Da Summa is aussi - geh ma hoam

Summa aussi hoam
Summa aussi hoam(c) Innsbruck Tourismus (Innsbruck Tourismus)
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Almabtrieb, das bedeutet für viele: aufgedirndelte Kühe, Blasmusik und ein rauschendes Volksfest. Dabei geht es um mehr: um wunderschöne Natur, echte Freundschaft und magische Momente zwischen Mensch und Kuh.

Loisis Augen strahlen. „Die Kühe freuen sich auch schon, dass sie wieder heimdürfen“, sagt sie. Es ist Ende September, heute wird sie ihre Kühe von der Alm holen. Ihre kräftigen Hände kneten den Teig für die Brodakrapfen, eine Wildschönauer Spezialität. Es duftet nach Kartoffeln, Käse und heißem Öl in der wohnlichen Küche am Butterstein, dem Hof, auf dem Loisi Bäuerin ist. Dreihundert Jahre sei der Hof alt, erzählt Aloisia – Loisi –, die „erst“ seit 28 Jahren hier lebt, mit ihrem Mann Alfred, dem Bauern, und ihren Kindern Maria und Thomas, der den Hof übernehmen wird. Die anderen beiden Töchter sind schon ausgezogen.

Außer den vier leben hier noch Bastian, das Schwein, ein paar Hühner, Lumpi, die treue Hündin. Und sieben Kühe. Nach dem Essen wird Loisi aufbrechen, um sie von der Alm zu holen. Sie schaut prüfend aus dem Fenster, während sie den Teig ausrollt. „Die Kühe werden gern runtergehen. Es wird neblig sein auf der Alm“, sagt sie. Sie soll recht behalten.

Lumpi, die Hündin, kann sich kaum halten. Die Vorfreude. Endlich, endlich schnürt Loisi die Wanderschuhe, zieht die lila Jacke über den blauen Arbeitszweiteiler und zieht ihre Wollmütze über das kurze Haar. „Stecken, den Schnaps – mehr brauchen wir nicht.“ Im blitzblauen Opel geht es vom Butterstein in Richtung Alm. Loisi hat Maria und Thomas mitgenommen. Und Lumpi natürlich. Loisi streichelt immer wieder ihren Kopf, während sie über die kurvige Straße vom Hof hinüber nach Thierbach fährt. Das Dorf: einige wenige Höfe, eine Kirche und eine Schule, denkmalgeschützt.

Neben der Schule zweigt die Schotterstraße ab und führt den Schatzberg hinauf zur Kotkaser-Alm. Von knapp 1200 geht es durch den Wald hinauf auf 1800 Höhenmeter. Immer wieder tauchen kleine Hütten, immer wieder auch Bauern mit ein paar Kühen aus dem dichten Nebel auf, der alles in dumpfes Grau taucht. Loisi bremst jedes Mal, kurbelt das Fenster runter und gibt einen Schluck aus der Schnapsflasche aus. Dann verschwinden Mensch und Vieh wieder im Nebel. „Früher sind wir schon mal hinter den Kühen hergelaufen und nicht umgekehrt“, sagt Loisi und lacht. „Die Kuh findet immer heim.“ Die Straße wird mit jedem Meter unwegsamer. Weiter oben am Schatzberg liegt schon Schnee. Schließlich zweigt die Straße links ab, ein kleines Stück bergab – die Alm wird sichtbar, eine kleine Hütte, dahinter der Stall. Loisi parkt das Auto, morgen wird sie es abholen.

Kuhherzen schlagen höher

Eine dunkle Holztür gibt das Innere der Alm frei. An niedrigen Deckenbalken hängen dreißig, vierzig mächtige Kuhglocken an bunt verzierten Halsbändern, darauf ist in Weiß „HO“ gestickt, die Initialen von Hansi, dem Senner. Er hat sich über die Sommermonate um Loisis Kühe gekümmert. Die Glocken gehören ihm, ihr Klang ist so aufeinander abgestimmt, dass es beim Almabtrieb ein harmonisches Glockenkonzert geben würde. Würde: Denn heute werden die Kühe nicht geschmückt, weder die von Loisi noch die von Stefan. Stefan ist Loisis Nachbar, er hat rund fünfzig Kühe. Die beiden teilen sich die Alm und die Arbeitskraft von Senner Hansi. Ein Bauer aus dem Dorf ist im Sommer beim Holzfällen ums Leben gekommen. Das Dorf trauert, die Kühe werden deshalb nicht geschmückt, sie tragen nur die unscheinbaren Glocken, nicht die prachtvollen. Auch die typische Blumenkrone wird heuer nicht den Kopf der Leitkuh zieren.

Senner Hansi ist seit vier Monaten auf der Alm, überwacht den Abtransport der Milch, zweimal am Tag, säubert den Stall, seine Freundin hilft ihm dabei. In der Almhütte sitzen alle zusammen um den Holztisch in der Ecke, Hansi, der Senner, seine Freundin Daniela, Stefan, der Bauer, sein Bruder Georg, Loisi samt Tochter Maria und Sohn Thomas. Es gibt Bier und Schnaps. Sie reden über die Kühe, den Sommer und den Tod des Bauern. Es ist warm herinnen, ein Herd in der Ecke ist Hansis Kochstelle und Heizung. Die Wände sind mit Fotos geschmückt, dazwischen eine Todesanzeige, ein Herrgottswinkel, rot-weiß karierte Vorhänge. „Pack ma's“, sagt Hansi und setzt sich seinen Hut auf, der mit einem Sträußchen geschmückt ist.

