Namibia: Wandern im Fish River Canyon

Fish River Canyon
Fish River CanyonJürgen Götz
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Unterwegs wie in einem Geologiebuch: 85 Kilometer lang windet sich die Tour durch den zweitgrößten Canyon der Welt – den Fish River Canyon. Nur der Grand Canyon ist länger.

Der Abstieg in eine Welt aus einer anderen Zeit beginnt: In 550 Metern Tiefe liegt rötlich-braun ein gewaltiges Erosionstal in die Landschaft eingeschnitten. Träge windet sich ein dünner Wasserlauf zwischen den Klüften dieser fantastischen Mondlandschaft. 160 Kilometer lang ist der Fish River Canyon, das größte Landschaftswunder im kargen Süden Namibias – und der zweitgrößte seiner Art weltweit. Nur der amerikanische Grand Canyon ist länger, gewaltiger. 85 Kilometer unter der unbarmherzigen südwestafrikanischen Sonne liegen vor uns. Die Tour durch den Canyon ist eine Teststrecke für Zivilisationsmüde. Zehn Wanderer wollen die Unwirtlichkeit bezwingen.

Einstieg in Serpentinen

Diesmal droht Wassermangel. „Das Wasser im Fish River Canyon hat den niedrigsten Stand seit mehr als zehn Jahren erreicht“, schreibt die Verwaltung des Naturreservats in ihrem Wasserbericht. „Emergency exits“, Notausstiegspfade, existieren nur zwei: bei Kilometer 15 und Kilometer 68. Dazwischen könnte nur ein Rettungshubschrauber aus der Schlucht heraushelfen – vorausgesetzt, es gäbe Mobilfunkempfang.

Gleich geht es steil bergab. Geröll liegt auf dem Zickzackpfad, an gefährlichen Stellen schützt eine Kette vor dem Sturz in die Tiefe. An die 15 Kilo schleppt jeder im Rucksack mit: Das sind Proviant für vier Tage, ein Schlafsack und eine Isomatte, Kleidung, Kamera, Campingkocher. Fast zwei Stunden dauert der Abstieg ins Flussbett, die Dämmerung naht. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichen wir die Talsohle, wo der Fluss eher einem schmalen Teich ähnelt. Im Ufersand rollt jeder seinen Schlafsack aus, niemand schleppt ein Zelt mit. Instantsuppen und Fertignahrung aus Armeebeständen köcheln vor sich hin. Der Sternenhimmel: einfach unglaublich – verdichtet und funkelnd wie im Planetarium.

Findlinge und Köcherbäume

Die Presse (Graphic News/PW)

Morgens um sechs Uhr ist es hell, um sieben erfolgt der Abmarsch. Erst geht es durch tiefen Sand. Schon bald kommen Geröllfelder, der Fish River existiert nur noch abschnittsweise. Die zahllosen Findlinge ergeben einen einzigen Hüpfparcours. Bereits um zehn Uhr steht die Sonne fast senkrecht über der Schlucht, es geht auf die 30 Grad zu, Schatten kennt der Mittag nicht. Nur Schilf, etwas Gebüsch, ein paar Kameldorn- und Köcherbäume, aus deren Ästen die Buschmänner und Nama einst die Köcher für ihre Pfeile gefertigt haben, säumen hier und dort den Weg. Jeder sucht und findet sein eigenes Tempo. Die erste Tagesetappe, obwohl nur 17 Kilometer lang, wird die schwerste. Kein Windhauch. Die Geröllmassen sind sonnendurchglüht. Die Stille ist nicht zu überhören.

Wasser mit Wirkung

Auf der Suche nach der absoluten Einsamkeit habe ich nach 13 Kilometern die anderen abgehängt. In der nächsten Canyon-Kurve lasse ich den Notausstieg hinter mir. Noch eine nicht enden wollende Kurve der 300 Meter breiten Schlucht, und das Etappenziel ist erreicht: Palm Springs – ein paar Palmen und eine heiße Quelle stark schwefelhaltigen Wassers. Zwei deutsche Soldaten waren 1915 im Ersten Weltkrieg hierhergeflohen. Der eine hatte Hautkrebs, der andere Asthma – nach zwei Monaten regelmäßigen Badens in der Quelle waren sie kuriert, so die Überlieferung.

