Mani: In der Ruhe liegt die Kraft

Mani
Mani (c) Getty Images/iStockphoto (Voyagerix)
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Die Mani bietet in ihrer Ursprünglichkeit vor allem eines: Ruhe. Für eine Auszeit auf dem Peloponnes braucht es nicht viel mehr als Badezeug und eventuell festes Schuhwerk.

In der Dunkelheit einer frühsommerlichen Nacht zirpen die Grillen um die Wette. Vereinzelte Sterne blinken am Himmel. Der Mond wird von einer Wolkendecke überzogen. Der Wind trägt eine frische Brise vom Taygetos-Gebirge her. Ein Hauch von Salbei- und Zitruspflanzen kitzelt in der Nase. Olivengärten und das Meer liegen uns zu Füßen.

Hier herrscht Ruhe, in dieser ursprünglichen Gegend etwa eine Autostunde südlich von der Stadt Kalamata und dem nächstgelegenen Flughafen, am mittleren Finger des Peloponnes. Die Mani ist nur von Norden aus mit dem Auto oder Bus zu erreichen. Der bewohnte Teil beschränkt sich auf wenige Kilometer entlang der Küste und im Hügelland. Die schneebedeckten, bis zu 2400 Meter hohen Gipfel des Taygetos-Gebirges schirmen die Mani nach Westen ab. So ist dieser Teil Griechenlands von fremden Einflüssen weitgehend unberührt geblieben. An der Strandpromenade in Stoupa, ein vor allem bei englischen Touristen beliebter Ort, reihen sich Tavernen aneinander, ebenso an der Hauptstraße von Kardamyli, einer der vermutlich ältesten Orte der Mani, den Homer bereits in der „Ilias" erwähnt. In der Bucht von Agios Nikolaos, wo Fischerboote vor sich hin schaukeln, gibt es zahlreiche Bars und Restaurants mit einfachen Fischgerichten. Viele der Tavernen bieten an bestimmten Abenden Livemusik. Sonst wird der Fremde die meisten Tage im Jahr vergeblich nach touristischen Verlockungen suchen. Die Mani vermittelt ihren Besuchern vor allem eines: die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen.

Ein weit verzweigtes Netz an Kalderimi, den von Menschenhand gepflasterten alten Esels-Steigen, ist Teil eines kleinen Wegenetzes zum Wandern. Markiert sind diese Wege nur spärlich. Eine fünfköpfige Urlaubergruppe aus Österreich bricht nach einem ausgiebigen Frühstück auf der Terrasse ihres Hotels zu einer mehrstündigen Wanderung auf. Der ehemalige Eselspfad führt zunächst durch einige der zahlreichen Olivengärten. Weiter geht es durch niedriges Buschwerk in Serpentinen den steilen Hang hinauf. Hoch oben auf dem Felsvorsprung steht die kleine Kirche Agia Sofia mit Blick über die weite Bucht. Die Kirche ist versperrt, nur durchs Fenster lässt sich ein Blick ins kühle Innere erhaschen. Es ist still und fast unwirklich ursprünglich an diesem Ort. Beinahe glaubt man, die Hufe der Esel auf den Kalderimi zu hören, die früher kleine Ortschaften, Wasserquellen und Einsiedeleien miteinander verbunden haben. Da kein Baum in der Nähe ist, fällt die Pause für die Wanderer eher kurz aus. Weiter führt die Tour bergab in den nächsten Taleinschnitt. Die Büsche werden höher. Die Früchte der Zitronen- und Orangenbäume bieten willkommene Erfrischung und Schatten.

Nach einer kurzen Pause mit Schafkäse und Oliven aus der Region geht es vorbei an einer der typischen Kalksteinwände, die in der Mani immer wieder steil aus der Landschaft emporragen. Zahllose Höhlen finden sich in den Wänden. Sie wurden genutzt, als die Mani als Rückzugsgebiet vor Übergriffen anderer Kulturen diente. Einige Höhlen sind wieder bewohnt.

Verschwitzt erreicht die Gruppe schließlich Kalógria. Nach dem Auf und Ab im gleißenden Sonnenlicht über die mehr oder weniger gepflegten Kalderimi braucht es jetzt vor alles eines: Abkühlung im Wasser. Bademöglichkeiten bieten sich immer wieder entlang der gesamten Küste: einmal an einem langgezogenen Kieselstrand, einmal an einem kleinen Fleckchen inmitten steiler Klippen, auf denen die Hauptstraße der Gegend entlangführt; raue Felsen, feiner Sand, immer wieder Höhlen, in die man sogar hineinschwimmen kann.

Literarische Landschaft

Kalógria ist der beliebteste Strand weit und breit. Am Wochenende herrscht hier ein Treiben wie in touristischen Hochburgen, doch man braucht nur ein paar Meter weiter zu gehen, ans Ende des Strands, um den großen Felsen herum, der ins Meer ragt. Schon weht der Wind die Musik aus den Strandcafés über das Meer. Von da hat man einen guten Blick auf das Haus des Autors Nikos Kazantzakis, das auf einem Felsvorsprung am anderen Ende der Bucht liegt. Hier soll er einen Großteil seines weltberühmten Romans „Alexis Sorbas" geschrieben haben. In dieser Gegend lebten der Autor und sein mazedonischer Freund, der Freigeist Giorgis Sorbas, der Kazantzakis zur Romanfigur inspirierte. Die Mani und Menschen der Gegend dienten zwar als Vorlage, die Handlung wurde jedoch nach Kreta verlegt. Verfilmt wurde das Werk 1964 mit Anthony Quinn in der Hauptrolle.

