A Plovdiv State of Mind: Das neue, kreative Plovdiv vernetzt sich. Tipps für einen bulgarischen Citytrip.
Allmählich entdecken Reisende Bulgariens zweitgrößte Stadt in der dünn besiedelten Mitte des Landes – nicht zuletzt dank des Europäischen Kulturhauptstadtjahrs 2019: Plovdiv stellte unter dem Motto „Together“ ein umfangreiches Kulturprogramm auf die Beine: Die Stadt und das Land Bulgarien rechnen mit mehr als zwei Millionen Besuchern. plovdiv2019.eu, visitplovdiv.com, bulgariatravel.org
Aylak, das Lebensgefühl: Entspann dich, du bist in Plovdiv. Das Plovdiver Lebensgefühl der entspannten Präsenz und des aufmerksamen Müßiggangs hat einen eigenen Platz im Kulturhauptstadtprogramm. In Workshops bauen Locals Puppen und Masken zum Thema, mit denen sie in einer großen Parade durch die Stadt ziehen.
Stadtviertel
Kapana: Die Stadt hat das ehemalige Handwerker- und Marktviertel zum Kreativquartier umgebaut. Der Name erinnert an das alte türkische Wort für Markt und für eine öffentliche Waage – aber auch an „Falle“, weil man sich früher in den engen Gassen schnell verlaufen konnte. Die Gassen der Kapana wurden zur Fußgängerzone. Junge Leute eröffneten zahlreiche Bars, Cafés, Galerien, Ateliers und Läden für Selbstgemachtes. facebook.com/kapana.creative.district, visitkapana.bg
Altstadt: Plovdiv ist eine der ältesten durchgehend besiedelten Städte der Welt. Thraker, Griechen, Römer, Türken, Armenier, Juden und viele andere haben ihre Spuren hinterlassen. In der Handwerkerstraße (Street of Crafts, auf Englisch ausgeschildert) haben Kunstschmiede, Maler, Puppenspieler und andere Kunsthandwerker Ateliers eröffnet. Manche wie die Weberin Slava Baldjieva (Ul. Saborna 61, T: +359/878 341 263) bieten Besuchern Einführungskurse in ihr Handwerk an. oldplovdiv.com
Stolipinowo: Der Stadtteil beherbergt eine der größten Roma-Siedlungen Europas. Da viele Bewohner mit ausländischen Besuchern schlechte Erfahrungen gemacht haben, machen sich fotografierende Touristen schnell unbeliebt. Wer mit Einheimischen zusammen das Viertel erkundet, wird dagegen meist auf freundliche, aufgeschlossene Menschen treffen. Die Bevölkerung wird in das Kulturprogramm miteinbezogen, so wird etwa gemeinsam eine Brücke gebaut, das Projekt „Von Stolipinowo lernen“ macht die besondere Handwerkskunst der Roma sichtbar. Andere Wege geht das Projekt „Musik statt Straße“, das Roma-Kindern klassischen Geigenunterricht ermöglicht. Von 30 Kindern haben bereits sechs den Sprung auf die besten bulgarischen Musikgymnasien geschafft.
Sehenswürdigkeiten
Fußgängerzone Knyaz Alexander I.: Mit 1,75 km angeblich die längste Europas vom Riesenpostamt aus betonsozialistischer Zeit vorbei am rund 120 Jahre alten Rathaus bis zum Fluss Maritsa. An der Flaniermeile reihen sich neben Allerweltsbauten Häuser aller Stilrichtungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts: vom Klassizismus bis Art déco. Unter der Fußgängerzone verläuft eine 240 Meter lange römische Sport- und Wagenrennbahn. Anfang (auf dem Platz vor der prächtigen Moschee) und Ende (nahe dem Rathaus) haben die Archäologen freigelegt. Weitere Ausgrabungen finden sich versteckt gegenüber dem H&M und unter dem Excelsior-Einkaufszentrum.
Römisches Amphitheater: Plovdiv hieß Philipopol, als die Römer hier im zweiten Jahrhundert eines der heute besterhaltenen Amphitheater mit etwa 5000 Plätzen bauten. Beliebt sind die Konzerte und Opernaufführungen.
Aussichtshügel Nebet Tepe: Einen der besten Blicke über die Stadt bieten der Hügel mit seinem römischen und thrakischen Trümmerfeld. Hier fanden sich auch die Spuren der ersten Besiedlung. Einen ebenso tollen Blick auf Alt- und Innenstadt bieten die gegenüberliegenden Hügel Danov, Alyoscha (mit der riesigen Statue eines Sowjetsoldaten) und der Jugendhügel weiter südwestlich.
Ethnografisches Museum: Bulgariens zweitgrößtes kulturgeschichtliches Museum lohnt sich schon wegen der Architektur. Die Ausstellung residiert im reich verzierten Kuyumdzhieva-Haus aus der Zeit der bulgarischen Wiedergeburt Ende des 19. Jahrhunderts. Sie zeigt die Kultur der Thraker (Vorfahren der Bulgaren und Quelle „nationaler Identität“ heute) sowie Einrichtung und Alltagsleben nach der Befreiung von der osmanischen Herrschaft 1878. ethnograph.info
Kleine Basilika: Am Fuße der Altstadt (Knyaginya Maria Luiza Blvd. 31 A) haben Archäologen eine der ältesten Kirchen der Welt aus dem fünften Jahrhundert ausgegraben. Zu sehen sind die original Fußbodenmosaike und das in den Boden eingelassene Taufbecken.
Einkehren und einkaufen
In der Kapana: Hier gibt es viele Lokale, Clubs und Bars, in denen vor allem donnerstags bis samstags viele Livemusiker spielen. Angesagte Clubs sind das Bee Bop Café (Jazz), das Fargo, der Art Club Nylon oder das Petnoto na Rorschach (siehe Facebook). Mit der Gingertale Bar hat sich die einstige Anwältin Aysa Vladimirowa einen Traum erfüllt (siehe nebenstehenden Bericht). Donnerstags ab 21.30 Uhr Swing Dance Night.
Marktleben: Vor allem zur Erntezeit quellen Märkte von frischem Obst und Gemüse über: faustgroße Tomaten, Äpfel, saftige Birnen, Melonen oder Kräuter aus den nahen Bergen. Für Dünger und Spritzmittel haben viele Kleinbauern kein Geld. So sind ihre Produkte oft bio, auch wenn sie nicht so heißen. Auf dem Markt sind die Lebensmittel frischer und deutlich billiger als in den Supermärkten.
Anreise und Aufenthalt
Anreise: Mit Eurolines (Bus) nach Sofia. 130 km nach Plovdiv(eurolines.eu). Oder per Flug mit Austrian (austrian.com) nach Sofia und weiter mit dem Bus (avtogari.info, hebrosbus.com) oder Zug (bdz.bg).
Touren und Infos: Free Walking Tour: freeplovdivtour.com, Expats: facebook.com/groups/expatsinplovdiv, Leben in Bulgarien: madamebulgaria.com.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2019)