Zeitreise: Haute Couture aus Paris

(c) Blagovesta Bakardjieva
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Bei der in Paris präsentierten Haute Couture schielten manche Designer zurück in die Vergangenheit. Andere blieben der pompösen Gegenwart verhaftet.

Ein solches Bild von Frankreich findet das Gefallen des dynamischen Staatsoberhauptes: Emmanuel Macron inszenierte sich, zufälligerweise genau zu Beginn der Haute-Couture-Defilees, in Versailles – einem Ort, den er für sich selbst als besonders angemessen empfindet – als „président jupitérien“ und empfing kurz vor Beginn des Weltwirtschaftsforums von Davos 140 einflussreiche Konzernchefs. Dieses pompöse Treiben fügte sich trefflich zur Opulenz der Haute-Couture-Kollektionen, die, wie soll man es anders sagen, für fast obszönen Überfluss stehen.

Chanel. Ungebrochene Schaffensfreude bei Karl Lagerfeld: Ein weiterer Höhepunkt ist seine Sommer-Couture.
Chanel. Ungebrochene Schaffensfreude bei Karl Lagerfeld: Ein weiterer Höhepunkt ist seine Sommer-Couture.(c) APA/AFP/PATRICK KOVARIK (PATRICK KOVARIK)

Wie jede Saison sind die Showspaces in der Königsdisziplin der Mode nicht nur den Vertretern der Weltpresse und natürlich obligaten Frontrow-Superstars vorbehalten, sondern man trifft hier auch die nicht eben zahlreichen Haute-Couture-Kundinnen an – sie erhalten die Einladung zumeist als Dankeschön für ihre Treue – sowie andere besonders gute „clientes de la maison“. Das führt dann auch wirklich von Show zu Show zu einem relativ deutlich variierenden Gesamtbild. Denn „la femme Chanel“, wie sich eine beliebte französische Fernsehkolumnistin, Mademoiselle Agnès, ausdrücken würde, ist nun einmal grundverschieden von der „femme Armani“ oder gar der „femme Gaultier“.

Der Bart bleibt. Und was wurde diesen Damen nun geboten? Zum einen natürlich Karl Lagerfeld höchstselbst. Er war zuvor während der Männerschauen in Paris mit Vollbart in Erscheinung getreten, weshalb zur Abwechslung die seit Jahren geraunte Frage „Wird es seine letzte Chanel-Show sein?“ von der leichter zu beantwortenden Frage „Wird er sich rasiert haben?“ vor Beginn des Defilees abgelöst wurde. Nun, er hatte sich nicht rasiert und schickte eine frische und abwechslungsreiche Kollektion über den Laufsteg inmitten eines im Grand Palais lauschig aufgebauten Rosengartens. Bereits Lagerfelds Hommage an seine Heimatstadt Hamburg war Ende des Vorjahres mit großem Wohlwollen und als Beweis für seine fortdauernde Schaffensfreude aufgenommen worden. Die Sommer-Haute-Couture von Chanel ließ sich in diesem Sinne mit einigen aufwendig plissierten Silhouetten und Looks, die wie fantasievoll gemalt wirkten, als weiteres Indiz deuten.

Dior. Einer surrealistischen Fantasie folgte in ihrer Kollektion und bei einem Maskenball Maria Grazia Chiuri.
Dior. Einer surrealistischen Fantasie folgte in ihrer Kollektion und bei einem Maskenball Maria Grazia Chiuri.(c) REUTERS (CHARLES PLATIAU)

Für frischen Wind sorgte in Paris, wie schon in der vergangenen Saison, der Gastauftritt des New Yorker Designerduos Proenza Schouler: Jack McCollough and Lazaro Hernandez, einst Schützlinge der mächtigen Anna Wintour, nutzen dieses frühe Zeitfenster, um noch vor ihren New Yorker Konkurrenten das Prêt-à-porter ihrer Marke zu präsentieren. Eine erfreuliche Premiere außerhalb des offiziellen Haute-Couture-Kalenders war die Kollektionspräsentation von Flora Miranda: Die in Antwerpen lebende Österreicherin zeigte einige von Datenflüssen im Internet inspirierte Kreationen in den Räumen der Advantage-Austria-Wirtschaftsdelegation. Was zunächst anmutete wie Kleidungsstücke aus dem 3-D-Drucker und an die Kreationen von Iris van Herpen erinnern mochte, waren in aufwendiger Handarbeit gefertigte Unikate.

