht nur ein Experte für Wein, sondern generell für alle Speisenbegleiter, also auch für Bier, alkoholfreie Getränke, Tee, Kaffee, Destillate, Wasser sowie Käse und Zigarren. Ein Sommelier oder eine Sommelière berät nicht nur den Gast, sondern ist auch für den Einkauf der Weine, die Weinkartenpflege sowie die Lagerung der Flaschen zuständig.

Der Österreichische Sommelierverband
hat rund 2000 Mitglieder, wobei nicht jeder diplomierte Sommelier auch Mitglied ist. Präsidentin des Sommelierverbandes ist Annemarie Foidl, die in Tirol das Hotel und Restaurant Angerer Alm führt. sommelierunion.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2016)

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