Wie eng kann Freundschaft sein?

„Ziemlich beste Freunde“: Derart enge Beziehungen über soziale Grenzen hinweg wie im französischen Erfolgsfilm aus dem Jahr 2011 sind selten.
„Ziemlich beste Freunde“: Derart enge Beziehungen über soziale Grenzen hinweg wie im französischen Erfolgsfilm aus dem Jahr 2011 sind selten. APA
  • Drucken

Würde man zehn Jahre ins Gefängnis gehen, um einen Freund zu retten? Autor Andreas Salcher hat sich auf Spurensuche nach Wesen und Grenzen der Freundschaft begeben.

Drei Freunde sind in Singapur. Sie alle konsumieren dort Cannabis. Zwei fahren weiter, einer bleibt – und wird von der Polizei mit einer Menge der Droge entdeckt, die nach den Gesetzen des Landes mit der Todesstrafe geahndet wird. Würden die anderen Freunde zurückkehren und sich stellen, würde die gefundene Drogenmenge durch drei geteilt – das hieße keine Todesstrafe für einen, dafür zehn Jahre Haft für jeden der drei. Also, ist die Freundschaft so groß, dass zwei die zehn Jahre im Gefängnis auf sich nehmen würden, um das Leben des dritten zu retten? Es ist ein recht weit hergeholtes Szenario – ähnlich dem aus dem US–Film „Für das Leben eines Freundes“ aus dem Jahr 1998 –, das Andreas Salcher in seinem Buch „Ich bin für dich da“ anbringt, um die Intensität von Freundschaft zu beschreiben. Und um die Leser herausfinden zu lassen, wer ihre wahren Freunde sind.

Ganz neu ist die fiktive Situation nicht – schon Friedrich Schiller hat ein ähnliches moralisches Dilemma beschrieben: „Es ist die Übertragung des Bürgschaftsdilemmas in die neue Zeit“, sagt Salcher. „Das soll zeigen, wo die Grenzen sind.“ Und die liegen in der Realität doch weit entfernt vom idealistischen Bild, das Schiller in der Bürgschaft entworfen hat. „Für die eigenen Kinder wären Leute sofort bereit, ihr Leben zu geben“, meint Salcher. „Beim Partner und erst recht bei Freunden ist das schon differenzierter.“

Das Marktforschungsinstitut GFK SE hat in einer Studie herausgefunden, dass 93,5 Prozent der Deutschen sich Zeit für ihre Freunde nehmen würden, auch wenn sie selbst gerade keine hätten. Und, ein überraschendes Ergebnis, 86,1 Prozent der Befragten gaben an, sie wären bereit, ihre wahren Freunde in den letzten Monaten vor ihrem Tod intensiv zu begleiten. Klingt gut, doch die Antwort auf eine Frage ist in der Regel nur Theorie. „In der Realität verlieren wir 80 Prozent unserer Freunde, wenn wir eine todbringende Krankheit haben.“ So wie mancher Freund auch schon bei weitaus geringeren Anlässen plötzlich nicht mehr da ist.

Schon Aristoteles machte eine Trennung zwischen Nutzenfreundschaften, Lustfreundschaften und Tugendfreundschaften. Letztere ist die, die wir heute als „wahre Freundschaft“ definieren würden, also eine, die auf absolutem Vertrauen aufgebaut ist. Von denen hat man nicht allzu viele. 50 lose, 15 gute und drei echte Freunde hat man im Leben, sage die Statistik. Salcher macht in seinem Buch gar ein Gebot daraus, dass man nicht mehr als drei wahre Freunde haben soll. Wer mehr habe, möge sich reich beschenkt fühlen – oder aber überlegen, ob seine Definition von Freundschaft stimmt.

Das Motiv dahinter

Die anderen Arten von Freundschaft sind natürlich nicht weniger wert – Menschen, mit denen man eine Leidenschaft teilt, oder Kollegen, mit denen man neben dem beruflichen Kontakt auch privat ein gutes Verhältnis hat, gehören genauso zum Leben. Nur muss man sich bewusst sein, dass ein anderes Motiv dahintersteckt, das bald wieder verschwinden kann, wenn sich die Ausgangslage ändert. Eine Verletzung – und man ist für den Tennispartner nicht mehr interessant. Man verliert den Job – und viele, mit denen man öfter auf ein Bier ging, melden sich auf einmal nicht mehr.

Generell, meint Salcher, sollte man sich von der Vorstellung verabschieden, dass eine Freundschaft für ein ganzes Leben lang Bestand hat. Selbst ohne schwere Krankheiten halte die beste Freundschaft im Schnitt nur 24 Jahre. Weil sich die Lebenssituation ändert, weil andere Interessen dazukommen, weil sich Konflikte aufstauen. Gründe gibt es viele. Und manchmal liegt der Grund gar nicht beim anderen, sondern bei einem selbst. Salcher spricht von inneren Verletzungen, bezeichnet sie als „den eigenen Schatten“, mit dem man umgehen und den man vor allem auch annehmen müsse.

Das könne unter anderem das an sich edle Verhalten sein, immer auf die Wünsche und Gefühle der anderen einzugehen. Nur, dass das eben auf Kosten der eigenen Bedürfnisse gehe. Dadurch könne sich Ärger aufstauen, an dem eine Freundschaft scheitern kann. Genauso gut kann es daran scheitern, dass man nicht auf der gleichen Augenhöhe wie der Freund ist – Dominanz in Freundschaften kann sich mit der Zeit rächen, so dass derjenige, auf den der andere herabsieht, irgendwann genug hat. Und auch soziale Klüfte können ein Hindernis für eine Freundschaft sein. Es gehe jedenfalls selten so gut aus wie im französischen Film „Ziemlich beste Freunde“, in dem ein schwarzer Kleinkrimineller Pfleger eines reichen launischen Rollstuhlfahrers wird – und sich zwischen den beiden über sämtliche sozialen und persönlichen Grenzen hinweg eine intensive Freundschaft entwickelt.

Im Endeffekt müsse man sich jedenfalls etwas eingestehen – dass nämlich ein Freund keine Lösung für die eigenen Probleme habe. „Es gibt in jeder intimeren menschlichen Beziehung diesen Augenblick der ersten großen Enttäuschung“, meint Salcher. „Auch dieser Freund, diese Liebe, wird meine innere Verletzung nicht heilen.“ Man müsse erkennen, dass das eine Erwartungshaltung sei, die kein Mensch erfüllen könne. „Das ist mein Problem. Das muss ich lösen.“ Letztlich sei das so wie bei einer Beziehung. Wenn man nicht mit sich selbst im Reinen ist, wird es auch für den Freund schwierig.

Steckbrief


ERSCHIENENAndreas Salcher: „Ich bin für Dich da. Die Kunst der Freundschaft.“
Ecowin Verlag,
24 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.