Sulawesi: Vier Europäer, einmal unverfälschtes Indonesien

Stück für Stück verwandelt sich die Fläche um die Bungalows in einen blühenden Garten.
Stück für Stück verwandelt sich die Fläche um die Bungalows in einen blühenden Garten. (c) Milda Drüke
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Das Hotelrestaurant ist zu, das Boot ist voll. Doch der Improvisationsgeist der Gastgeber und die Geduld der Gäste retten alles. Touristisch ist Sulawesi noch wenig erschlossen.

In sengender Sonne fährt der Kleinbus durch das Tor im Gatter, rollt über Erd- und Grasflecken bis vor die Bungalows von Kahyangan. Auf staubiger Haube steht über aufgeblendeten Scheinwerfern: Sulawesi Adventure Tours. Der indonesische Guide steigt aus und mit ihm vier europäische Gäste. Zwei Paare schauen sich um; zeigen auf die Bungalows, halb versteckt hinter Kaskaden von Blättern und Blüten. Ihre Blicke schweifen über die Wiese bis zum nahen Rand einer Wildnis, aus der Papayas und Bananen leuchten. Die angepflockte Ziege hebt den Kopf und beäugt die Chirurgen und Augenärzte aus Spanien. Alles ist still. Dann: Im Häuschen neben dem Gatter rappelt sich der jugendliche Wächter von der Matratze auf. Aus dem Bretterverschlag stolpert Manager Wawan auf die Gäste zu, zieht sich ein T-Shirt über den struppigen Schopf, sucht das linke Armloch vergeblich. „Siang Siang“, lächelt er. Die Spanier nicken sich zu: „Siesta.“

Idyll, noch im Aufbau

In ihrem Rücken hören sie die Stimme von Frau Hun, chinesisch-stämmige Schöpferin von Kahyangan. Sie kommt um die Ecke, legt den Wasserschlauch auf den dürstenden Boden und trocknet ihre Hände am geblümten Kittelkleid ab. Jede Blume, jeden Busch hier hat Frau Hun gepflanzt. Um die vornehmlich indonesischen Gäste soll Wawan sich kümmern. Doch heute ist ihr danach, die sehr weit gereisten Besucher selbst zu führen, vorbei an ihrem ganzen Stolz, an Hibiskus und Orchideen, an vier unbewohnten Bungalows bis zu den brandneuen letzten. Ein Rohbau schließt an. Arbeiter mischen Zement. Auf der buckligen Wiese qualmt Laub, schmurgeln Plastik, Cola- und Sprite-Dosen in zwei Feuerstellen. Der Guide blickt die Spanier fragend an. „Macht nichts“, sagen sie, „wir wussten ja, dass Kahyangan noch nicht fertig ist. Wir sind sehr daran interessiert, unverfälschte indonesische Verhältnisse zu erleben.“ Sagen es und ziehen lächelnd die Türen ihrer Bungalows hinter sich zu. Nach dem Flug von Jakarta über Palu nach Ampana wollen sie nur eins: ausruhen im Paradies – was Kahyangan übersetzt heißt. Vielleicht schalten sie die Klimaanlage an, vielleicht den Fernseher. Vielleicht stehen sie auch im Regen unter dem flachen Duschkopf, um sich dann nur noch auf die komfortablen Matratzen fallen zu lassen.

Betörender Blütenduft

Es ist vier Uhr Nachmittag. Unweit, in Ampana, erhebt der Muezzin seine Stimme, füllt mit ihr für eine halbe Stunde die tropische Luft. Ruft erneut um sechs. Da ist es schon dunkel. Um diese Zeit – und nur um diese Zeit – verströmen tausende winzige Blüten ihren berauschenden Duft. Hauch für Hauch von einem Strauch mit altrosa Dolden. Eine Glühbirne zwischen hängenden Orchideen-Töpfen wirft drei Schritte weit Licht ins Dunkel. Die Silhouette eines Mannes nähert sich. Er hockt sich auf die Stufen von Frau Huns Veranda, wird reglos eins mit den Büschen. Der Umriss einer Frau taucht auf, sie setzt sich auf die Stufen einer Veranda schräg gegenüber. Hat sie den Mann denn nicht gesehen?

