Auf der Jagd nach falschen Heiligen und Heilern

Unter dem Deckmantel von spirituellem Yoga manipuliert so mancher Guru seine Anhänger.
Unter dem Deckmantel von spirituellem Yoga manipuliert so mancher Guru seine Anhänger.(c) Reuters/Lucy Pemoni
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Sie hat die Missbrauchsvorwürfe rund um Agama Yoga Thailand aufgedeckt, Psychosekten enttarnt und die körperlichen und psychischen Übergriffe Dutzender Gurus ans Tageslicht gebracht. Aufdeckerin Be Scofield ist unter selbst ernannten Heilern gefürchtet.

Wo sie gerade wohnt, will sie nicht sagen. Irgendwo an der amerikanischen Ostküste. Es ist dämmrig in ihrer Holzhütte. Be Scofield liegt auf dem Bett und isst Tortillachips aus einem Sackerl. Um ihren Kopf ist ein Tuch geschlungen. Kein Turban, sondern einfach ihr Stil. Sie ist die Letzte, die sich religiösen Kleidungszwängen unterwerfen würde. Die Onlinejournalistin – 38, trans und queer – ist die Antisektenheldin des Digitalzeitalters. Als Ein-Frau-Mission hat sie bereits ein Dutzend Gurus als falsche Heilige vom Thron gestoßen. Nicht weil sie die Esoterikszene hasst. Sondern weil sie diese besser als viele kennt.

„Ich interessiere mich für Spiritualität“, sagt sie. „Meine Zielscheibe ist im eigenen Team, nicht bei den Rechten. Damit schieße ich mir selber in den Fuß. Aber sonst macht es niemand.“ Ihre Aufdeckungen im alternativen Lager folgen immer dichter aufeinander. Berühmte Heiler wie der Brasilianer „John of God“ sind als mutmaßliche Sexstraftäter aufgeflogen und Organisationen wie OneTaste, die „Orgasmische Meditation“ anbieten, als Psychosekten. Sie haben nichts mit den singenden Hare-Krishna-Jüngern der 70er-Jahre oder Bhagwans feiernden Sannyasins der 80er zu tun. Kulte können wie ein Schneeballsystem funktionieren, wie NXIVM oder das internationale Yogazentrum Agama. Die Sektenrenaissance hat auch das Fernsehen erreicht: „Wild, Wild Country“ über die Rajneeshpuram-Community in Oregon ist ein Serien-Hit, Quentin Tarantino bringt heuer einen Film über Charles Manson heraus. Das Jonestown Massaker jährte sich gerade zum 40. Mal.

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Gefährliche Systeme. Allein in den USA gibt es zwischen 2000 und 3000 Kultgruppen. Kein Grund zur Hysterie, sagt Be Scofield. Nicht alle sind gefährlich. „Aber wer sich in solch ein geschlossenes System begibt, versteht oft nicht, wie mächtig und verführerisch diese Gruppendynamiken sind.“

Scofield stützt sich nicht auf Anzeigen bei der Polizei oder eidesstattliche Versicherungen, sondern allein auf die Opferstimmen. „Tut mir leid, aber wenn ich 17 Aussagen gegen dich vorliegen habe, dann hast du Glück, dass du nicht ins Gefängnis wanderst. Ich nehme das Recht in meine eigene Hand“, sagt sie.

Scofields Kritiker diskreditieren sie aus diesem Grunde. Sektenexperten und Selbsthilfegruppen, die sie unterstützen, haben jedoch nicht den gleichen Zugriff auf die vielen Menschen, die Scofield im Netz lesen. Scofields Texte hatten bisher fast eine Million Klicks und tauchten unter den ersten Suchergebnissen bei Google auf. Was ist mit Verleumdungsklagen? Ein Schulterzucken und ein Griff in die Chipstüte. „Wer soll mir denn die Papiere überbringen? Ich habe nicht mal eine feste Adresse.“

Ihr Mangel an Neutralität und stilistischer Zurückhaltung wird gerne als „Hexenjagd“ abgetan. Was anders stimmt, als es gemeint ist. Denn Scofield hat auch manipulative mächtige Frauen im Visier. Bevor sie die Heilerin „Umaa“ auf Bali angriff, nahm sie sich „Gucci Guru“ Teal Swan vor – laut Scofields eine „sexy, heißblütige, spirituelle New-Age-Sensation, die die Welt erobert hat“.

