Barcelona: Eine Touristenmetropole, die keine sein will

Touristenmassen: Nicht geliebt in Boomtown Barcelona.
Touristenmassen: Nicht geliebt in Boomtown Barcelona.APA/AFP/JOSEP LAGO
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"Descobreix Barcelona!", zu Deutsch "Entdecke Barcelona!", schallt es katalanisch aus einem Lautsprecher auf dem Flughafen El Prat. Und es stimmt: Die Stadt bietet mehr als Klischees.

„Oh bandera catalana, nostre cor t'és ben fidel“, tönt es aus dem Radio auf dem Weg vom Flughafen. Was auf Deutsch so viel heißt wie: „Oh katalanische Flagge, unser Herz bleibt dir treu.“ Die Ballade „El Cant de la Senyera“ von Lluís Millet war unter dem Franco-Regime verboten, ist sie doch Teil der katalanischen Sprache und Kultur. Heute ist sie wieder die inoffizielle Hymne der Provinz Katalonien im Nordosten Spaniens. Der Kampf um die Unabhängigkeit von der Iberischen Halbinsel flammte im vergangenen September wieder auf. Knapp ein halbes Jahr danach scheint der Konflikt wieder etwas abgeflaut zu sein. Die rot-gelb gestreifte katalanische Flagge, die in Barcelona, der Hauptstadt der Provinz, an jedem fünften Haus hängt, zeigt weiterhin den ungebrochenen Stolz der Katalanen.

Locals weichen aus

Barcelona bricht jedes Jahr alle Besucherrekorde. Und das nicht unbedingt zur Freude der Bewohner der Metropole am Meer, die ihren Unmut über die Touristenmassen mehr oder weniger unverhüllt zeigen. Einwohnervereine schätzen, dass mittlerweile rund 17.000 Wohnungen der Stadt als Touristenapartments vermietet werden und damit dem regulären Immobilienmarkt entzogen sind. Die daraus resultierende Wohnungsknappheit ließ die Mieten in den vergangenen drei Jahren in die Höhe schnellen.

Barcelona – Not for Sale

Ada Calou, früher selbst Aktivistin und seit 2015 Bürgermeisterin Barcelonas, setzt sich stark dafür ein, die Touristenzahlen zu begrenzen. Barcelona soll kein zweites Venedig werden, ist der Tenor. Der Bau neuer Hotels soll künftig gestoppt und für neue Touristenapartments sollen auch keine Lizenzen mehr ausgegeben werden.

Die Touristenflut auf der beliebten Flaniermeile La Rambla im Zentrum Barcelonas steht symbolisch für die derzeitige Situation. Die Menschenmassen wurden im vergangenen August 2017 zudem Ziel des Terrors, als ein Lieferwagen in die Touristenmenge raste. 16 Menschen starben, mehr als 120 wurden verletzt.

Bürgermeisterin Calou erklärte damals, dass Barcelona auch nach dem Anschlag eine weltoffene Stadt bleiben werde. Und dieser Gedanke ist in der Stadt, in der atmosphärisch der europäische Kontinent auf Südamerika zu treffen scheint, ungebrochen. Barcelona vermittelt dem Besucher ein besonderes Lebensgefühl. Vor allem abseits der vielfach belagerten Klassiker wie Antoni Gaudís Sagrada Família. Man nimmt also die Seitenwege, anstatt sich zu schieben und in langen Reihen vor den Sehenswürdigkeiten anzustellen.

Vom Plaça Catalunya aus beginnt ein Rundgang durch die Stadt am besten in Barcelonas früher gefürchtetem Viertel El Raval. Um den Touristenscharen zu entfliehen, gilt es, nach einigen Metern auf dem Fußgängerboulevard La Rambla rechts in die Carrer del Bonsuccés einzubiegen. Tat man noch vor ein paar Jahren gut daran, die Straßen von Raval nachts zu meiden, ist das Viertel heute der Hotspot für trendige Bars und Kultur. Skater brettern die enge Gasse hinunter, bis sie am Ende rechts auf die Carrer de Montalegre abbiegen. Dort auf dem großen Platz vor dem Museu d'Art Contemporani de Barcelona (Macba) trifft sich die internationale Boarderszene und führt ihre Tricks vor. Das Macba ist zu einem der international bedeutendsten Museen für zeitgenössische Kunst geworden. Zurzeit zeigt das Haus die Ausstellung „From Barcelona to Abu Dhabi: Works from the Macba Art Collection in Dialogue with the Emirates“. Es folgt eine Schau der kuriosen Art Wunderkammer des katalanischen Künstlers Francesc Torres („The Hermetic Bell. Space for a Non-Transferable Anthropology“).

