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Wie Island zum Ort für Foodies wurde

Dills Algen, die nach schwarzen Trüffeln schmecken sollen
Dills Algen, die nach schwarzen Trüffeln schmecken sollenInstagram (dillrestaurant)
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Nur gut 300.000 Menschen leben auf Island. Aber die kulinarische Szene ist aktiv, Köche gewinnen weltweit Wettbewerbe, und die Straßen Reykjavíks sind voll von guten Restaurants mit authentischer Küche.

Der kleine Ort Hveragerđi liegt 30 Autominuten südöstlich von Reykjavík. Auf den ersten Blick ist das hier isländisches Nirgendwo. Eine hippe Pizzeria und Brauerei hier zu eröffnen scheint wirtschaftlicher Selbstmord zu sein. Laufey Sif Lárusdóttir hat es trotzdem getan. Und sie hat gute Gründe. Der Tourismus hat auf Island einen Boom ausgelöst, „einen Goldrausch wie im Wilden Westen“, sagt sie. Und die Effekte zeigen sich mittlerweile auch jenseits der isländischen Hauptstadt. Hveragerđi liegt zum Beispiel am sogenannten Golden Circle. Diese Route ist ein fester Programmpunkt der meisten Besucher. Sie verbindet Wasserfälle, Geysire und heiße Quellen.

Entsprechend sitzen an diesem Tag internationale Besucher im Gastraum von Ölverk. Und entsprechend braut Ölverk mit geothermischer Energie. „Wir leiten 110 Grad heißen Dampf ins System und brauen damit“, sagt Lárusdóttir. Die Mikrobrauerei ist für Gäste hinter einer Glasscheibe sichtbar. „Die Anlage fasst nur 300 Liter. Wir verkaufen das Bier deswegen nur hier und füllen nicht ab“, so die 31-Jährige. Zum Bier gibt's Pizza – die üblichen Verdächtigen, aber auch belegt mit Banane oder vegan mit Algen. Für Lárusdóttirs Großmutter wäre das nichts. „Meine Großmutter lebte noch in einer Lehmhütte. Sie kann mit Restaurants nichts anfangen. Für sie ist das Geld- und Zeitverschwendung. Dabei sie ist erst 70 Jahre alt.“ Ähnliche Geschichten hört man auch von anderen Gastronomen auf Island. Die Esskultur des Landes sei noch jung. Lárusdóttir: „Wir sind nicht Frankreich. Uns fehlt die kulinarische Geschichte.“

Mit umso mehr Leidenschaft haben sich die Isländer in den vergangenen Jahren in kulinarische Abenteuer gestürzt. Sie sind gereist, haben im Ausland gearbeitet, dann auf Island Restaurants und Bäckereien eröffnet. „Und wir scheinen nicht ganz schlecht darin zu sein“, sagt die Ölverk-Chefin. „Immerhin gibt es mittlerweile ein Restaurant mit einem Michelin-Stern.“

Vom Noma zum Dill

Der Stern ging im Jahr 2017 an Dill – ein Restaurant mit moderner isländischer Küche im Zentrum Reykjavíks. Auf der Karte finden sich Gerichte wie Seeteufel mit fermentierten Knoblauchzehen, Sellerie mit Muscheln und Seetang und als Dessert: Kohlrübe mit Sahne und Krähenbeeren.

Seit 2018 ist Kári Thorsteinsson Chefkoch des Dill. Der Isländer ist ebenfalls Anfang 30 und seit 15 Jahren in der Gastronomie tätig. Er ist viel herumgekommen, hat in London und Norwegen gearbeitet – und auch im berühmten Noma in Kopenhagen. Aber immer wieder zog es ihn nach Island zurück. „Als ich anfing, war die Szene hier um einiges kleiner. Es gab vielleicht drei sehr gute Restaurants. Und die waren keine Freunde“, erzählt Thorsteinsson bei einem Kaffee im Keller des Dill. „Jeder hasste jeden. Das war ein harter Wettbewerb damals. Heute ist das anders.“ Thorsteinsson kennt die meisten Leute in der Industrie und ist mit vielen befreundet. „Wir helfen uns gegenseitig. Das stärkt die Branche.“