Eigene Sektengeschichte. Nachdem ans Licht kam, dass Swan mit ihrem Kult von der Weltherrschaft träumt, wurde sie aus dem angesehenen Rednerforum Hay House World Summit 2018 ausgeladen. „Jetzt gibt es eine gläserne Decke, durch die sie nicht weiter nach oben stoßen kann.“

Die Gurujägerin hat ihre eigene Sektengeschichte. Sie hasst den Ausdruck Gurujägerin übrigens, denn „nicht alle Gurus sind schlecht oder richten seelischen Schaden an“. Vor elf Jahren studierte sie Kulturanthropologie am progressiven California Institute of Integral Studies (CIIS). Zwei ihrer Professoren wurden gefeuert, weil sie Studenten ausnutzten und von sich abhängig machten. Scofield brach den Kurs ab. Als die junge Transsexuelle realisierte, welcher Gehirnwäsche sie ausgesetzt gewesen war, brach eine Welt für sie zusammen. Sie erinnert sich an die Nacht, in der sie alles aus sich herausschrie. „Jahre danach litt ich unter posttraumatischen Stresssymptomen und habe sie wahrscheinlich bis heute.“

Scofield blieb auf dem spirituellen Pfad und machte eine geistliche Ausbildung bei den Unitariern. Doch statt Pfarrerin zu werden, nahm sie sich soziale Themen vor – von transphobischen Feministinnen über brutale Buddhisten. „Sekten gibt es nicht nur an exotischen Orten, wo die Mitglieder seltsame Kluft tragen“, sagt sie. „Autoritäre Kontrollmechanismen können sich in modernste Institutionen einschleichen.“ Auf der Liste ihrer falschen Propheten landete auch Hollywood-Schauspieler Gano Grills, der eine zweite Karriere als Führer von „Galighticus“ antrat – mit der Mission, 144.000 Menschen von der Erde zu befördern. Nachdem Scofield seine krude Ideologie offenbarte, rief Grills sie mitten in der Nacht an. „Du wirst dich wundern, wen ich alles kenne“, raunte der Hip-Hop-Star, als er auflegte.

Undercover-Recherche. Abgesehen von solchen Drohungen setzte ihr bisher ihr Undercover-Monat bei Benthino Massaro am meisten zu – ein junger Selbsterfahrungsstar, dessen Videoclips über eine halbe Million Anhänger anschauen. Der Holländer lebt in der amerikanischen Esoterik-Enklave Sedona, wo Scofield letztes Jahr durch Zufall landete. „Seine Anhänger waren überall. Sie glauben, sie können das Wetter mit ihren Gedanken beeinflussen. Er setzt geschickt Start-up-Prinzipien ein.“ Massaro schaute sich gerade nach Land um. Um ins Imperium des „Tech Bro Gurus“ einzudringen, legte Scofield sich den Decknamen „Shakti Hunter“ zu. „Ich erzählte denen, dass ich digitales Marketing mache. Da boten sie mir sofort an mitzuarbeiten.“ Es dauerte nicht lange, bis Scofield von den angeblichen Plänen eines Massenselbstmordes erfuhr, den Massaro „The Harvest“ (die Ernte) nannte.

Als ihr Onlineartikel im Dezember 2017 erschien, hatte er immerhin über 200.000 Aufrufe. Neun Tage später brachte sich einer von Massaros Anhängern in Arizona um. Der Holländer war davor aus Sedona geflohen. „Er muss jetzt mehr aufpassen“, sagt Scofield. „Aber seine Propaganda übertrifft meine Warnung bei Weitem.“

Ihre Arbeit hat auch Konsequenzen – psychische. Vor dem Sommer fuhr Scofield die US-Ostküste zu einem Tantrafestival hinauf. „Keine Gurus hier“, berichtete sie. „Großartige Leute.“ An diesem Abend bekommt sie eine Energieheilung, wie eine Art Handauflegung. Innerhalb von Minuten fühlt sie Strom durch sich rasen, ihr ganzer Körper zuckt und windet sich. Noch Stunden danach hat sie so starke Schmerzen, dass sie fast in der Notaufnahme landet. „Es war wie eine Geburt. Es war wie ein Tod“, schreibt sie danach. Be Scofield verabschiedet sich an jenem Tag von all ihren Sachen bis auf Yogamatte und Laptop. Ihre Tage verbringt sie meditierend. Zuletzt schließt die Social-Media-Aktivistin ihren Facebook-Account. „Ich bin ausgebrannt“, schreibt sie als Abschiedsgruß. „Ich habe das Interesse an Spirituellem, Sekten und all dem Kram verloren. Es stößt mich ab. Ich tauche irgendwann in der Zukunft wieder auf.“