Einer der spanischen Gäste lauscht hier im Finstern dem Zirpen der Zikaden im allmählich schwindenden Blütenduft. Ein Moped knattert ab und zu auf der Straße zwischen Kahyangan und dem Meer. Die feuchtwarme Luft lullt ihn ein. Plötzlich rafft die Frau ihren Sarong, huscht gebückt über die Veranda und lässt sich in den Stuhl neben den Gast fallen. Er spricht in ihr Schweigen hinein: „Der Muezzin singt viel länger als andernorts.“ Die Frau wirft die Arme über den Kopf: „Er schickt Bittgebete zu Allah. Morgen gibt es ein furchterregendes Ereignis, eine totale Sonnenfinsternis.“ Er fragt: „Sind sie Gast in Kahyangan?“ „Nein“, kichert die Frau, „ich warte auf meinen Mann. Der hockt auf den Stufen von Frau Huns Bungalow und wartet auf seinen Lohn.“

Lichtkegel tasten über Blättern und Blüten – die Freunde des Gastes leuchten mit Taschenlampen den Pfad zum Kahyangan-Restaurant aus. „Passt auf!“, ruft er ihnen zu und strahlt mit seiner Lampe ein stehendes Gewässer an. Goldfische blitzen auf. Dunkel und warm füllt die Nachtluft das überdachte Restaurant, schluckt den schwachen Schein der Glühbirne über der Leere von sechs großen Tischen. Die Spanier wünschen zu essen. Manager Wawan findet sich; doch er erklärt leise und höflich, dass die Köchin nur für das Personal kocht – und Frau Hun auch nicht. Jedoch Warung Sederhana in Ampana fällt ihm ein. Er selbst habe nie dort gegessen, Frau Hun aber manchmal dort abgesetzt. So fährt Wawan die Spanier zehn Minuten bis ins Herz der Stadt, parkt im Finstern auf einem Platz und deutet auf einen Lichtschimmer.

Großes Essen, kaum erwartet

Zwischen parkenden Autos nähern sie sich hinter Wawan dem Licht. Der Schimmer kommt von der Kerze zwischen vollen Schüsseln und Tellern. Drum herum sitzen acht lebhafte Indonesier, die mit Händen essen, Suppe schlürfen und Tee trinken. Die Spanier setzen sich an einen leeren Tisch und legen die Hände auf die Wachsdecke. „Warum brennt kein Licht?“, fragen sie Wawan, der gehen möchte. „Stromsperre. Es gibt feste Zeiten für jedes Viertel.“ Eine Frau stellt eine Kerze auf den Tisch – „Brust oder Keule?“, übersetzt Wawan ihre Frage. „Wovon?“, wollen die Spanier wissen. „Freilaufendes Huhn vom Land“, antwortet Wawan, „ist eine Spezialität hier.“ Noch einmal übersetzt er fragend: Gegrillt oder im offenen Feuer?“ Bevor Wawan geht, zeigt er ins Fast-Dunkel: „Dort ist ein Waschbecken.“ Während die Spanier sich die Hände waschen, sehen sie durch Ritzen der Bretterwand in die Küche. Holzscheite glühen, Taschenlampen huschen durch Rußes-Schwärze. Gesichter erkennen die Spanier keine. Über gestampfte Erde gehen sie zurück zum Tisch und finden dampfende Suppenschüsseln, knusprige Hühnerbrüste, Keulen, gekochte Eier, gebackenen Tofu, Blattgemüse, Limettenviertel, scharfe Saucen, Reis und Löffel. Sie erkennen es kaum auf ihren Tellern, aber so gut gegessen haben sie lange nicht wie hier im Warung Sederhana, einer einfachen Bude. Die Köchin kommt und zeigt ihnen, dass sie das heiße Ei pellen und – in die Suppe gleiten lassen sollen. Wieder auf der Straße können sie nicht aufhören, von diesem Essen zu sprechen. Sie winken ein Benda heran. Das Pferdchen vor dem zweirädrigen Karren trottet mit ihnen nach Kahyangan zurück.

Gemeinsam staunen

Morgens werden sie wach von hundertfachem Zwitschern. Sie beeilen sich, wollen vor Beginn der totalen Sonnenfinsternis im lichtdurchfluteten Restaurant frühstücken. „Wo“, fragt Frau Hun Wawan ungläubig, „in ihren Bungalows stehen doch Wasserflaschen, Wasserkocher und Pulverkaffee.“ Wawan bringt jedem drei Scheiben Toast in die Bungalows. Gelassen knabbern sie daran.

