Birdwatching am Neusiedler See: Der frühe Vogel fängt den Wurm

Ausgangsposition. Beobachtungsplattformen stehen an mehreren Stellen im Nationalpark. Hier in Illmitz.
Ausgangsposition. Beobachtungsplattformen stehen an mehreren Stellen im Nationalpark. Hier in Illmitz.(c) Madeleine Napetschnig
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Zum Birdwatching ist kein Ort ergiebiger als das Gebiet rund um die Salzlacken des Seewinkels und den Schilfgürtel des Neusiedler Sees.

Nicht alles schläft im Morgengrauen. Die Vögel sind bereits aktiv, und auch ein paar Menschen schälen sich aus dem Bettzeug, werfen sich in dezent-farbige Kleidung, packen Pullover, Thermoskanne, Schreibzeug, Smartphone und Kamera in den Rucksack. Der „Svensson“, das Nachschlagewerk der Vogelbeobachter schlechthin, muss natürlich mit, zum Ausräumen von Unklarheiten bei der Bestimmung der Arten. Das wichtigste Utensil einer morgendämmrigen Vogelbeobachtung im Seewinkel, im Nationalpark, ist aber das Fernglas. Von bester Qualität soll es sein. Wenn nicht gleich ein Spektiv mit Stativ, das den versierten Birdwatcher auszeichnet.

Praktischerweise muss sich die ornithologisch interessierte Kleingruppe in Illmitz nur einmal kurz aufs Fahrrad schwingen und ein paar Minuten Richtung Nationalparkzentrum und von dort kurz weiter Richtung See treten. Hier, am grün verdichteten Ufersaum, beginnt die Naturzone, die nicht betreten werden darf. Aber sie mit dem Fernglas zu screenen ist natürlich erlaubt, erwünscht.

Teambuilding. Ziel eines „Bird-race“ ist es, möglichst viele Arten zu entdecken.
Teambuilding. Ziel eines „Bird-race“ ist es, möglichst viele Arten zu entdecken.(c) Madeleine Napetschnig

Noch am Sattel, wird das erste Exemplar gesichtet. Nummer eins auf einer – wie sich nach Stunden herausstellt – sehr langen Liste ist, ja, eindeutig – eine Saatkrähe. Aha, weiter drüben, das könnte ein Waldlaubsänger sein. Der schmetternde Gesang wird einer Nachtigall zugeordnet. Sitzt da oben, in der Pappel, eine Waldohreule? Nein, doch nicht. Kiebitz, Wiedehopf, Löffelente, Graureiher, Stieglitz, Kuckuck, Zilpzalp und so weiter und so weiter kritzelt die Gruppe aufs Papier. „Birdrace“ nennt man den Wettbewerb, bei dem Teams von mindestens zwei Teilnehmern innert eines bestimmten Zeitraums versuchen, möglichst viele Vogelarten zu entdecken. Relativ unbeeindruckt von den „Birdern“, die im Morgenlicht bei Illmitz zwischen den Salzlacken und dem dicken Schilfgürtel, den Feuchtwiesen und den Hutweiden herumstreifen, kreuzen Graugansfamilien samt Nachwuchs den Weg. Im langsamen Stop-and-go legen Vogelbeobachter im Frühling eher kurze Distanzen zurück, weil sich viele Tiere in der Balzzeit bemerkbar machen und zeigen.

Abflug. Den Kiebitz erkennt man schon an seinem Flugbild.
Abflug. Den Kiebitz erkennt man schon an seinem Flugbild. (c) Dr Günther Karmann Archiv NP

Mehr als 350 Vogelarten. Aber grundsätzlich braucht es Zeit und Geduld, Vögel im schwachen Schein der aufgehenden oder untergehenden Sonne zu entdecken. Hinzu kommt die Distanz, die aufgrund der Bewahrungszone eingehalten werden muss. Und weil die Landschaft so flach ist wie ein Schneidbrett, wurden an einigen Stellen des Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel (niedrige) Hochstände errichtet, die einerseits Ausguck bieten und andererseits Balken zum Verschließen haben, damit die Tiere den Zweibeiner nicht gleich bemerken, der ihnen mit optischen Geräten nachstellt. Dort wartet man gespannt, ob ein seltenes Exemplar die Bühne betritt. Manche Spezies zeigt sich nie, obwohl vogelkundliche Bücher und populärwissenschaftliche Naturdokus oft diese Erwartungshaltung schüren.