Bei Armani Privé lag der Fokus – zumindest vordergründig – durch die ausgezeichnete Vernetzung von Roberta Armani auf der Zusammenarbeit mit Hollywoodstars, die auf den roten Teppichen der bereits angelaufenen „Awards Season“ mit Haute-Couture-Roben von Giorgio Armani ausgestattet werden. Isabelle Huppert, Diane Kruger und Marion Cotillard saßen in der ersten Reihe und sahen eine von leichten Wolkenflügen inspirierte Kollektion, deren Unbeschwertheit zum übergeordneten Wolkenthema „Nuages“ passte. Es bleibt spannend, ob eine von ihnen bei den Oscars in Los Angeles in einem der gut konstruierten Hosenanzüge zu sehen sein wird, mit denen das Defilee eröffnet wurde. Vielleicht dürfen Stars von Weltruhm aber die Anmutung ihrer Red-Carpet-Roben auch später nochmals fernab des Laufstegs mitbestimmen.

Jean Paul Gaultier. Model-Mutter Coco Rocha trat mit Tochter am Ende einer Pierre-Cardin-Hommage auf.
Jean Paul Gaultier. Model-Mutter Coco Rocha trat mit Tochter am Ende einer Pierre-Cardin-Hommage auf.(c) REUTERS (GONZALO FUENTES)

Jenseits des Wirklichen. In ihrer dritten Haute-Couture-Kollektion für Dior entschied sich Maria Grazia Chiuri für ein surrealistisches Thema, das in eine von Schwarz und Weiß dominierte Kollektion übersetzt wurde. Nach eineinhalb Jahren im Dienste des Hauses an der Avenue Montaigne, das mit Ex-Fendi-CEO Pietro Beccari demnächst einen neuen Präsidenten bekommt, hat Chiuri ihre Dior-Handschrift auch in der Couture gefunden. Ähnliches gilt für Valentino, wo Chiuri zuvor mit Pierpaolo Piccioli beschäftigt war: Piccioli ist nun allein für die Kollektionen verantwortlich und entwarf eine Haute-Couture-Kollektion, die ausladend und mächtig war, wie viele sich dies von einer derartigen Luxusmode erwarten. Piccioli gelang zugleich das Kunststück, dass seine Kreationen weder überfrachtet noch altmodisch wirkten.

Das Stichwort Surrealismus, wie erwähnt diesmal bei Dior (übrigens auch bei einem von dem Maison im Musée Rodin veranstalteten Maskenball) aufgegriffen, lässt im Kontext der Mode üblicherweise an das Maison Schiaparelli denken: Für die zur Tod’s-Gruppe gehörende Luxusmarke ersann Bertrand Guyon, der gekonnt mit dem Erbe der großen Elsa Schiaparelli umgeht, eine von afrikanischen Themen inspirierte Kollektion. Überraschen mochte im Kontext der Haute Couture eine Weste, in der neben kostbaren Federn auch Streifen von recycelten Plastikeinkaufstaschen verarbeitet wurden. Genau solche überraschenden Einsprengsel unedler Materialien in der Couture zeugen jedoch von dem Humor, der unbedingt eine typische Eigenschaft der Schiaparelli war. Auf Zeitreise in das Paris der 1920er-Jahre, im Französischen vielversprechend als „années folles“ tituliert, begab sich der Libanese Elie Saab mit seiner Kollektion: Seine Traumkleider gleißten und funkelten, ließen auch die Augen von Saabs Stammkundinnen aus dem Mittleren Osten glänzen und überzeugten zugleich durch die Bearbeitung des ausgewählten Themas.

Armani Privé. Das Motto, dem die Couture-Kollektion folgte, lautete diesmal bei Armani „Nuages“.
Armani Privé. Das Motto, dem die Couture-Kollektion folgte, lautete diesmal bei Armani „Nuages“.(c) REUTERS (CHARLES PLATIAU)

In ein anderes Jahrzehnt begab sich Jean Paul Gaultier, der ewig gut gelaunte und „pariserischste“ unter den Pariser Designern, auf die Suche nach Inspirationen: Seine Haute-Couture-Kollektion war – eine schöne Geste! – dem großen Pierre Cardin gewidmet, in dessen Modehaus Gaultier am Beginn seiner eigenen Karriere arbeitete. Der 95-jährige Cardin war selbst zugegen und konnte so mitverfolgen, wie Gaultier spielerisch Themen wie Space-Age-Silhouetten, Op-Art-Effekte und burschikose Sixties-Looks bearbeitet hat. Dass im Showspace auch einige Takte Musik der vor Kurzem verstorbenen Sängerin France Gall erklangen, die in Frankreich als Inkarnation der sogenannten musique yéyé der 1960er-Jahre gilt, mochte dem einen oder anderen schmerzlich in Erinnerung rufen, dass auch die geliebteste Ära als lebendige Erinnerungsträgerin einmal zu Ende gehen muss.

Andererseits freilich, und damit zurück zu dem feudal agierenden Präsidenten mit Jupiter-Allüren in der Schlossanlage des Sonnenkönigs, lässt sich auch die entfernteste Vergangenheit im Handumdrehen mit neuen Bedeutungen aufladen. Woraus, wenn nicht aus dieser Revitalisierungsoption, soll sich schließlich auch die unablässig um sich selbst kreisende und so der Zukunft entgegenschraubende Mode nähren?

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