Karl Lagerfeld ist tot: Der Kaiser ist abgetreten

Karl Lagerfeld, 2015
Karl Lagerfeld, 2015 Getty Images (Vittorio Zunino Celotto)
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Der berühmte Chanel-Designer ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Mit dem Ableben Lagerfelds verliert die Populärkultur eine ihrer markantesten Erscheinungen der letzten Jahrzehnte. In der Mode geht eine Ära zu Ende.

Mit tiefer Trauer verkündete das Modehaus Chanel am Dienstag den Tod seines Chefdesigners Karl Lagerfeld. Der deutsche Modeschöpfer ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Bereits auf der Chanel-Modenschau in Paris im Jänner war er nach der Show nicht auf dem Catwalk erschienen, was Spekulationen über seinen Gesundheitszustand ausgelöst hatte. "Paris Match" zufolge sei der Designer am Montagabend wegen eines medizinischen Notfalls in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Dienstagfrüh sei er dann verstorben.

Alain Wertheimer, CEO von Chanel, verabschiedete sich von Lagerfeld mit einer Aussendung: "Dank seines kreativen Genies, seiner Großzügigkeit und außergewöhnlichen Intuition war Karl Lagerfeld seiner Zeit voraus, was viel zum Erfolg von Chanel auf der ganzen Welt beigetragen hat. Heute habe ich nicht nur einen Freund verloren, sondern wir alle haben einen außergewöhnlich kreativen Geist verloren, dem ich in den frühen 1980er-Jahren eine Carte blanche gab, um die Marke neu zu erfinden." Dieses Versprechen löste Karl Lagerfeld ein.

Virginie Viard, Direktorin des Chanel Fashion Creation Studios und Lagerfelds engste Mitarbeiterin seit über 30 Jahren, wurde von Alain Wertheimer beauftragt, die kreative Arbeit zu übernehmen und das Erbe von Gabrielle Chanel und Karl Lagerfeld weiterleben zu lassen.

„Allemand à Paris“

Ausgerechnet eine Radikaldiät war es, die Karl Lagerfeld nach der Jahrtausendwende endgültig zum Popstar machte. In seiner erschlankten Silhouette zeigte der gebürtige Hamburger keinerlei Berührungsängste mit Boulevardmedien, die sich über die Hintergründe dieses Gewichtsverlusts unterhalten wollten, und wurde so einer breiten Allgemeinheit zum Begriff. Sein geschärftes Profil mutierte bald zum Markenzeichen, die Lagerfeld-Silhouette in Schwarz und Weiß wurde zum sofort wiedererkennbaren Logo. Von seinem angstbefreiten Umgang mit einem Mix aus E- und U-Kultur, aus „High“ und „Low“, zeugte zu etwa demselben Zeitpunkt die Kooperation Lagerfelds mit dem Textildiskonter Hennes & Mauritz: 2004 führte sie noch zu Verwunderung (oder gar Entrüstung) in den höchsten Sphären des Modeschaffens. Heute dient sie als Wegbereiter eines inflationären Modells von Designerkooperationen, die sogar vor Supermarkttüren nicht Halt machen. Karl Lagerfeld besiegelte durch diesen damals beispiellosen Schritt indessen seine Fama eines Exzentrikers mit Hang zu lukrativen und publikumswirksamen Regelbrüchen.

In einer zu Beginn der Nullerjahre bereits fast fünf Jahrzehnte währenden Karriere war der Kraftakt, „demokratische Luxusmode“ zu entwerfen, freilich nicht die erste beachtliche Leistung von Karl Lagerfeld. Mitte der Fünzigerjahre war der Sohn aus gutem Hamburger Hause nach Paris gekommen und bahnte sich zeitgleich mit Yves Saint Laurent – die beiden hatten in unterschiedlichen Kategorien Auszeichnungen des internationalen Wollsekretariates gewonnen – seinen Weg in die elitäre Welt der Haute Couture. Von Jugend an galt Lagerfeld als sagenhaft eloquent, und das in mehreren Sprachen. Er fühlte sich, wie er nicht müde wurde zu betonen, als Weltbürger, der doch seine deutsche Staatsbürgerschaft zeitlebens nicht ablegte. Als ein „Allemand à Paris“, der fließend und wundersam schnell Französisch sprach, ist er in der Nachkriegszeit mit Sicherheit nicht nur auf Wohlwollen gestoßen. Doch verstand er sich stets darauf, aus seiner singulären Position Kapital zu schlagen und das starre Pariser System an neuralgischen Punkten aufzulockern.

In seiner Modegeschichte des 20. Jahrhunderts nannte der langjährige Vorsitzende des Haute-Couture-Verbandes Lagerfeld einen „Söldnerdesigner“, der seine Fertigkeiten parallel in den Dienst mehrerer Auftraggeber stellte. Damit positionierte der Deutsche sich außerhalb des Geniekultes, der die Konzentration auf nur ein Maison vorsieht. Zugleich unterstrich er, auch darin ein Vorreiter, seine Vielseitigkeit, indem er etwa die Kollektionen von Fendi (seit 1965) und Chloé (von 1964 bis in die Achtzigerjahre) parallel entwarf.

Vertag auf Lebenszeit

Ein Paukenschlag in der Vita des Designers folgte 1983: Im Jahr von Lagerfelds 50. Geburtstag überträgt ihm die Wertheimer-Familie die Kreativdirektion des Hauses Chanel, das mehr als ein Jahrzehnt nach dem Tod seiner Gründerin in der Bedeutungslosigkeit zu versinken droht. Lagerfeld gelingt es, mit spritzigen Einfällen die Luxusmarke zu entstauben und in den Mittelpunkt einer fast beispiellosen Erfolgsgeschichte zu stellen. Die Familie Wertheimer dankt es ihm mit einem auf Lebenszeit vergebenen Vertrag – nicht nur in der schnelllebigen Modebranche ein Schritt, der seinesgleichen sucht.