Dennoch: In kaum einem anderen Landstrich Mitteleuropas wird der Birdwatcher so viele Vogelarten beobachten können wie in der exotischen Steppenlandschaft des Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel. Mehr als 350 Vogelarten sind hier heimisch – als konstante Bewohner, Nebenwohnsitzler oder echte Durchzügler. Naturgemäß ist die Bewegung wegen des Vogelzugs im Frühling und Herbst am größten, doch eine richtige Jahreszeit zur Beobachtung gebe es nicht, erklärt Alois Lang vom Nationalpark. „Sondern vielmehr viele richtige Jahreszeiten. Und nicht selten spielt die Tageszeit eine gewichtige Rolle, was jeder bestätigen kann, der schon einmal bei Hitze oder Gegenlicht trotz guter Ausrüstung gescheitert ist.“

Effekt. Die ­Flächen ­profitieren von der traditionellen Beweidung.
Effekt. Die ­Flächen ­profitieren von der traditionellen Beweidung. (c) AL Archiv NP

Nationalpark seit 25 Jahren. Vor allem rund um die „Pannonian Bird-Experience“ (BEX) jedes Jahr Mitte April wird sichtbar, welche internationale Bedeutung dieser Nationalpark in der Ornithologenwelt hat. Birder aus vielen Ländern reisen zu gemeinsamen Exkursionen mit den Experten vom Nationalpark an. Zu Vorträgen abends im Wirtshaus und untertags im Zentrum, oder auch, um sich dort mit neuestem Material (Objektiven, Spektiven, Literatur, Tarnkleidung) einzudecken.

Lange schien Birdwatching eine ziemlich britische Disziplin zu sein, in den vergangenen Jahren gewinnt sie in unseren Breiten jedoch immer mehr Anhänger. Die Birder rund um den Neusiedler See, vor allem im Seewinkel, sind ein Wirtschaftsfaktor, denn sie kommen auch zu einer Zeit, in der der Wassersportler, Radfahrer und Weinreisende vielleicht nicht (mehr) zugegen ist. Und sie bleiben mitunter länger – bis sie das Erhoffte gesehen haben. Durch den Nationalpark gibt es Infrastruktur und einen Ort der Expertise, einen Treffpunkt, an dem sich die vogelkundlich Interessierten austauschen.

Heuer feiert der Nationalpark den 25. Geburtstag seines Bestehens, obwohl der erste Gedanke daran schon auf 1926 datiert. Es folgte eine lange Geburt in Etappen, aus diversen Gründen, unter anderem, weil man 1971 etwa über eine Brücke über den See nachdachte. Oder sich die politischen Umstände ändern sollten – einige Nationalparkbereiche liegen in Ungarn.

Schwankung. Salzlacken trocknen immer wieder aus. Manche verlanden.
Schwankung. Salzlacken trocknen immer wieder aus. Manche verlanden.(c) Madeleine Napetschnig

Außergewöhnlich ist dieser Nationalpark vor allem, weil er nicht aus einer einzigen geschlossenen Fläche unberührter, schwer zugänglicher Natur besteht. Sondern er setzt sich aus einzelnen Flächen von Natur- und Bewahrungszonen zusammen, die mehr oder weniger insular neben einem Landschaftsschutzgebiet liegen, das jahrhundertelang als Kulturland geprägt wurde. Herausfordernd war es auch, nicht mit ein paar wenigen, sondern mit 1200 Grundeigentümern zu verhandeln. Diese erhalten jährlich eine Ertragsentgangsentschädigung für das Außernutzungstellen ihrer Flächen.

Dies erklärt das organische Nebeneinander von Landwirtschaft, Tourismus und Naturschutz, die kleinteilige Struktur im Landschaftsbild: dort Rebzeilen, da Salzlacken – manchmal voll, manchmal ausgetrocknet. Dort Schilfgürtel, da Seezugang. Dort Vieh, da Gemüse. Wobei der Laie erst einmal verstehen muss, dass die gezielte Beweidung (etwa mit Graurindern), Wiesenmahd und Schilfschnitt zum Artenreichtum beitragen: Hier geht es nicht um einen konservativen Naturschutz, sondern um Pflege – zwecks „Biotopqualität“.

Infos

Hinschauen: Nationalpark-Zentrum in Illmitz: viele Exkursionen, Veranstaltungen, Infos, www.nationalpark-neusiedlersee-seewinkel.at

Birdwatching: Zwischen Podersdorf, Illmitz, Apetlon und St. Andrä u. a. bei Stinkerseen, Sandeck, Zicklacke, Darscho, Lange Lacke.

Übernachten: Hotel Nationalpark in Illmitz, Vier-Sterne-Haus, schöner Garten, Fahrräder zum Ausleihen, www.hotel-nationalpark.com

Einkehren: In Illmitz: Landgasthaus Karlo (www.landgasthaus-karlo.at), Heuriger zur Hölle (www.weingut-hoelle.at), Gowerl-Haus (www.gowerlhaus.at), Presshaus (www.presshaus.com). In Podersdorf: Gasthof zur Dankbarkeit (www.dankbarkeit.at).

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