Ich bade doch lieber im Flusswasser und koche aber, mangels Gaskocher, die Packerlsuppe in dem 60 Grad heißen Schwefelquellwasser. Drei weitere Wanderer erreichen Palm Springs noch bei Tageslicht, der Rest der Gruppe ist vorerst verschollen. Mein Hinweis auf die s-förmigen Abdrücke im sonst unberührten Sand des Nachtlagers löst die Frage aus: Wer hat die Schlangenseren im Rucksack? Niemand, auch keiner der sechs Nachzügler, die am nächsten Morgen früh um sieben Uhr aufkreuzen, nicht einmal der mitwandernde Doktor aus Windhuk. Puffotter, Spei- und Kapkobra sind im Canyon zu Hause. Ihre Bisse können für Menschen tödlich sein. Der Erste-Hilfe-Zettel weiß Rat: „Schlangenbiss: Opfer zwischen Bissstelle und Herz abbinden, tote Schlange mitnehmen.“ Zum Glück sind fast alle Schlangen so scheu wie die nachtaktiven Leoparden, die in der Schlucht leben.

Sichere Quelle?

Morgens sammeln wir den Müll ein und füllen die Wasserflaschen am Fluss. Für die nächsten zwei Tage kündigt der Wasserreport Durstphasen an. Weiter geht's von Stein zu Stein, durch knöcheltiefen Sand, als nur noch die Wahl zwischen Fluss, Schilf und Unterholz bleibt. Wo lauert der Leopard? Im Unterholz nicht, er muss einige Kilometer weiter zugeschlagen haben: In der Sonne liegt der ausgedörrte Kadaver eines Bergzebras.

Bei Kilometer 28 thront der Tafelberg zur Rechten, ein Felsmassiv so eben wie der Namensvetter in Kapstadt. Seit Stunden ist vom Fischfluss nichts mehr zu sehen: ausgetrocknet. Nur in regenreichen Jahren führt er auf ganzer Länge Wasser. Grund ist der Hardap-Damm bei Mariental, wo der Oberlauf des Flusses seit 1963 gestaut wird. Die im Plan markierte Wasserstelle bei Table Mountain erweist sich als grünstichige Riesenlacke mit Moskitoeiern, in der ein toter Fisch treibt. Die Wasserflaschen sind fast leer, zur nächsten sicheren Wasserstelle sollen es noch 27 Kilometer sein. Trinken oder nicht? Emma, die Engländerin, spannt ein Taschentuch über den Flaschenhals und zückt die Wasseraufbereitungstabletten. Eher verdurste ich, lasse die anderen zurück und arbeite mich weiter durch den Backofen.

Hardap-Damm
Hardap-Damm Imago

Alle zehn Minuten werfe ich den Rucksack ab, bis nach sechs Kilometern das zweite Etappenziel erreicht ist: „Sand against slope“, eine Sandverwehung an einem Steilhang. Eine Gruppe Wanderer, aus Südafrika, die am Tag vor uns gestartet ist, badet in meinem Trinkwasser: einer Gumpe, mit der keiner gerechnet hat. Das Wasser ist salzig, die Schokomüsliriegel sind geschmolzen, die Trockenfrüchte schmecken schal. Noch 55 Kilometer bis ǀAi-ǀAis, was in der Sprache der Nama brennendes Wasser bedeutet.

Im Dunkeln trudelt der Rest der Truppe ein. Um acht Uhr schlafen alle. Während tagsüber die Fliegen nerven, sind in den lauwarmen Nächten die Mücken im Blutrausch. Vor Sonnenaufgang geht es weiter, der Rucksack wird immer leichter. Erstmals nieselt es. Mehr als 15 steinigsandige Kilometer legen wir in vier kühlen Morgenstunden zurück, lassen die Three Sisters, eine merkwürdige Felsformation hoch oben am Canyonrand, links liegen und machen drei Wildpferde im Schilfgras aus: Vor über hundert Jahren sind den Schutztruppen einige Reittiere durchgegangen.

