Wermut: Flüssiges Gewürz

Wermut Fluessiges Gewuerz
Wermut Fluessiges GewuerzWikipedia
  • Drucken

Man findet ihn in jeder Cocktailbar, doch kaum jemand nennt ihn bei seinem Namen. Wermut ist nicht automatisch Martini.

Keita Djibril rührt bedächtig in seinem Kaffee und lächelt. Wie lange er schon hinter der Bar steht? „Fast 30 Jahre“, antwortet er und ergänzt: „Ich werde bald sechzig.“ Fünf Nächte in der Woche verbringt er in der Silver-Bar des Hotels Triest. Wie man es in diesem Job so lange aushält? „Eine gute Frage“, sagt der in Senegal geborene Barkeeper und lächelt. „Du darfst dem Alkohol nie zu nahe kommen.“
Der Grund, warum ich den besten Barkeeper Wiens besuche, sind nicht seine Drinks. Mehr als 1000 Cocktails hat er im Laufe der Zeit kreiert. Ich möchte seine Meinung über eine Spirituose einholen, die zwar aus keiner guten Bar wegzudenken ist, die vielen Drinks ihren Stempel aufdrückt, aber fast nie als Qualitätsprodukt wahrgenommen wird. Über Whiskys, Rums und Wodkas wird trefflich diskutiert. Aber wie ist es mit dem Wermut?
Kein Mensch sagt Wermut. Alle sagen Martini. Denn der mit Kräutern, Zucker und Weingeist aufgespritete Wein wird in der Regel mit jener Marke assoziiert, die mittlerweile im Besitz des Bacardi-Konzerns ist. Was die Nachfahren von Alessandro Martini und Liugi Rossi aus ihrem Wermut gemacht haben, ist ein Meisterwerk des Marketings. Das im italienischen Städtchen Pessione beheimatete Unternehmen vermarktete nicht Geschmack, sondern Image. Schnelle Autos, populäre Sportler und natürlich ein britischer Geheimagent mit der Lizenz zum Töten verhalfen dem Getränk zu Weltruhm.

Lange Geschichte.
Keita hat schon wieder dieses schelmische Lächeln im Gesicht. Wenn jemand in seiner Bar einen „Martini“ bestellt, fragt er immer nach, ob ein „Martini-Cocktail“ oder Wermut gemeint ist. Manchmal reagieren Gäste ungehalten, weil sie sich ertappt fühlen. So mancher bestellt dann eingeschnappt den „Martini-Cocktail“ und ist verwundert, dass dieser so gar nicht nach Martini schmeckt. Martini verleiht dem Drink zwar seinen Namen, der Inhalt besteht aber zum größten Teil aus Gin.
Die Geschichte des Wermuts reicht bis in die Antike zurück. Schon Griechen und Römer versetzten Wein mit Kräutern. Nur so war der Wein nach einer gewissen Zeit noch halbwegs genießbar. Auch der Vermouth im heutigen Sinn wurde vermutlich geschaffen, um miesen Wein zu veredeln.

Als sein Erfinder gilt der Piemontese d’Alessio, der seinen Kräuterwein als Medizin an den französischen Königshof verkauft hat. Wichtigste Beigabe war das bittere Wermutkraut. Und es mag Zufall sein: Aber immer, wenn das Leben bitter wurde, griffen die Menschen zum bitteren Elixier. Etwa nach der Französischen Revolution. Damals verweigerte der Pariser Lebemann Grimod de la Reynière die Suppe und forderte stattdessen ein Gläschen Kräuterwein als Coup d’avant. Der Aperitif war geboren. Und plötzlich fanden sich auch in den französischen Alpen Menschen, die Wein mit Wermutkraut und anderen feinen Alpenkräutern versetzten. So gründete im Jahr 1821 Joseph Chavasse in Chambery am Fuß der Savoyer Alpen eine Vermouth-Produktion, die heute unter dem Namen „Dolin“ firmiert und deren Erzeugnisse zu den besten Vermouths der Welt zählen. Zur selben Zeit begannen im südfranzösischen Marseillan die Herren Joseph Noilly und Claudius Prat mit der Vermouth-Herstellung. Sie lagerten den Grundwein in Eichenfässern und schufen mit dem „Noilly Prat“ den Inbegriff des trockenen Wermuts. Mittlerweile ist auch „Noilly Prat“ Teil des Bacardi-Martini-Weltkonzerns.

Ein Gewürz. „Natürlich ist Wermut nicht gleich Wermut“, sagt Michael Mattersberger. Der Tiroler war einst Star-Barkeeper, shakte für die St. Moritzer High Society und wurde in der Schweiz zum „Barkeeper des Jahres“ gekürt. Heute arbeitet er für den deutschen Getränkehändler Haromex und vertreibt unter anderem „Dolin“-Vermouth. Wermut pur oder mit Soda zu trinken, würde Mattersberger aber nicht in den Sinn kommen. Leonhard Specht schon. Der Wiener hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Wermut ins Rampenlicht zu rücken. Nicht ohne Eigennutz. Schließlich betreibt Specht hinter dem Wiener Westbahnhof die Wermutkellerei „Burschik“. Seit 1891 fristet sie ein unbemerktes Dasein. Denn Wermut wurde bisher nicht unter eigenem Namen, sondern für Handelsketten hergestellt. Das soll sich nun ändern. Burschik-Wermut mit Soda, Sekt oder pur soll zum neuen Sommer- und Partydrink avancieren. Und die Zeiten wären bitter genug für Wermut.

So wie die große Zeit der Cocktails in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts begann. In den USA wurde die Prohibition aufgehoben, die Welt steckte noch immer in einer großen Depression und in Europa kündigte sich die nächste Welttragödie an. Keita mixt einen „Keita“, seine alkoholfreie Cocktailkreation. Kommt wieder die Zeit für harte Drinks? Es gebe viele Gründe, warum sich jemand in seine Silver-Bar verirrt, Geldsorgen zählen nicht dazu, antwortet er. Kein Wermutstropfen? „Immer wieder ein Wermutstropfen.“ Dutzende Male nimmt der Barkeeper jeden Abend die Flasche mit dem trockenen Wermut in die Hand. „Wissen Sie, wie lange ich mit einer auskomme?“, fragt Keita. Ich zucke mit den Schultern. „Einen Monat“, beantwortet er seine Frage selbst. „Wermut ist nämlich ein Gewürz“, sagt er mit dem einladenden  Lächeln eines routinierten Barkeepers.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.