Auch durch Patrick Leigh Fermors Buch über die Mani und seine Reisen auf dem südlichen Peloponnes wurde die Landschaft literarisch bekannt. Fermor war ein britischer Schriftsteller und als Agent im Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg im Untergrund aktiv. Seine poetischen Zugänge zur Mani gehören zu den Kultbüchern im Bereich der Reiseliteratur.

Abgeschottet mit Wehrtürmen

Keine fremde Kultur konnte die Manioten unterdrücken. Bereits die Spartaner nutzten die Gegend im zweiten Jahrhundert v. Chr. zum Rückzug. Die Mani war die einzige Gegend am Peloponnes, die 1453 bei der Eroberung von Konstantinopel nicht unter türkischer Herrschaft stand. Das bedeutet freilich nicht, dass es hier gewaltfrei zuging – im Gegenteil.

Für die Manioten hatten Familienfehden Tradition. Sie konnten über Generationen hinweg andauern. Im Zeichen der Blutrache, die erst endete, wenn die feindliche Familie ausgerottet und vertrieben war, starben manchmal Hunderte Menschen. Manioten gelten als ein besonderer Menschenschlag, als frei, wild, unberechenbar, untereinander zerstritten. Hohe Wehr- und Wohntürme zeugen noch von den Kämpfen untereinander, doch in Zeiten feindlicher Angriffe durch fremde Kulturen dienten sie der vereinten Verteidigung der Unabhängigkeit der Mani. Manches neu errichtete Ferienhaus zitiert sogar die Wehrtürme architektonisch.

Als der Österreicher Fritz Bläuel Ende der 1970er-Jahre nach Stoupa kam, war die Gegend arm und vergessen von Politik und Wirtschaft. Genau so einen Ort suchte er, um sich mit Gleichgesinnten eine Kommune als Alternative zum Leben in Mitteleuropa aufzubauen. Dieses Projekt scheiterte, doch Fritz Bläuel blieb und mit ihm Burgi. Die beiden gründeten eine Familie und verkauften Olivenöl in die Heimat, um sich ihr Leben zu finanzieren. Das Timing stimmte: Olivenöl wurde in Österreich immer populärer, die Firma wuchs. Gemäß ihrer Überzeugungen stellten sie beim Anbau der Koroneiki-Olive, die überall als Kalamata-Olive verkauft wird, schrittweise auf biologische Produkte um. Die Bauern zogen langsam mit. Heute ist Bläuel Greek Organic Products ein Vorzeigebetrieb. Die Bläuels wohnen noch immer in der Mani. Den operativen Teil des Geschäfts hat Sohn Felix übernommen. Fritz kümmert sich innerhalb der Firma um alles. Burgi gründete 2004 mit dem Mani-Sonnenlink das erste zertifizierte Biohotel Griechenlands.

Trotz der ungünstigen wirtschaftlichen Situation in Griechenland ist die Lage im Süden der Mani recht entspannt. Durch das Geschäft mit dem Olivenöl gibt es Arbeit. „In den Anfängen habe ich von den Leuten hier große Unterstützung bekommen. Sie haben mir finanziell unter die Arme gegriffen, einen Raum mit Strom zur Verfügung gestellt, sie haben mir geholfen, die Sprache und die behördlichen Dinge zu lernen", erzählt Bläuel über die erste Zeit. Ein wechselseitiges Geben und Nehmen. 40 Mitarbeiter zählt die Firma heute, dazu kommen 300 Kleinbauern, die ihre Produkte liefern. Das macht den Familienbetrieb zum größten Arbeitgeber der Region. Nicht zuletzt stärkt der Tourismus die Gegend. „Manche kommen sogar aus den Städten, um sich hier niederzulassen und etwas Neues aufzubauen. In den Lokalen wird lackiert, geschraubt, die Leute sind gut drauf und bereiten sich auf die Saison vor."

Die Tage werden nun wieder länger und wärmer. Bald werden Burgi Bläuels Gäste wieder am Strand von Pantazi, einem ihrer Lieblingsplätze, sitzen. „Hier kannst du zusehen, wie sich die Wellen küssen." Sie werden dem Meer und dem Zirpen der Grillen lauschen und vor allem eines tun: zur Ruhe kommen.

Zweiter Finger

Wohnen: Mani Sonnenlink, erstes zertifiziertes Bio- und Veggie-Hotel Griechenlands. Zwischen Neochori und Pyrgos. Mit dem Auto zum Meer wenige Minuten. Im November gibt's die Möglichkeit, bei der Olivenernte dabeizusein. www.mani-sonnenlink.com, www.mani.bio

Anreise: Mit dem eigenen Auto oder Zug nach Ancona. Weiter mit der Fähre nach Patras (ca. 24 Stunden). Von Patras circa vier Stunden mit dem Auto.

Infos: Inside the Mani – on foot & by car. www.insidemani.gr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2019)

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