Florida: Meereswesen im Zauberwald

Wildnis gleich bei Orlando: Blue Spring State Park in Orlando. Rechts: Nicht andere Meeressäuger, sondern Elefanten sind die Verwandten der Seekühe.
Wildnis gleich bei Orlando: Blue Spring State Park in Orlando. Rechts: Nicht andere Meeressäuger, sondern Elefanten sind die Verwandten der Seekühe. imago/blickwinkel
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Orlando, die Ferienhauptstadt der USA, ist bekannt für Freizeitparks mit vielen Hightech-Attraktionen. Ganz in der Nähe sorgt jedoch die Wildnis Floridas für Abenteuer. Im Blue Spring State Park lassen sich Seekühe beobachten.

Die blaue Quelle liegt in einem Zauberwald bei Orange City, nur etwas mehr als eine halbe Autostunde von Downtown Orlando. Von knorrigen und immergrünen Kiefern, Eichen, Palmen und Zypressen baumeln Bündel langer, grünlich grauer Zotteln und verwandeln den Blue Spring State Park in eine schaurig-schöne Märchenlandschaft. Die geheimnisvolle Pflanze, die sich nur davon ernährt, was ihr Luft und Regen bieten, heißt Feenhaar, Tillandsia usneoides oder Spanisches Moos.

Doch weder mit Spanien noch mit Moos hat die Bromelienart zu tun. Sie ist eine Ureinwohnerin von Florida und eine Ananasverwandte. Laut indianischer Legende schmückte sie das Haupt einer Prinzessin, die am Tag ihrer Hochzeit in die ewigen Jagdgründe geschickt wurde. Nur der Schopf des Mädchens, so der Mythos, blieb am Leben und wächst seither von Ast zu Ast.

Das Spiegelbild des greisen Feenhaarbaums bewegt sich. Im klaren Wasser von Blue Spring erscheinen die Konturen jener Wesen, die Christoph Kolumbus einst für Meerjungfrauen hielt: Karibik-Manatis. Sie haben keine Haare – abgesehen von ihrem Schnauzbart und ein paar Borsten auf der Faltenhaut von Bauch und Rücken. Überhaupt bringt die Schönheit dieser grauen, korpulenten „Nixen“ auf den ersten Blick wohl kaum jemand ins Schwärmen. In Größe, Form und Farbe ähneln sie von Weitem Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg – oder dicken Robben. Ihre nächsten Verwandten aber sind die Elefanten.

(c) imago/ZUMA Press (Nancy Moreland)

Liebenswerte Meeressäuger

Mit drei Flossen bewegen sie sich paddelnd vorwärts. Doch je näher sie dem Aussichtsdeck kommen, um so deutlicher wird ihr rundliches Gesicht: die breite Nase, die den Mund verdeckt, die schwarzen, etwas traurigen Augen. Tatsächlich haben die hoch entwickelten Meeressäuger, die das Wasser nie verlassen, sehr viel Menschliches und Liebenswertes – auch wenn sie dem Amerika-Eroberer nicht hübsch genug erschienen. Sie trügen viel zu „männliche Züge“, schrieb er 1493 in sein Logbuch. Von Seekühen oder Karibik-Manatis hatte der enttäuschte Seefahrer nie etwas gehört. Das gut drei Meter lange Exemplar, das inzwischen direkt vor der Plattform schwimmt, ist eindeutig weiblich, das Kalb sein Baby.

„Für Manatis ist Blue Spring ein ideales Winterquartier, denn ganz gleich, wie kalt es in der Umgebung ist – die Temperatur der artesischen Quelle beträgt zu jeder Zeit konstante 22,5 Grad Celsius“, erklärt Cora Berchem. Die deutsche Multimediaspezialistin arbeitet seit ein paar Jahren für die Schutzorganisation Save the Manatee Club. Dabei unterstützt sie die Arbeit der Meeresbiologen vor allem mit diversen Aufzeichnungen – von Beobachtungs- und Messdaten bis zu Foto- und Filmaufnahmen sowie bei Zählungen.

„Manatis sehen zwar fett aus, doch sie verfügen nur über eine geringe Speckschicht. In Gewässern unter 20 Grad können sie nicht lang bleiben“, erklärt Berchem. Zwischen Mitte November und Mitte März kommen die Tiere über den St. John's River in das Gebiet der Quellen, die ihn speisen. Nur zum Seegrasfressen kehren sie von Zeit zu Zeit in den oft deutlich kühleren Fluss zurück.

(c) imago/blickwinkel

Gefahren ausgesetzt

Die Manati-Mama am Aussichtsdeck wendet sich ihrem Nachwuchs zu. Berchem zeigt auf eine große Narbe an der Flanke des erwachsenen Tieres: „Sie wurde durch eine Schiffsschraube verletzt. Zum Glück fanden wir sie rechtzeitig und konnten sie retten. Leider sind Verkehrsunfälle vor allem durch Sport- und Ausflugsboote an der Tagesordnung. Allein im traurigen Rekordjahr 2016 wurden dabei 520 Manatis getötet. Auch das macht das ruhige Quellbecken für Seekühe attraktiv. Denn hier sind sie in Sicherheit“, sagt sie.

Je niedriger die Temperaturen, um so mehr Manatis tummeln sich in Blue Spring. „Die besten Chancen, sie zu sehen, haben Parkbesucher zwischen acht und elf Uhr morgens. Nach kalten Wetterperioden können sich hier Hunderte Tiere zugleich versammeln. Der Spitzenwert liegt bei 458 an einem Tag. 509 verschiedene Individuen besuchten uns im letzten Winter“, erläutert die Wissenschaftlerin.

(c) imago/ZUMA Press (Douglas R. Clifford)

Kein Streichelzoo

Mittlerweile herrscht im Wasser wie am Ufer mehr Geschäftigkeit. Sowohl Manatis als auch Menschen sind dazugekommen. Betrachtet man die Szenerie, fragt man sich, wer hier eigentlich wen beobachtet. „Beim Schauen muss es bleiben“, mahnt Berchem. Denn selbst wenn die behäbigen, harmlosen Pflanzenfresser so nahe kommen, dass man sie berühren könnte: „Es sind wilde Tiere, und der Park ist ein geschützter Zufluchtsort, kein Streichelzoo.“ Darum sind Schwimmen, Schnorcheln sowie Paddeln im Winter nicht erlaubt.

Sowohl beim Schutz als auch bei der Forschung arbeiten Blue Spring State Park, Save the Manatee Club und Florida Fish & Wildlife Conservation Commission zusammen. Sie kümmern sich um kranke und verletzte Individuen. Zur medizinischen Versorgung stehen drei Meerestierkrankenhäuser zur Verfügung. Karibik-Manatis gelten wie die drei anderen weltweit noch lebenden Seekuh-Arten als gefährdet. Dass die Population Floridas von 1267 im Jahr 1991 bis heute auf 6620 gestiegen ist und damit zu den wenigen wachsenden zählt, ist auch ein Verdienst von Berchem und ihren Kollegen.

Compliance-Hinweis

Die Recherchereise wurde unterstützt von Visit Orlando, www.visitorlando.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2018)

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