Vorwürfe von über 40 Frauen. Die Zukunft kommt schneller als geplant. Im Juli taucht Scofield mit ihrem bislang größten Scoop wieder auf: Agama, ein beliebtes Yogazentrum auf Koh Phangan in Thailand, war seit 15 Jahren ein Nährboden für sexuelle Übergriffe. Die Vorwürfe von über 40 Frauen gegen den Rumänen Narcis Tarcau – Swami Vivekananda Saraswati – reichen bis zur analen Vergewaltigung. Eine Agama-Schule gibt es auch in Linz, auch hier gab es Übergriffsvorwürfe („Die Presse am Sonntag“ berichtete). Die Schule in Linz ist derzeit in Winterpause. Scofields Enthüllung bringt die Insel Koh Phangan in Aufruhr und führt zur dreimonatigen Schließung von Agama Thailand. Zwei Frauen erstatten Anzeige, die Polizei führt eine Razzia durch, und eine der Yoga-Hallen brennt kurz darauf ab.

Hat sie manchmal Gewissensbisse? „Bei so etwas wird immer eine ganze Community mitzerstört“, räumt Scofield ein. „Das sind meistens unschuldige Leute, die vom Guru eingelullt wurden. Auch wenn einige von ihnen Furchtbares getan haben, sind sie doch letztendlich hirngewaschene Opfer.“ Noch ist der Kampf nicht vorbei. Scofield startete die Webseite Agamajustice.com. Auch durch sie formierte sich die Facebook-Gruppe „Boycott Agama“, wo nach wie vor darum gekämpft wird, dass die Schule und ihre Lehre nicht weiter bestehen können.

Eine eigene Plattform. Vier weitere Tantragrößen aus den USA und Australien sind seit Scofields Enthüllungen in den letzten Monaten in #MeToo-Skandale verwickelt, eines der Opfer gewann einen Prozess. Doch niemand war auf den hochgradig verstörenden Report Anfang Dezember gefasst: über den Gründer von TNT (The New Tantra), der angeblich ein sexsüchtiger Narzisst sein soll. Die holländische Organisation TNT bietet Kurse in ganz Europa an.

Doch die Macht der Gurus ist teilweise groß. Stunden nach den schockierenden Enthüllungen nahm die Nachrichtenplattform Medium, wo Scofield bisher alle ihre Texte veröffentlicht hat, vom Server. „Warum durften all meine vorherigen Artikel erscheinen, aber nicht der?“ Scofield nennt es Zensur. Nun veröffentlicht sie alle ihre Texte unter ihrer eigenen Seite. Dort hat sie zuletzt einen obskuren Todesfall mit einer Sekte in Verbindung gebracht. Bald muss sie selbst wieder umziehen – sie ist Nomadin und Single. Aber Scofield hat einen Agenten in Hollywood – und dort zeigt man bereits Interesse an ihren Gurustorys. Noch braucht Scofield keinen Bodyguard. Ziemlich sicher aber bald wieder neue Tarnnamen.

(c) Be Scofield

Be Scofield

Auf einen Blick

Aufdeckerin. Be Scofield ist Onlinejournalistin und hat sich als Aufdeckerin im Esoterik- und Wellness-Bereich einen Namen gemacht. Sie hat zahlreiche Sekten, Kulte und ihre Gurus, ihre manipulativen Machenschaften sowie geistige und körperliche Übergriffe auffliegen lassen. Darunter etwa die Missbrauchsvorwürfe rund um Agama Yoga.

Neues Medium. Scofield wohnt an der amerikanischen Ostküste, wo genau will sie nicht sagen. Sie ist 38 Jahre alt, transgender und queer. Ihre Arbeit, die sich gänzlich auf die Stimmen der (zahlreichen) Opfer stützt und die immer wieder rechtliche Konsequenzen für die mutmaßlichen Täter bringen, veröffentlicht sie mittlerweile auf ihrer Plattform Gurumag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2019)

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