Die Chirurgen und Augenärzte sind eigens der Sonnenfinsternis wegen angereist. Zusammen mit Frau Hun stehen sie vor dem Restaurant, mit Finsterbrille auf der Nase Richtung Sonne. Das Licht wird matter, fremd, die Luft kühler. Selbstvergessen lächelnde, staunend-glückliche Gesichter. Als es dunkel wird, löst sich aus ihren Kehlen ein Raunen. Es ist schon wieder lichter als licht, stellt Frau Hun gebackene Melanzani und Reis auf den Tisch neben dem Teich im Restaurant. Sie schält verschwenderisch viele der soeben gepflückten Mangos und Ananas. Die überraschten Gäste schmausen und loben. Auf dem Weg in ihre Bungalows sehen sie Wawan in der Küche auf dem Boden liegen, die Füße auf einem Stuhl links vom Fernseher, wo Fußballer über den Bildschirm laufen. Er schläft. Die Spanier nehmen leise Wasserflaschen aus dem Vorratsraum und hinterlassen eine Notiz.

Selbstentzündlich

Nachmittags lässt Frau Hun die Gäste wissen: „Wenn sie wollen bringt ein Fischer sie nach Tanjung Api. Das ist ganz nah. Da kommt Feuer aus der Erde.“ Sie wollen. Gehen über die Straße und die wenigen Meter bis zum Meer auf dem Pfad zwischen flach wachsenden fetten Blättern. Mittendrin kaut ein weißes Rind. Fast zwei Stunden warten die Vier auf den Fischer, lassen Steinchen übers Meer flitzen. Dann gleitet sein Kanu heran. Sie klettern hinein, hören den Zweitaktmotor eineinhalb Stunden tuckern. Im Meer spiegeln sich weiße Wolkentürme. Die Sonne steht schon tief, da steuert der Fischer das Kanu mit der auflaufenden Flut an einen wilden Strand. Er hebt einen Stock auf, zieht eine Linie in den knapp mit Wasser bedeckten Sand und lächelt: „Schon zu nass. Ein bisschen früher, und ich hätte schlafendes Feuer geweckt.“ Er zeigt auf züngelnde Flammen am Hang der Küste. Mit Stöcken stochern die Vier zwischen Steinen und Erdreich, wo sogleich Gas entweicht und sich in der Luft entzündet. Bevor sie wieder ins Kanu steigen, schwimmen sie über perlende Gasbläschen im klaren Wasser. Dann tuckert das Kanu zurück durch die Nacht. Im glatten Meer spiegelt sich jetzt die Mondsichel.

Anderntags brechen die Vier zu einer entlegenen Insel auf. Das Schnellboot Herkules am Dock von Ampana ist gebucht und bezahlt. Doch sie finden es bis aufs Dach beladen mit Bündeln, Kartons, kopftuch-verhüllten, vergnügten Frauen und kettenrauchenden Männern vor. Sich dazwischen quetschen? Nein, soviel authentisches Indonesien wollen sie doch nicht erfahren. Herkules liegt ohnedies bedenklich tief im Wasser. Der Bootsführer gibt ihnen ihr Geld zurück. In Kahyangan ist Frau Hun bereit, die Pflanze, die sie in das gerade ausgehobene Loch setzen will, liegen zu lassen. Eine Hand in die Hüfte gestemmt, spricht sie schnell in ihr Handy und gibt Wawan Anweisungen. Die Vier sehen ihn Bindfäden um Pappkartons schnüren und Setzlinge zusammenraffen. „Kommt mit zum Strand“, fordert sie die Gäste auf, „ein Freund bringt euch zum Herkules-Preis zur Insel.“ Sie gehen auf dem Pfad zwischen den fetten Blättern zum Meer und sehen das Motorboot kommen. Die Dünung schwappt den weißen Bug auf den steinigen Strand. Er kippt von rechts nach links, während die Reisenden an Bord klettern. „Wir kommen in zwei Wochen wieder“, rufen die Spanier Frau Hun zu. Und winken, lachen und suchen im Cockpit Halt zwischen Kartons und Pflanzen, die Frau Hun ihnen für ihren Garten auf der entlegenen Insel mitgibt.

REMOTE

Anreise: Flug nach Wien von Jakarta (etwa mit Qatar über Doha) und weiter nach Palu und Ampana.

Hotel: Bungalows von Kahyangan in Ampana.

Sulawesi: Touristisch ist Sulawesi noch weniger erschlossen. Gäste kommen u.a. in das Toraja-Gebiet nördlich der Hauptstadt Makassar zu Dschungeltouren. Taucher steuern Palu an, das Gebiet um die Insel Bunaken im Nordosten bei Manado, die Lembeh-Street oder die Togian-Inseln (Nationalpark). Es gibt einige Nationalparks: Bogani Nani Wartabone oder der Lore-Lindu mit einer Megalithkultur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2017)

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