Die edlen Steine von Naxos

Das Tempeltor in Portara.
Das Tempeltor in Portara. Tom Busch
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Die Sphinx von Delphi, die Löwen von Delos, Tempel und Tore: Wichtige antike Kunstwerke wurden aus dem berühmten Marmor von Naxos gefertigt.

Sie steht am Hafen, als blickte sie schon seit ewig den Schiffen hinterher. Ach, Ariadne. Am Strand von Naxos ließ dich der Geliebte stehen. Theseus brach das Eheversprechen – und dann ohne die Tochter von Kretas König Minos nach Athen auf. Die Traurigkeit zeigt die Unbekleidete nicht: Ihr Gesicht bleibt im unbearbeiteten Marmor verborgen.

An der Skulptur der Ariadne von Naxos pilgern jährlich Tausende Touristen vorbei, auf dem Weg zur wichtigsten Sehenswürdigkeit, der Portara, dem berühmten Tor des Apollon-Tempels aus dem sechsten Jahrhundert v.Chr. auf der Halbinsel Palátia: sechs Meter hohe Seitenträger, jeweils 20 Tonnen schwer und aus einem Stück Marmor gehauen, aus naxischem Marmor – für die Antike eines der bedeutsamsten Gesteine. Mit bis zu 15 Millimetern großen Kristallen zählt er zu den grobkörnigsten Marmoren der Erde, besteht zu 98 Prozent Kalzit und wurde im Norden beim Küstenort Apollonas und im Inselinneren bei Melanes abgebaut. Von hier stammen auch die Träger und der Türsturz des Tempeltors. Im Steinbruch von Flerio liegt heute noch ein 25 Tonnen schwerer Türsturz, der eigentlich vorgesehen war, als das Tor noch breiter geplant war. Ein kleiner, antiker Messfehler? Rätsel gibt es auch bei den Jünglingsstatuen in Flerio: zwei unvollendete Kouroi, ebenso aus naxischem Marmor.

Die ältesten Marmorfunde auf Naxos datieren bis in die Jungsteinzeit. Zwischen 5500 und 3000 vor Christus entstanden die ersten Figurinen. Auch die Sphinx von Delphi, die auf einer Zehn-Meter-Säule beim Tempel von Apollon stand, und die 16 Delos-Löwen sind aus dem Stein, ebenso der Demeter-Tempel bei Sangri. Heute findet man den Marmor ausgestellt in Athen, Berlin, Kopenhagen. Ein Kouros reiste bis ins Metropolitan Museum in New York. In der Inselmitte wird er heute noch gewonnen. Bei Kinidaro werden direkt unter der Bergkuppe gigantische Quader herausgelöst. Das naxische Unternehmen Karpontini baut hier, im 50.000-m?-Areal von Psarogremna-Zas und auf 92.000 m? von Sanidades, Marmor ab. Schneeweiße Blöcke liegen frei auf dem Hang. Ein Kubikmeter Marmor wiegt 2,7 Tonnen.

Auch der Bildhauer Wolf Bröll holte sich seinen Marmor von Kinidaros. Es musste ein besonderes Stück sein. Der Stuttgarter startete 2004 sein Projekt und schuf die auffallende Skulptur auf dem Weg zum Tempeltor: die Ariadne von Naxos. Seit 15 Jahren blickt sie hinaus aufs Wasser. (cama)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2019)

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