Mit Wien und Österreich verband Lagerfeld ein durchaus inniges Verhältnis: Anlässlich einer Kostümarbeit für die Salzburger Festspiele bezeichnete er die Festspielstadt als „die gepflegteste und besterhaltene Kulturstätte der Welt“. Mit einer Chanel-Kollektion, die als Hommage an die Stadt angelegt war und 2014 im Schloss Leopoldskron präsentiert wurde, verneigte er sich vor diesem Ort. In Wien hingegen war er, der erste in einer Reihe von Gastprofessoren und in dieser Funktion Nachfolger von Fred Adlmüller, als Leiter der Modeklasse an der Universität für Angewandte Kunst tätig: Von 1980 bis 1984 lehrte er hier und wurde zum Förderer von jenen, die er für besonders talentiert hielt. Über andere würde er später sagen: „Im Grunde hat mich die Einbildung, die Prätention der Schüler zum Aufhören veranlasst. Die kamen sich nämlich immer wie die verfolgten Genies vor, die das Kapital gegen sich hätten.“ Wegen seiner Tätigkeit für die Angewandte geriet Lagerfeld in Wien kurzfristig sogar in den Mittelpunkt einer kleinen Medienkampagne: „Krone“-Kolumnist Staberl errechnete, dass sich die Tagesgage von Lagerfeld auf die damals astronomisch anmutende Summe 108.000 Schilling belaufe und entfachte einen Kleinkrieg gegen den Stardesigner als Verkörperung der Dekadenz.

Die Marke „Karl“

Mit seinen eigenen Kollektionen war Karl Lagerfeld weniger Erfolg beschieden als mit jenen, die er im Namen anderer entwarf. Erst die in den Nullerjahren gestartete Marke „Karl“ konnte sich besser etablieren und besetzte, da der Designer längst Popstar-Status hatte, eine Nische zwischen Luxus- und von Celebrities entworfener Mode. Als Person des öffentlichen Interesses und, wie er selbst in einem großen Gespräch mit der „Zeit“ bestätigte, ins Karikaturhafte überzeichnete Kunstfigur wurde Lagerfeld im Lauf seiner langen Karriere zum Spiegelbild einer sich rasant wandelnden Gesellschaft und natürlich insbesondere der Modebranche.

Den emotionalsten Moment in seinem Schaffen stellte wohl jene Chanel-Kollektion dar, die er als Hommage an seine einst als „Tor zur Welt“ durchschrittene Heimatstadt Hamburg entwarf und in der Elbphilharmonie präsentierte. Näher an das Unterfangen, eine Autobiografie mit den Mitteln des Vestimentären zu schreiben, kann ein Designer nicht herankommen. Mit dem Tod von Karl Lagerfeld endet ein Kapitel in der Modegeschichte, das unwiederbringlich ist. „Ich mache immer das, worauf ich Lust habe, mit meinem Instinkt“, sagte der Designer 1980 in einem Gespräch mit der „Presse“. Sein Gespür hat diesen Modeschöpfer alten Schlags in eine Sphäre der Genialität vordringen lassen, die in demselben Berufsstand kaum je ein anderer erreicht hat – und bestimmt nie wieder jemand erreichen wird können.

Steckbrief: Karl Lagerfeld

Nach eigenen AngabenQ kommt Lagerfeld am 10. September 1935 in Hamburg zur Welt - als Geburtsjahre kursieren aber auch 1933 und 1938. Sein Vater Otto ist Dosenmilch-Fabrikant. 1933 setzt sich im Laufe der Zeit durch.

1953: Der Bub zieht mit seiner Mutter nach Paris. Dort erhält er den ersten Preis für einen Mantelentwurf bei einem Design-Wettbewerb.

1954: Er beginnt die Schneiderlehre bei Designer Pierre Balmain, später ist er freischaffender Designer und künstlerischer Direktor bei Jean Patou.

1963: Lagerfeld ist bis 1978 künstlerischer Leiter bei Chloe, und dann noch einmal für fünf Jahre ab 1992.

1965: Das italienische Pelz- und Lederwarenunternehmen Fendi verpflichtet Lagerfeld. Er bleibt dem Label bis zu seinem Tod treu.

1974: Der Modeschöpfer gründet sein erstes Unternehmen in Deutschland: "Karl Lagerfeld Impression". Später heißt sein eigenes Modelabel nur noch "Karl Lagerfeld".

1980: Für vier Jahre ist er Gastprofessor der Modeklasse an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

1983: Er wird Kreativdirektor bei Chanel - und bleibt auf Lebenszeit.

1985: Lagerfeld wird mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, 25 Jahre später wird er Kommandeur der französischen Ehrenlegion.

1986: Der Designer beginnt professionell mit der Fotografie.

1988: Er nimmt das deutsche Model Claudia Schiffer bei Chanel unter Vertrag und fördert so dessen Ruhm.

1996: Lagerfeld präsentiert seine erste Kollektion für das Versandhaus Quelle. Später entwirft er auch Linien für H&M und Puma.

2001: Der Modeschöpfer sorgt mit einer Radikal-Diät für Aufsehen.

2005: Lagerfeld wird mit dem Bambi für die "kreative Inszenierung seines eigenen Lebens als ästhetisches Gesamtkunstwerk" geehrt.

2017: In seiner Geburtsstadt Hamburg lädt Lagerfeld zu einer großen Chanel-Schau in die Elbphilharmonie.

2019: Nach seiner Pariser Chanel-Schau im Jänner tritt der Kreativdirektor erstmals nicht selbst vor das Publikum.

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