Helgoland: Allein in der Nordsee

Die Lange Anna, das Fotomotiv von Helgoland. Tagestouristen nehmen die Anreise gern in Kauf, doch wer über Nacht bleibt, dem erschließt sich die Insel erst wirklich.
Die Lange Anna, das Fotomotiv von Helgoland. Tagestouristen nehmen die Anreise gern in Kauf, doch wer über Nacht bleibt, dem erschließt sich die Insel erst wirklich.Tom Busch
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Weit draußen in der Nordsee liegt Helgoland wie ein Solitär. Die Insel hat früher viel über sich ergehen lassen müssen, auch die negativen Seiten des Ausflugstourismus. Ein originäres Hochsee-Eiland.

Wir werden ausgebootet! Und das nach dieser anstrengenden Berg-und-Tal-Fahrt: Lang zog sich die schlingernde Reise über die wogende Nordsee, in deren Verlauf der Wind zulegte, sich die See auftürmte und ein Passagier nach dem anderen aufs Oberdeck wankte, um sich an die Reling oder ein Sackerl zu klammern. Endlich, nach dreistündiger Fahrt, Land in Sicht: Die Hochsee-Insel Helgoland liegt backbord voraus.

Schnell werden die Passagiere mit Mann, Maus und Gepäck an der Luke versammelt, die dann geöffnet wird. Unterhalb der Öffnung schwappt das Wasser an die Bordwand. Ein Boot kommt längsseits, „Welkoam!“, rufen die Seemänner herüber, und: „Deät kan nä losgung“, was bedeutet, dass es nun losgeht. Schon fassen starke Seemannsarme jeden Passagier rechts und links und hieven ihn auf das Börteboot. Koffer, Kisten und Taschen folgen postwendend. Der große Kahn nimmt einiges auf. Seine kräftige Form stammt noch aus der Zeit, als Helgoland vom Fischfang gelebt hat. In das Bild passen würde noch ein Seemannslied der Börtemänner, die die Hochseefähre entladen und hundert Passagiere auf die Bänke von zwei Booten setzen. Tja, mit der Tradition des Ausbootens, deutschlandweit einzigartig, holen sich die Helgoländer ihre Besucher mit bildstarker Seefahrerromantik an Land.

Dass die meisten dann nur ein paar Stunden bleiben, liegt am hiesigen Tagesbesuchskonzept wie an den wenigen Unterkünften auf der nur einen Quadratkilometer kleinen Insel. Dennoch gibt es sie, kleine schmucke Hotels in einer Reihe am Südstrand gleich gegenüber der Landungsbrücke. Vorfreudig schauen die nun Ausgebooteten auf den hübschen Sandstrand, während sie am Kai darauf warten, dass ihre Koffer auf Karren geladen werden. Denn wie anno dazumal heißt es: Alles geht – auf Helgoland! Kein Autofahren und kein Radfahren. Gut, die Inselpolizei fährt mit Ausnahmeregel einen E-Golf, und nicht zu schnell. Denn hier müssen sich laut Verordnung sogar Rollstühle ans Gebot der Schrittgeschwindigkeit halten. Aber sonst, nein. Die Främmen – auf Halunder sind das wir, die Nichtinsulaner – mögen die Köpfe schütteln, doch die Helgoländer sagen, Verkehrsschilder würden ihren Ort verunstalten.

Tom Busch

Treffpunkt für Zugvögel

Dem Kofferkarren hinterdreinlaufend geht's erst einmal durchs Unterland, das an den Hafen angrenzt und den Hauptort darstellt. Das Gepäck im Hotel geparkt, bummeln wir auf die Promenade mit kunterbunten Hummerbuden. Die einstigen Fischerwerkstätten bieten Souvenirs bis Speisen. Das Helgoländer Stammgericht Knieper, ausgelöste Scheren eines Taschenkrebses, wird mit Baguette und Knoblauchsauce gereicht. Unser Taschenkrebs-to-go reicht bis zum Ende der Hafenstraße mit dem Alfred-Wegener-Institut, das etwa zur Sprache der Fische und zum Plastikmüll im Meer forscht.