Abkürzen kostet Reserven

Kilometer 50. Hier schwindeln alle. Bei Four Finger Rock beginnt eine Abkürzung über eine Anhöhe. Fünf Kilometer lassen sich dadurch einsparen. Aber wo findet sich der Weg zum Plateau? Eine Sippe krakeelender Paviane verzieht sich über einen steilen Weg – über die Abkürzung! Dem Aufstieg fallen die letzten Wasserreserven zum Opfer. Rettung verspricht aber der Wasserbericht: Ranger sollen auf dem Plateau, das mit Allradwagen zu erreichen ist, Wassertonnen aufgestellt haben. Es ist keine Luftspiegelung – die Südafrikaner sind schon hier! Ist noch Wasser für uns da? Das Schicksal ist unserer Gruppe gnädig, niemand muss nach Wurzeln graben. Ein anderer ist nicht lebend aus diesem Canyon zurückgekehrt: Leutnant Thilo von Trotha. Sein Grab, aufgeschichtet aus Steinen, ragt aus der Öde einer Sandebene heraus. Am 14. Juni 1905 fiel er im Alter von 27 Jahren im Krieg gegen die Nama.

„Campsite“ und Kiosk

Noch fünf Kilometer. In Causeway, am Notausgang bei Kilometer 68, unterhält eine Farmersfrau für die Canyonwanderer einen kleinen Shop. Kalte Getränke! Bier- und Cola-Dosen zischen im Minutentakt. Drei von uns zehn nehmen den Notausgang, lassen sich von der Farmerin mit dem Pick-up zum Campingzentrum in ǀAi-ǀAis abtransportieren. Der Doktor hat zu viele Blasen an den Füßen, sein Sohn kann nicht mehr, und einer Bankerin aus Swakopmund bekam das aufbereitete Wasser aus der Lacke doch nicht. Da waren's nur noch sieben.

Die Nacht unter dem Vordach des Kiosks ist windig. 22 Kilometer Sandpiste stehen uns am vierten Tag bevor. Ab Kilometer 80 ist sogar ein Weg im Canyon zu erkennen. Wasser führt der Fish River bereits aber seit Kilometer 35 nicht mehr. Um mich kreisen Fliegen, über dem Canyon ein Adler. Oder ein Aasgeier? Wie weit noch? Bald kommen mir ungläubig blickende Touristen entgegen, die von ǀAi-ǀAis aus zur Schlucht spaziert sind. Die Zivilisation naht, um 9.40 Uhr wartet sie hinter der nächsten Biegung. Ob es auch Duschen gibt?

Namibia

Unterwegs: Namibia gehört zu den beliebtesten Reiseländern in Afrika und ist Ziel von geführten wie individuellen Selbstfahrerreisen (etwa mit Camper und/oder Allradfahrzeug). Das Straßennetz ist gut ausgebaut, detto die Versorgung über Land durch Lodges. Es gibt auch gut ausgebaute Campingplätze (mit Grillstellen). Mehrere Direktflüge nach Windhoek ab Deutschland.

Highlights: Hauptanziehungspunkte in dem großen, extrem dünn besiedelten südwestafrikanischen Land sind vor allem landschaftliche: die Wüste Namib mit ihren bis zu 400 Meter hohen Dünen bei Sossusvlei, die Skelettküste, das Naukluftgebirge, der Fish River Canyon und vor allem der Etosha-Nationalpark mit seiner reichen Tierwelt. Namibia verfügt über zahlreiche und große Schutzgebiete (an die 43 Prozent der gesamten Landesfläche) und ist das erste Land der Welt, das den Naturschutz fest in seiner Verfassung verankert hat. Städte wie Windhoek in der Landesmitte und Swakopmund an der kühlen Atlantikküste sind ebenfalls „not to be missed“. Von der frühen Besiedlung zeugen Tausende Jahre alte Felsmalereien wie etwa am Brandberg.

Wandern im Fish River Canyon: vom 1. Mai bis 15. September. Erforderlich: Genehmigung und ärztliches Attest, das nicht älter als 40 Tage ist.

Tipp: Monate im Voraus buchen. Kleine Gruppen (drei bis max. 30 Teilnehmer), Kinder erst ab zwölf. Für Ausrüstung und Proviant ist selbst zu sorgen. Einstieg in die Schlucht: am Hauptaussichtspunkt etwa zehn Kilometer westlich vom Camp Hobas. Über die Wassersituation informiert die Rangerstation in Hobas. Namibia Wildlife Resorts, Windhoek. www.nrw.com.na

Voraussetzungen: Impfungen oder Visa sind für Namibia nicht erforderlich, der Süden des Landes ist malariafrei.

Infos:Namibia Tourism Board

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2017)

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