Orangen, Buch, Schatten

Gleich vor dem Museum liegt die Carrer dels Àngels, die rechts auf die Carrer del Carme führt. Ein Schild an einer alten Mauer weist auf das Antic Hospital de la Santa Creu hin. Das alte Krankenhaus wurde 1401 erbaut und war bis in die 1930er-Jahre in Betrieb. Ein schmaler Gang führt in den Innenhof, wo rund um einen Brunnen bunte Tische im Schatten alter Orangenbäume stehen. Mit einem Buch, das man sich am Eingang ausborgen kann, lässt es sich hier entspannen. Nach einem Abstecher in die trendige Café-Bar im Garten des alten Spitals geht es zum Ausgang links auf die Carrer de L'Hospital. Wenige Gehminuten entfernt wartet die Filmoteca de Catalunya auf den Stadtflaneur: Das Filmarchiv im Zentrum Ravals begeistert auf 6000 Quadratmetern viele Filmfans. Bereits um vier Euro sind Kinoklassiker wie Fritz Langs „Metropolis“ zu sehen. In wechselnden Retrospektiven widmet sich das Programm dem Schaffen internationaler Regisseure.

Am Ende der Carrer de L'Hospital ist erneut die Ameisenstraße La Rambla zu überqueren. Willkommen im ältesten Viertel der Stadt: El Barri Gòtic. In diesem Labyrinth aus engen mittelalterlichen Gassen führt der Streifzug weiter auf die Carrer de la Boqueria, die links in die Carrer dels Banys Nous abbiegt und im jüdischen Viertel El Call landet. Ein kleines Museum in einem Souterrain erinnert an die jüdische Geschichte der Stadt. Auf wenigen Quadratmetern sind die Überreste der römischen Stadtmauer zu sehen, auf denen das heutige Barcelona gebaut ist.

Skurriles und frittierter Fisch

Gleich ums Ecke landet man schließlich auf dem Placa de Sant Felip Neri, dessen Atmosphäre Woody Allen in seinem Film „Vicky Christina Barcelona“ auf die Filmleinwand gebracht hat. Barock-Architektur trifft hier auf Renaissance. Der Platz bildet einen Ruhepol im Herzen der pulsierenden Stadt. Am Ende des Platzes führt eine kleine Gasse zum Placa Nova, auf dem die berühmte gotische Catedral de Barcelona thront.

Gleich neben der Kathedrale ist das Skulpturen- und Kuriositätenmuseum Museu Frederic Marès ein Muss auf dieser Erkundungstour durch Barcelona. Der Bildhauer war ein leidenschaftlicher Sammler, der von seinen zahlreichen Reisen im Lauf des 20. Jahrhunderts Kuriositäten aus aller Welt mitbrachte. Heute würde man ihn vielleicht als Messie bezeichnen: Marès hortete fast alles, angefangen von Monokeln, Fahrrädern und Fächern bis hin zu Miniaturtheatern aus Papier.

Markt gehört dem Viertel

Entlang der nahe gelegenen Avenida de Francesc Cambo befindet sich im Stadtviertel El Born der Mercat de Santa Catarina, dessen regenbogenfarbenes Wellendach schon aus der Ferne ins Auge sticht. Wie jedes Viertel in Barcelona hat auch Born seinen eigenen Markt. Dieser hier ist vielleicht nicht so berühmt wie sein großer Bruder La Boceria, dafür drängen sich vor den Marktständen aber auch keine Touristen. Exotische Früchte, Nüsse und frittierter Fisch werden hier angeboten. Wer dennoch nicht satt wird, findet in El Born viele Plätze mit preiswertem Essen.

Zum Abschluss aufs Dach

Denn inzwischen hat sich auf dem Fußmarsch Appetit eingestellt: Hinter der ehemaligen Markthalle aus dem 18. Jahrhundert, dem heutigen El Born Center Cultural, sei ein Fischlokal mit Self-Service, das El Paradeta, empfohlen. In der Gaststätte geht es wie auf dem Fischmarkt zu: Die Marktschreierin nimmt die Bestellungen auf, die wild durch den Raum gerufen werden. Der gewünschte Fisch wird gewogen und anschließend frisch frittiert, gegrillt oder auf andalusische Art zubereitet.

Diese „vuelta“ (spanisch für Runde) endet in dem ehemaligen Fischerviertel Barceloneta. Zeit für einen Drink: Wenige Gehminuten entfernt ist die Bar auf dem Dach des Museums für katalanische Geschichte ein Geheimtipp. Auf der Terrasse des Restaurants 1881 kann man dann zusehen, wie die Sonne über dem alten Hafen der katalanischen Metropole, Port Vell, im Meer untergeht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2018)

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