Gestärkt geht's ins Oberland. Die beiden Helgoländer Inselteile verbindet – ein Lift! Für nur 60 Meter Höhenunterschied nehmen wir die Treppe und stehen nach 180Stufen im Oberland. Eine Schule, eine Kirche, einen Laden und ein Vogelforschungsinstitut gibt es hier. Vorbei an den Wohnhäuschen mit Strandnelkenbeeten und Sanddornbüschen führt der Weg zum Wahrzeichen am Nordwestende. Da, wo nur mehr der Klippenkohl wächst, ragt ein imposanter Brandungspfeiler aus dem Meer, 48 Meter hoch und frei stehend vor der rötlichen Steilküste. Die Lange Anna! Ein grandioses Fotomotiv. Die Klippen fallen senkrecht ab, unten tost die Nordsee, und dazu bringt der Wind aus der Ferne ein kräftiges Geschrei mit. Beim Näherkommen schwingt es sich zu einem vokalen Getöse auf: Inmitten aus Schwingen, Flügelschlägen und Landemanövern hocken die Herrscher des Lummenfelsens! Silbermöwen, Basstölpel und Dreizehenmöwen brüten auf der Felskante hoch über dem Meer und zetern. Auch Trottellummen und Eissturmvögel nisten hier. Die Hochseeinsel gilt mit 400 Vogelarten als artenreichster Gefiederort Europas. Zugvögel nutzen den Felsflecken als Rastplatz.

Tom Busch

Vereinnahmt und gesprengt

Auf die Idee sollen auch Klaus Störtebeker und seine Freibeuter, die Likedeeler gekommen sein, die im 14. Jahrhundert für einen freien Handelsverkehr in der Nordsee gekreuzt sind, kapert und auf dem von Friesen bewohnten Helgoland Unterschlupf gefunden haben, so erzählt man sich. Gesichert ist, dass ein ganzer Flottenverband aufgeboten werden musste, um Störtebeker habhaft zu werden. In der Seeschlacht von 1401 wurde er vor Helgoland gefangen genommen.

Damals stand Helgoland unter dänischer Krone, wurde später dem Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf zugesprochen und nach den Napoleonischen Kriegen 1807 von den Briten besetzt. 1864 kam es vor Helgoland zu Gefechten mit der preußischen und österreichischen Marine. 1890 ging die Insel an Preußen, und Wilhelm II. baute sie zum Marinestützpunkt aus. Im Ersten Weltkrieg fanden 1914 und 1917 die großen Helgoländer Seegefechte statt. Auch im Zweiten Weltkrieg wurde die Insel mit U-Boot-Bunkern, der Luftwaffenjagdstaffel und zwölf Kilometern langen Tunnelanlagen hochgerüstet – und am Ende in Schutt und Asche gelegt: 1945 warfen 1000 Royal-Air-Force-Flugzeuge 7000 Bomben auf Helgoland ab. 285 Menschen starben und 3000 Überlebende wurden in 150 verschiedene Orte Schleswig-Holsteins gebracht. Mit nahmen sie ihre Sprache, Halunder, das sie als verstreute Gemeinschaft über lange Jahre zusammenhielt.

Der Weg führt uns über das Mitteland in Richtung Hafen zurück. Salzgräser legen sich über das Land, bedecken die bis heute größte, nicht nukleare Sprengung in der Geschichte: 1947 zerstörten die Briten mit 4000 Torpedoköpfen, 9000 Wasserbomben und 91000 Granaten die Bunker. 6700 Tonnen Sprengstoff wurden gezündet. Neun Kilometer hoch sei der Rauchpilz aufgestiegen. Aus der gesprengten Südspitze entstand das Mittelland. Hell Go Land nannten britische Soldaten die Insel. Sie wurde zur Sperrzone.

Bis 1950, als Studenten die Insel besetzten und die Wiederkehr einforderten. 1952 retournierten die Briten Helgoland an Deutschland, die Bewohner kehrten wieder heim und brachten ihre Sprache, das Halunder, mit. Sie ist zum Amtsgebrauch zugelassen und wird in den Schulen gefördert. Mit der Anerkennung als Nordseeheilbad, aber mehr für die zollfreien Einkäufe kamen Besucher in Scharen. Hell Go Land wurde zum „Fuselfelsen“. Doch dieses Image ist inzwischen abgelegt. Heute ist Helgoland ein einzigartiges Naturdenkmal mit bedeutender Geschichte, weit draußen im Meer.

HELGOLANDWÄRTS

Hin: Inlandsflug etwa ab Büsum oder Nordholz sowie Fähre von Büsum, Cuxhaven, Bremerhaven und Hamburg.

Dort: Hotel Hochseeinsel, direkt vorm Südstrand und großen Hafen. Garni, Frühstück auf der Seeterrasse und 24-Stunden-Getränkeservice zur Selbstbedienung. www.hotelhochseeinsel.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2019)

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