Ausgelöst haben den Wandel zwei Großereignisse: die Finanzkrise 2008 und der Ausbruch des Eyjafjallajökull zwei Jahr später. Die Krise entwertet die isländische Krone. Das machte Urlaub auf Island etwas erschwinglicher und ließ umgekehrt Köche nach lokalen Zutaten suchen, statt teuer zu importieren. Und die Aschewolke des Vulkans blockierte 2010 Flüge weltweit und machte viele Menschen erstmals auf Island aufmerksam. Seitdem haben sich die Besucherzahlen vervierfacht. Pro Jahr kommen heute mehr als zwei Millionen Gäste. „Die Menschen müssen irgendwo schlafen und essen“, sagt Thorsteinsson. „Die Zahl der Restaurants hat sich so allein in den vergangenen fünf Jahre fast verdoppelt.“

Wer heute nach Island kommt, kann in Restaurants essen, die genauso in Paris, New York oder London stehen könnten. Betrieben werden die Lokale von einheimischen preisgekrönten Köchen, die weit mehr bieten, als traditionelle Küche. Hákon Már Örvasson gewann 2001 Bronze beim prestigeträchtigen Kochwettbewerb Bocuse d'Or und führt heute den herausragenden Italiener Essensia mit Blick auf die moderne Konzerthalle Harpa. Mit der Pannacotta hier – 270 Kilometer vom nördlichen Polarkreis – können die wenigsten Italiener in Europas Süden mithalten. Örvassons Rezept: „Vanille, Vanille, Vanille und gerade genug Gelatine, um alles zusammenzuhalten.“

Thráinn Freyr Vigfússon, einer der besten Köche Skandinaviens, serviert in seinem Restaurant Sumac im Herzen Reykjavíks Gerichte aus Nordafrika und dem Nahen Osten. Pizzeria-Chefin Lárusdóttir glaubt, hier wird der nächste Michelin-Stern landen. Und Viktor Örn Andrésson ist Bronze-Gewinner des Bocuse d'Or 2017. Nur ein Restaurant hat er nicht. Wir treffen uns deswegen im Lokal seines Freundes Vigfússon. „Jetzt ist nicht der richtige Moment, eins zu eröffnen“, sagt er. „Es gibt zu viele Restaurants hier in Reykjavík. Und es ist schwer, gutes Personal zu bekommen.“

Auch Andrésson ist überzeugt, dass die einstige Krise Island am Ende viel Gutes gebracht hat: „Vor der Finanzkrise haben alle Zebra, Känguru und anderes Fleisch aus Afrika und Australien importiert. Mit der Krise war das vorbei.“ Damals erreichte die Welle der New Nordic Cuisine die Insel. „Wir haben begonnen zu entdecken, was wir vor der eigenen Haustür haben. So sind viele schöne Ideen entstanden.“ Restaurants wie das Dill räuchern Fleisch und Fisch häufig mit Tierdung. Getrockneter Fisch findet sich auch in modernen Rezepten. Und das fettarme isländische Joghurt Skyr ist mittlerweile in Supermärkten europaweit zu finden.

Was die Macht der Plattentektonik angeht, mahnt der Koch eher zur Vorsicht. Das Schlimmste, was der Insel jetzt passieren könne, sei ein erneuter Vulkanausbruch: „Ich habe damals in der Spa-Landschaft Blue Lagoon gekocht. Tagelang landete kein Flugzeug. Alles war total leer. Wäre das zwei Monate so weitergegangen, hätten die Eigentümer zumachen müssen.“ Würde Islands Tourismus heute über längere Zeit ähnlich lahmgelegt, hätte das enorme Auswirkungen. „Das wäre, als würde man Islands Lebensader kappen.“ Ein solches Szenario hätte für die Isländer nur einen einzigen Vorteil: Sie bekämen dann ganz ohne Wartezeit einen Platz im Dill. Momentan muss man dort zwei Monate im Voraus buchen.

Nordisch essen

Isländische Küche: Es dominieren frischer und konservierter Fisch und Meeresfrüchte sowie Lamm. Glashäuser ermöglichen die Versorgung mit Gemüse und Früchten übers ganze Jahr. Starker Zuwachs an internationalen Küchen.

Gastrotipps: www.dillrestaurant.is, www.olverk.is, essensia.is, sumac.is

Infos:Visit Iceland, Visit Reykjavík

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2019)

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