Drüben im Stall ertönt lautes Muhen und Glockenläuten, es dampft und duftet nach Kuh. Loisi streichelt die ihren: Heidi, Perle, Wolke, Imelda. „Heut geh ma hoam“, sagt sie. Loisi kennt jede beim Namen. Es sei eine Begabung, sich die Namen zu merken, „nicht jeder kann gut mit Kühen“.

Stefan und Loisi binden ihre Tiere los. Die wissen sofort, was los ist und drängen muhend und läutend zur Stalltür. Stefans Grauvieh voraus, Loisis Fleckvieh hinterher. Mit Stöcken und Rufen werden sie auf den Weg getrieben, „Heiiii-a, heiiii-a“, die Kühe kommen langsam in Trab. Hansi geht voraus, die Kühe folgen ihm mit wippenden Köpfen und schwingenden Schwänzen. Die ersten verschwinden im Nebel, manche bleiben immer wieder stehen, bis einer mit dem langen Holzstecken kommt und ihnen mit einem Klaps den Weg weist. Weißer Dampf strömt aus den Nüstern der Tiere, die jetzt Marschtempo angeschlagen haben. Loisi wuselt zwischen den Kühen herum, Lumpi ihr immer dicht auf den Fersen. „Für mich ist das der schönste Tag“, sagt sie. Und: „Mein Kuhherz schlägt höher.“ Bald zeigt sich, welche der Kühe immer vorneweg gehen und welche sich lieber zurückhalten. Trixi zum Beispiel, eine von Stefans grauen Kühen, ist so eine „Anführerkuh“, will immer direkt hinter Hansi gehen, der mit seinem rot-weiß karierten Hemd und dem Stecken vorn geht und immer wieder ruft. „Heiiii-a, gemma!“.

Der Nebel verschluckt die Karawane, nur die Glocken verraten, wo die Kühe sind. Das Muhen, das Läuten, die Rufe, alle Geräusche sind schallgedämpft, ersticken in den weißgrauen Schwaden. „Die Stimmung“, sagt Loisi. „passt zum Tod vom Bauern.“ Nach ein paar hundert Metern vergrößert sich die Herde: Das Jungvieh soll sich anschließen. Die haben den Sommer auch auf der Alm, aber in einem anderen Stall verbracht. „Damit sie nicht bei ihren Müttern trinken“, sagt Hansi. Das Jungvieh ist aufgeregter als die älteren Tiere, reißt aus, ist kaum zu bändigen, ein paar Kühe traben in die falsche Richtung, Maria und Thomas hinter ihnen her. Sie werden erst unten im Tal wieder an die restliche Herde anschließen. Die ist schon wieder auf dem Weg, der jetzt in den Wald führt. Es duftet nach Nadeln und Moos, feucht und frisch. Langsam lichtet sich der Nebel, gibt den Blick frei auf die hohe Salve, die Kitzbüheler Alpen. Hansi kennt den Blick. Er ist erst 23, aber schon seit 13 Sommern auf der Alm. „Mir gefällt das einfach“, sagt er und streicht sich über den roten Vollbart. Den hat er nur im Sommer, wenn er der Senner ist. Im Winter arbeitet er beim Lift. Hansi versucht, die vorderen Kühe zum Anhalten zu bewegen. Er hebt seinen Stecken, langsam bleibt die Herde stehen. Die Kühe fangen sofort am Wegesrand zu grasen an, manche reiten auf andere auf, unter lauter Weibchen erfolglose Liebesmüh. Der Weg schlängelt sich aus dem Wald hinaus, die Kühe erreichen die saftigen, hügeligen Wiesen rund ums Dorf. Schon sieht man die Kirche von Thierbach, das Schulhaus, die mit Blumen geschmückten Bauernhöfe, den Gasthof. Beim Schulhaus werden die Tiere zusammengetrieben. Maria und Thomas sind inzwischen mit dem Jungvieh dazugestoßen. Gut fünfzig Kühe sammeln sich jetzt auf der Wiese. Das Gasthaus Thierbacher Hof spendiert ein Tablett mit Schnaps, alle nehmen dankbar an, bevor sie die Herde aus dem Dorf zu den Höfen treiben, immer darauf bedacht, dass kein Tier auf die grünen Wiesen abbiegt. Der Hof von Stefan ist erreicht, Loisis Kühe müssen noch den Hang hinauf bis zum Butterstein. Die meisten Kühe wissen, wo sie hinmüssen, „sie wissen noch, an welchem Platz sie im Stall gestanden sind“, sagt Loisi. Der Hof liegt oben, am Waldrand, zwischen Wiesen und Bäumen. Über einen Hohlweg erreichen die Kühe die Weide, grasen zufrieden. Loisi stützt sich auf ihren Stecken und lächelt.

In Stefans Küche sitzen alle zusammen, es gibt Schweinsbraten mit Kraut und Knödeln, es wird gelacht, geredet. Vom Niederauer Harfenwirt etwa, der in Niederau, ein paar Dörfer weiter, einen täglichen Almabtrieb organisiert. Vor begeisterten Touristen werden ein paar Kühe geschmückt und durch den Ort getrieben. Busweise, erzählen sie sich, werden die Leute herangeschafft. „Dass das Vieh dafür herhalten muss“, sagt Stefan und schüttelt den Kopf. Im Radio läuft leise Musik, „Radio Unterland 1“. „Da Summa is aussi“ heißt das Lied, alle singen mit. Auch Hansi. „Jetzt samma dahoam“, sagt er.
www.tirol.at/de/almabtriebe-in-tirol

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2012)

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