Mühlviertel: Borkenkäfer, Speck und untergäriges Bier

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Hoch oben im Böhmerwald stößt man an die Grenzen von Horizont und Verstand: Denn rund um Guglwald liegt der größte gemeinsame Nenner von Adalbert Stifter, Eisernem Vorhang und Schlumpfhausen de luxe.

Kein Hauch, keine Ahnung von der Welt draußen dringt herein...“, beschrieb Adalbert Stifter einst die Wildnis des Böhmerwalds. Rund um den Plöckenstein konnte Stifter ungestört und fernab aller Revolutionen seiner biedermeierlichen Schreibeslust frönen. Wer heute bis zur Burgruine Wittinghausen empor geklettert ist, kann immer noch so manchen friedvollen Nachsommer in den einsamen Hochwald ziehen sehen.

Zu Adalberts Zeiten, gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, galt wohl der Borkenkäfer als das größte Übel dieses Rotkäppchenidylls. Doch mit dem Zweiten Weltkrieg hielt auch der böse Wolf Einzug in dieses sinnstifternde Paradies. 1950 fiel der Eiserne Vorhang und über und vor allem unter allen Wipfeln machte sich Grabesruhe breit.

Heute ist zumindest in mancher Hinsicht alles wieder beim Alten. Zwar erinnert das Mahnmal des Eisernen Vorhangs an diese unmenschliche Zeit, aber in den überwiegend von Fichten besiedelten böhmischen Tann dringt erneut „keine Ahnung von der Welt draußen“. Diesmal allerdings in friedlicher Absicht.

Schlumpfhausen liegt im Guglwald, welcher sich wiederum in Guglwald befindet und damit zum Gemeindegebiet von Schönegg zählt. Beim Anblick des Vier-Sterne-Hotels Guglwald würden Schlümpfe vor lauter schlumpfiger Architektur umgehend in Begeisterungsgeschlumpfe ausschlumpfen. Türmchen an Türmchen gereiht, ohne je fehl am Platz zu wirken – das grenzt an bauliches Genie. Und das Schlumpfigste daran: hier sind die Maßstäbe menschlich und die Küche himmlisch. Nicht zuletzt dank des hauseigenen Biokräutergartens, in dem Hausherr Dietmar Hehenberger über 100 unterschiedliche Sorten für seine luxuriöse und biozertifizierte Waldfrieden- und Wellnessresidenz zieht.

Mühlviertler Paradoxon

Nomen muss nicht unbedingt Omen sein, das beweist die Region Afiesl, Schönegg und St. Stefan i. Walde. Statt auf drehende Mühlräder trifft man hier auf klappernde Webstühle, denn obgleich diese Gegend an der steinernen Mühl liegt, scheint die Weberstraße schon seit dem Mittelalter stärker frequentiert. Die Zwirn- und Leinwanderzeugung hat einen historisch langen Faden, noch 1930 wurde hier Flachs angebaut. Mittlerweile mussten zwar 80 Prozent der Webereien ihre Handtücher werfen, doch 19 produzieren immer noch hochwertige hand- und wunschgefertigte Stoffe. In Schönegg etwa präsentiert die Schauweberei Kitzmüller ein hochmodernes Labyrinth von Garnen, Rollen, Trommeln und Kettenbäumen.

Getreide gemahlen wird hingegen recht wenig, nicht nur in Ermangelung von Mühlen. Die Mühlviertler setzen heute nicht Flachs, sondern Speck an. Helfenberg etwa ist eine besonders schweineliebende Gemeinde. Die Helfenberger küren im Rahmen von Pigbrother nicht nur die Supersau, sondern verfügen sogar über eine eigene Speckwerkstatt.

Peter Haudum, Wirt zur Linde, experimentiert seit Jahren erfolgreich mit Karreespeck, Pastrami, Rib-eye, geselchtem Bauch und kaltem Rauch. Bei ihm kriegen alle ihr wohl dosiertes Fett ab – vom figurfreundlichen Diätspeck bis zur weihnachtlichen Lebkuchenvariation. Im angrenzenden Gasthof kann man seinen Gaumen dann noch an den bodenständigen Riesenspeckknödeln versuchen. Eine kulinarische Offenbarung, die das Fassungsvermögen von Teller und Gürtelbändern beinahe übersteigt.

Untergäriges aus Unterriedl

Günter Mayr braut Bier. Und zwar ausschließlich untergäriges auf seinem Hof in Unterriedl bei St.Stefan im Walde – was im historisch hopfenaffinen Mühlviertel noch keine Seltenheit wäre. Doch Mayrs Gebräu ist einzigartig. Nicht nur wegen des erfrischend-würzigen Geschmacks, sondern auch, weil der Biobrauer eigentlich Biobauer ist. Schwerpunkt Mutterkuhhaltung. Und zudem Bagger fährt. Die Bierbrauerei sei sein Privatvergnügen, lacht er: „Hauptsache, es artet nicht in Arbeit aus.“

Derzeit fließen so alle 20 Tage an die 300 Liter in die Flaschen. Womit Mayr österreichweit der kleinste gewerbliche Bierbrauer ist. Und vielleicht sogar einer der besten. Es ist erst wenige Jahre her, dass Mayr dem flüssigen Charme von Hopfen und Malz verfallen ist. Am Anfang, berichtet seine Frau, habe er noch im Waschtrog geröstet und dabei den Herd ruiniert – Eigenbrau in Eigenbau sozusagen.

Auch den Kessel hat der kundige Mann selbst hergestellt, das Wasser stammt von der eigenen Quelle, der Hopfen aus Grießkirchen – und auf die Mutterkühe schaut mittlerweile die Frau. Einziger Wermutstropfen: Das „Bachnerbier“ kann nur nach einer längeren kurvigen Anfahrt erworben werden, ab Hof.

Hotel Guglwald (www.guglwald.at), Weberei Kitzmüller (www.@kitzmueller.at), Gasthof und Speckwerkstatt Haudum, Helfenberg (www.haudum.at).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2011)

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