Bodensee: Die Rückkehr der Höri-Bülle

Schwebstoff. Zeppelin: Lenkbarer als ein Ballon, leiser als ein Hubschrauber.
Schwebstoff. Zeppelin: Lenkbarer als ein Ballon, leiser als ein Hubschrauber.(c) Martin Amanshauser
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Am südlichen Ende von Baden-Württemberg fliegt der Zeppelin, wächst eine Zwiebel in UFO-Form, und die Trauben werden gewimmelt.

Endlich einmal stimmt ein Werbespruch. Das ist tatsächlich „die schönste Art zu fliegen", die leise, fast majestätische Bewegung des sich hebenden Zeppelins, wenn er rasch auf seine Flughöhe von 300  Metern steigt. Oben dürfen sich die zwölf Insassen abschnallen und frei in der Kabine bewegen. Die Reisegeschwindigkeit beträgt um die 100  Kilometer pro Stunde. Zwei Fenster sind geöffnet, unten zieht Friedrichshafen vorbei, mit seinem großen, weißen Zeppelin-Museum am Bodensee, dem Trinkwasserreservoir für 4,5 Millionen Menschen.

Nur durch eine Stufe ist das Cockpit vom Passagierbereich getrennt. Kate Bord, die britische Pilotin, entschuldigt sich eilig für den Brexit – „ich habe anders gestimmt". Die Frau besitzt große Luftschiff-Erfahrung, lenkte Blimps und Prallluftschiffe, von den knapp 30  Piloten, die den Zeppelin NT steuern dürfen, ist Kate die einzige Frau. Der Zeppelin zieht ruhige Kurven durch die Luft, eine längst überfällige Beschwichtigung der Luftfahrtshektik.

Nur fünf Zeppeline gibt es weltweit. Das hat Lara Pfau, die Dame vom Bodenpersonal, bei der „Passagierbelehrung" gesagt. Die diversen Blimps, Heißluft-Luftschiffe und Prallluftschiffe, zählen nicht dazu. Zeppeline sind Halbstarr- oder Starrluftschiffe, nicht aufgeblasen, mit einem Gerüst aus Trägern und Querstreben. Drei dieser 75 Meter langen Zeppeline NT fliegen über den Bodensee, zwei wurden an die Firma Goodyear in die USA verkauft, und sollten auch Sie einen kaufen wollen, er kostet 16 bis 18 Millionen Euro.

Entschleunigung. Der Zeppelin zieht ruhige Kurven durch die Luft.
Entschleunigung. Der Zeppelin zieht ruhige Kurven durch die Luft. (c) Martin Amanshauser

Große Vergangenheit. Als am 18. September 1997 der erste Zeppelin NT vor 30.000 Zuschauern über dem Bodensee erfolgreich aufstieg, setzte sich ein Kapitel der Luftfahrt fort, das man seit den 1940er-Jahren beendet geglaubt hatte, als die Nationalsozialisten die letzten Zeppeline vernichteten. Der Pionier Ferdinand Graf von Zeppelin (1838–1917) hatte als 52-Jähriger seinem Leben eine neue Bahn gegeben, war aus dem Militärdienst ausgestiegen und hatte unter dem Spott vieler Mitbürger eigensinnig sein Luftschiff entwickelt. 1900 ließ er erstmals ein 128 Meter langes Teil über dem Bodensee aufsteigen. Nach vernichtenden Rückschlägen – dem Absturz 1908 – wurde der Zeppelin doch noch zu einem Symbol seiner Epoche. Die militärische Hoffnung erfüllte sich nie ganz, dafür war das Luftschiff zu groß und plump; ab den 1920er-Jahren entwickelte sich ein Tourismus, der versprach, für jeweils 50 bis 70 Passagiere Europa und Amerika zu verbinden. Jäh führte das Feuerunglück des größten Zeppelins aller Zeiten, der Hindenburg (245 Meter Länge), nach 337.000 unfallfreien Kilometern bei 63 Fahrten, knapp vor der Landung in Lakehurst, New Jersey, zu einem Ende der Personenbeförderung der Fluggeräte mit Wasserstoffgas. Umso netter ist es, dass die Revitalisierung – heute fliegt man mit unbrennbarem Helium – gelang. Und wie! Lenkbarer als jeder Ballon, leiser als jeder Hubschrauber, schöner als jede Drohne, gehört der Zeppelin sicher zu den angenehmsten Beförderungsmitteln der Welt.

