„Milch ist mehr als ein Lebensmittel“

Thomas Stollenwerk hat sich auf Nachhaltigkeit spezialisiert.
Thomas Stollenwerk hat sich auf Nachhaltigkeit spezialisiert.
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„Biorama“-Chefredakteur Thomas Stollenwerk über sein „Schwarzweißbuch Milch“.

Das Image der Milch hat in den letzten Jahren abgenommen. Woran liegt das?

Thomas Stollenwerk: Tierschutz, Veganismus, Klima- und Umweltschutz sind Aspekte, die in den letzten Jahren immer wichtiger wurden. Daraus resultiert ein Rechtfertigungsdruck für Produzenten, hinsichtlich der Methoden, die sie verwenden. Das ist bei Milch nicht viel anders als in anderen Branchen, nur ist Milch ein sehr alltägliches Produkt. Und eines, zu dem viele Menschen einen Bezug haben, weil die Milchwirtschaft auf dem Land sichtbar ist. Dazu kommt, dass die Art und Weise, wie Milch vermarktet wird, und die Bilder, die die Werbung verwendet, sehr stark von der Realität der Milchproduktion abweichen. Daraus entsteht eine Art Konflikt, der nicht imagefördernd ist.

Aber die heimische Milchwirtschaft ist ja sehr klein strukturiert.

Das stimmt. Österreich ist auch nicht das beste Beispiel für ein Land, in dem das Image der Milch dermaßen stark abgenommen hat. Die österreichische Milchwirtschaft ist noch kleinteiliger, der Bio- und der Freilandanteil sind höher, die Futtermittel wahrscheinlich deutlich weniger importiert, und die Flächenbindung ist noch ein bisschen enger als in Teilen Deutschlands.

Also ist die Milchwirtschaft in Österreich relativ gut?

Diese allgemeinen Trends, die kritisiert werden, der große Wachstumsdruck der einzelnen Betriebe, der Druck, mehr zu investieren, um größere Kapazitäten zu schaffen, auch der Druck auf den Milchpreis, der gilt in Österreich auch. Aber man muss schon sagen, dass der Verbrauchermilchpreis in Österreich ein Stück weit über dem in anderen europäischen Ländern liegt.

Wie groß ist der Imageverlust wirklich? Der Konsum bleibt ja stabil.

Genau. Die Frage ist, ob sich der Imageverlust überhaupt nachweisen lässt. Es geht in der Landwirtschaft vielfach um die „licence to operate“, die man sich von der Gesellschaft abholt. Also die Grundlage, so zu arbeiten, wie man arbeitet, und die Frage, was als legitim empfunden wird und was nicht. Ich glaube, dass das Produkt Milch weniger unter diesem Imagewandel leidet als die Landwirtschaft, die das Gefühl hat, die Gesellschaft hat einen gewandelten Anspruch an die Art und Weise, wie wir produzieren, sprich ökologischer, nachhaltiger, tierwohlorientierter.

Ist Milch zu günstig?

Schwer zu beurteilen. Was ich an dieser Preisdebatte schwierig finde: Man tut so, als gäbe es den einen Milchpreis, der es allen Teilnehmern dieses Wirtschaftszweigs erlauben würde, kostendeckend, gewinnbringend und gesund zu arbeiten. Aber egal, wo dieser Preis liegt – für diejenigen, die am effizientesten und günstigsten produzieren, steigt mit einem höheren Preis die Gewinnspanne.

Also eher unterschiedliche Kategorien?

Ja genau, das wäre gerechter. Ich glaub, es geht allgemein darum, Preistransparenz und Ehrlichkeit zu erzeugen, die den Verbrauchern auch zeigt, wo die Kosten für die Milcherzeugung entstehen. Und das sind eben nicht nur die Kosten der unmittelbaren Produktionsmittel, sondern auch die Kosten, die hinsichtlich Klima und Umwelt dazukommen. Dass der Preis für einen Liter Milch eben die ganze Bandbreite an Kosten abdeckt, die für die Produktion von Milch entstehen.

Was war am überraschendsten bei der Recherche zu Ihrem Buch?

Nicht eine Sache, aber es hat mich schon überrascht, an wie vielen Stellen einem Milch begegnet. Man kann kaum eine Zeitung aufschlagen, ein Fernsehgerät aufdrehen, ohne irgendwo mit dem Milchthema konfrontiert zu werden. Es wird darüber diskutiert; es erscheinen ständig neue Produkte aus Milch; Kühe als solche und Tierschutz sind ein Thema; die Frage „Glasflasche ja oder nein?“ und so weiter. Milch ist ständig präsent. Es stützt den Eindruck, dass Milch vielmehr als ein Lebensmittel ist. Es muss irgendwie eine Art kulturelle Bedeutung für diesen mittel-, west-, nordeuropäischen Raum haben. In welcher Breite Milch als Thema auftaucht, hat mich doch überrascht.

Und trotzdem wissen wir wenig über Milch.

Es gab 2015 eine Umfrage von Peta, durchgeführt von GfK, bei der man festgestellt hat, dass ungefähr der Hälfte der Deutschen der Zusammenhang, dass eine Kuh ein Kalb bekommt und deshalb Milch gibt, nicht klar war. So, als wäre es die Kernaufgabe der Kuh, ständig Milch zu produzieren. Dass das den Verbrauchern so unklar war, hat mich überrascht. Eine andere Studie hat gezeigt, dass Verbraucher eine völlig andere Vorstellung von Good Practice – also der Form von Milchviehhaltung, die sie für sinnvoll und richtig halten – als Milchbäuerinnen und Milchbauern haben. Konsumierende sehen fast ausschließlich die Weidehaltung positiv, die Haltung in offenen Laufställen wird schon kritisch gesehen. Das ist interessant, weil die Fläche, die für die Milchwirtschaft zur Verfügung steht, nicht wachsen wird.

Zum Thema

Thomas Stollenwerk
Der gebürtige Deutsche lebt seit 2007 in Wien. Der Chefredakteur des Magazins „Biorama“ hat sich auf Nachhaltigkeit spezialisiert.

„Schwarzweißbuch
Milch“

Residenz Verlag,
192 Seiten, 19 Euro.
Aus der Reihe
„Leben auf Sicht“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2019)

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