Apfel- und Traubenparadies. Das Seeklima mit seinen Föhnwetterlagen begünstigt den Obstanbau, der See speichert die Sonnenwärme, die Bewässerungssituation ist hervorragend. Westlich von Friedrichshafen liegt ein ganz normales Städtchen am Bodensee – Hagnau. Michael und Justine Meichle wohnen inmitten der Pflanzungen ihres Obst- und Weinbaubetriebs am Apfelweg 1. „Die brauchen noch eine Woche oder zehn Tage", sagt Herr Meichle mit Kennerblick. Gerade eben ist Erntezeit, die Helfer kommen jedes Jahr aus Polen und gehören längst zur Familie. Sie pflücken die Äpfel für die hauseigene Mosterei – unter anderem für die spritzige „Apfelperle", einen alkoholfreien Proseccoersatz – und „wimmeln" die Trauben, so der Fachausdruck. Sind die Trauben einmal gewimmelt, werden sie bei der Genossenschaft abgeliefert, die sich um Ausbau und Vermarktung kümmert. Die Hälfte der Trauben der Meichles sind Grau-, Weiß- und Spätburgunder, 40 Prozent Müller-Thurgau. Sie selbst bebauen als mittelgroßer Betrieb sieben Hektar, der Winzerverein managt insgesamt 160 Hektar Trauben. „Wir haben Vollablieferungspflicht", erklärt Michael, „solange die Qualität der Trauben stimmt, nehmen sie uns alles ab."

Apfelaus­beute. Die Bewässerungssituation ist hervorragend.
Apfelaus­beute. Die Bewässerungssituation ist hervorragend. (c) dpa/dpaweb (Patrick Seeger)

Der Kampf gegen den Vogelfraß wird auf mehreren Ebenen geführt. Viele Landwirte breiten große, blaue Netze über die Reben, auch bedienen sie sich raffinierter Methoden wie Beschallung (nicht AC/DC, aber bedrohliche Vogelschreie), der Aufstieg von Drachen in Raubvogelform über den Feldern und einer Abordnung von Platzpatronenschießern, die in die Luft ballern, wenn sich gierige Gäste niederlassen wollen. Heuer sind keine Vögel zu sehen. Vielleicht hängt das mit den Wetterbedingungen zusammen. „In diesem Jahr war es so trocken und heiß, jetzt ist alles zwei Wochen früher", sagt Justine.

Unterhalb der kleinen Meichle-Ländereien liegt das Örtchen Hagnau, ausgestorben und paralysiert vom Sommertourismus. Ersteres kann man nicht behaupten vom nahegelegenen Meersburg, einer Schlossansiedlung am Abhang, mit 40 Höhenmetern Unterschied zwischen Unter- und Oberstadt. Die Meersburger Reben wachsen an halsbrecherischen Steilhängen. Wimmeln? Hier sowieso nur händisch möglich.

Bülle heißt Zwiebel. Die Halbinsel Höri, Kornkammer der Bodenseeregion, heißt so, weil sie einst dem Kloster St. Gallen unterstellt, also „hörig" war. Die Schweiz-Nähe bewirkt, dass man ein bisschen „anderscht schwätzt", wie Sebastian Amann betont, Juniorchef des „Hirschen", der von seiner Familie schon in siebter Generation geführt wird. Wie seine Vorfahren ist er gelernter Viehhändler und Metzger, die Restaurantspezialität sind „Ochsenfetzen", eine Art Geschnetzeltes, nur viel besser. „Manche sagen, wir sind etwas fleischlastig, aber das ist eben die Materie, mit der wir groß geworden sind."

Zu den Ochsenfetzen gehört natürlich die Höri-Bülle, eine hellrote, bauchige Zwiebel, die es nur hier gibt. Es gibt sie schon seit Langem, im Jahr 876 wird sie erstmals von den Mönchen auf der Reichenau erwähnt. „Sie färbt nicht ab, ist ganz mild und hat die Form eines UFOs", erklärt Diana Duventäster-Maier, und die muss es wissen. Schließlich hat schon ihr Opa Geschäfte mit der Höri-Bülle getrieben. „Durch die Trockenheit kamen sie drei Wochen früher", meint Diana, „und sie sind etwas kleiner als sonst. Werden auch früher ausverkauft sein." Duventästers Ernte – großteils von ihrem Vater händisch aus dem Boden geholt – beträgt diesmal hundert Kisten à 20 Kilo. Klar pflanzt die Familie auch Artischocken, Zucchini, Bohnen, Kohlrabi, Fenchel und Rucola an, doch die Höri-Bülle ist Hauptsympathieträger und Imagefaktor. Büllesamen kann man nirgends kaufen, die lokalen Familien züchten nach, schneiden und trocknen die Dolden. Vor 15 Jahren war die Bülle in Gefahr, der Aufwand beim Anbau ist ja recht groß und sie hält nur vier bis fünf Monate. Die EU-Zertifizierung brachte ihren Aufschwung, die Slow-Food-Bewegung propagiert diese besondere Zwiebel.

Inselstatus. Reichenau ist dank seiner ­mittelalterlichen
Inselstatus. Reichenau ist dank seiner ­mittelalterlichen

Hubert Neidhart, Besitzer des „Grünen Baums", des besten Fischlokals in Seeumgebung, lässt nichts über die Höri-Bülle kommen. Sie passt zu vielen Fischgerichten und ist von seinem Tafelspitzcarpaccio nicht wegzudenken. Heute liegen eine mächtige Schleie und zwei ganze Hechte in Salzkruste auf dem Grill. Eine Spezialität ist der Bodenseefelchen, eine Reinanke, der Flagship-Fisch des Bodensees. „Am Obersee haben wir den Blaufelchen, der die Tiefe mag und feiner schmeckt. Der Silberfelchen vom Untersee ist fetter und deftiger, besser zum Räuchern geeignet."

Ewiger Fischer. Stefan Riebel, charismatischer Vollbartmann auf der Insel Reichenau, ordnet seine Netze. Er ist einer von 34 Berufsfischern am Untersee oder, wie er lacht, „Fischwirt, ein normaler Lehrberuf". Das Handwerk lernte er von seinen Vorvätern. „Quereinsteiger geben meist bald wieder auf, es dauert zu lang, bis du dir die Ortskenntnisse erarbeitet hast!" Von den 30 Fischarten im See seien zehn bis zwölf wirtschaftlich interessant. Riebels Hauptgeschäft ist der Felchen, daneben gehen auch Barsch und Hecht gut. „Vor 30 Jahren fischte man die dreifache Menge", erzählt er, Eigenfang mache nur mehr ein Viertel seines Geschäfts aus. Riebel blickt nachdenklich auf den niedrigen Wasserstand. „Dieses Jahr war extrem trocken. Alles geschieht früher."

Monumental. Die Insel Reichenau im Untersee wurde 2000 zum Welterbe der Unesco erhoben, als frühere Klosterinsel, wegen landwirtschaftlicher und religiöser Traditionen, handschriftlicher Quellen und nicht zuletzt aufgrund ihrer drei romanischen Kirchen, erbaut von Benediktinern im Gefolge des legendären Pirmin (724). Tourismusexperte Karl Wehrle sperrt eigens die Georgskirche mit ihren einzigartige Monumentalmalereien aus ottonischer Zeit auf. „Die Armut des Klosters im Barock", erklärt er den Glücksfall, „hat wohl dazu geführt, dass die Kirchen nicht abgerissen und neu gebaut wurden." Anschließend fährt Wehle noch zum höchsten Punkt der Insel, wo seine Frau ein Feld Rebstöcke stehen hat. „Wären schon reif, besser werden sie nicht mehr", sagt er nachdenklich, „aber sie kommen alle sehr früh – im Grunde drei Wochen zu früh." 

Infos

Übernachten: Hotel Knoblauch, Friedrichshafen, angenehmer Ort, mit regelmäßigen Zeppelin-Überflügen, hotel-knoblauch.de

Mein Inselglück, Insel Reiche­nau, tadelloses Hotel, gehoben, modern, meininselglueck.de

Seehotel & Gasthaus Schiff, Moos, 104 Jahre alter Traditions-Familienbetrieb, schiff-moos.de

Essen: Hotel-Gasthaus Hirschen in Gaienhofen-Horn, Traditionsbetrieb, ausgezeichnete Küche, hotelhirschen-bodensee.de

Grüner Baum, Moos, „regionales Dorfgasthaus mit globalem Zeitgeist" des Spitzenkochs Hubert Neidhart, gruenerbaum-moos.de

Riebels Fischdelikatessen, Lokal und Shop auf der Insel Reiche­nau, reichenauer-fischhandlung.de

Zeppelin: Zeppelinmuseum, Frie-drichshafen, zeppelin-museum.de

Hangar und Check-in in Friedrichshafen, https://zeppelin-nt.de

Informationen: germany.travel, tourismus-bw.de

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