Lockende Kunst, lockendes Blau

Der Staffelsee, dessen Ufer die Maler und Malerinnen des Blauen Reiters suchten. I
Der Staffelsee, dessen Ufer die Maler und Malerinnen des Blauen Reiters suchten. IADELE BACH
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Kunst will immer öfter ausbrechen. Man reist den Künstlern nach, erlebt ihre Landschaft, ihr Licht, ihre Farben, ihre Musen. Und trifft einige davon vielleicht sogar persönlich. Zwei Beispiele aus Südfrankreich und Bayern.

Einer dieser Hotspots für Kunstreisende ist Südfrankreich. Picasso, Cézanne, Matisse, Chagall, van Gogh, Renoir, sie alle verliebten sich in das Grün der Berge und das Blau der sprichwörtlichen Côte d'Azur, in die Sonne und die Kraft der Farben. Von diesem ganz eigenen Licht, dieser flirrenden Luft, mit der auch heutige Künstler spielen, haben sie sich inspirieren lassen, um einen anderen Ausdruck für diese Schönheit finden. Wie eben auch Bernar Venet, der in Nizza studierte, malte, Bühnenbilder entwarf, ein Ballett sowohl komponierte als auch choreografierte, überall auf der Welt zu Hause ist und sein Gefühl für Bewegung in Stahl biegt. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dies in Le Muy, wo er in der Venet Foundation, in einem Riesenpark von sechs Hektar, seine passend riesigen Metallskulpturen in die Landschaft stellt. Manche 300 Tonnen schwer und um 300.000 Euro zu haben.

Ein paar Künstlerfreunde hat Venet dazu gebracht, ihre Werke dazwischen und daneben zu platzieren, darunter etwa Tony Cragg, Robert Morris, Larry Bell, Phillip King, Donald Judd oder Robert Motherwell. Wer in der Gegend ist, muss unbedingt diese Freiluftgalerie durchwandern, einen Blick in das Haus eines Kunstbesessenen werfen und seine schwarzen Schwäne im Fluss des Parks dümpeln sehen.

Château Saint-Martin in Vence

Appetit darauf kann man sich im Château Saint-Martin holen, wenn man es sich leisten will, dort einmal zu „residieren“ (kein anderer Ausdruck wäre angebracht). Hier, wie in den anderen Hotels der Oetker Collection, die sich selbst als inspirierendste Sammlung von Grandhotels bezeichnet, steht natürlich ein Venet im Schlosspark. Aber auch weniger berühmten Künstlern will man eine Plattform geben, lädt sie seit drei Jahren ein, im Hotel auszustellen, und lädt wiederum die Hotelgäste ein, deren Ateliers zu besuchen.

So wurden Bilder, Keramiken und Kunststoffskulpturen von Erick Ifergan ausgestellt, über die der Künstler, der früher ein erfolgreicher Filmer in New York war, gern erzählt. Auch die Kapelle des Châteaus hat er ausgemalt, inspiriert von dem ruhigen Licht in dem kleinen Gewölbe: Der „Lebensbaum“ steht für alle Religionen und keine. Dass in seinen Werken viel Picasso steckt – wäre es ein Wunder, bei dieser Umgebung? Und sowohl im Schlossgarten wie im Hotel sind auch Arbeiten eines zweiten internationalen Künstlers zu sehen – des Spaniers Manolo Valdés, von der originellen Skulptur bis zur Grafik.

Das Château Saint-Martin, in den Hügeln von Vence gelegen, seit 1994 ein Hotel der Oetker Collection, wurde in den 1930er-Jahren auf den Ruinen eines Schlosses aus dem 12. Jahrhundert erbaut, mit Ausblick auf die Bucht von Nizza, mit Riesenpool und kleinem Spa, mit Edelholzbar und dem passenden Cocktail dazu (Cocktail Saint-Martin: Rosmarin, Rum, Birnenlikör, Zitrone und Zucker) und kostbaren Gobelins, grandiosen Blumengestecken und dezentem Personal. Mit einem Glas Champagner auf der zimmereigenenArkadenterrasse zu sitzen – das muss man sich einiges kosten lassen. Um sein Geld hat man dann allerdings die Gewissheit, viel Platz und natürlich einen Heli-Port zur Verfügung zu haben. Ein Celebrity kann sich hier sicher sein, keine neugierigen Blicke erdulden zu müssen. Wobei nicht jeder Gast so dezent wie das Haus ist.

RiesigeSammlung

Die Oetker-Stiftung, diese Luxushotelkette für die Upperclass, hat übrigens eine passende Geschichte: 1964 segelten Maja und Rudolph Oetker vor dem Cap d'Antibes so vor sich hin, als ihr Blick, möglicherweise über ein perlendes Glas Champagner hinweg, auf das Hôtel du Cap-Eden-Roc fiel und sie es höchst attrahierend fanden. Wie übrigens vor ihnen schon Ernest Hemingway, Marc Chagall oder F. Scott Fitzgerald. „Das kaufen wir doch“, beschlossen beide, ohne es auch nur aus der Nähe gesehen oder gar betreten zu haben. Fünf Jahre später war der Besitzer endlich überredet und die erste Erwerbung für eine neue Hotelkette erledigt. Sie beherbergt heute unter anderem eine der weltweit größten Sammlungen von Kunst des 18. Jahrhunderts (außerhalb von Museen) im Hotel The Lanesborough in London.

Man sponsert auch Artists in Residence, wie im Brenners Park-Hotel in Baden-Baden. Und im schon erwähnten Hôtel du Cap-Eden-Roc an der Spitze des Cap d'Antibes, wo man mit Jacht-Feeling (die Terrasse schwebt über dem Meer, das Personal ist matrosengerecht gekleidet) in feinster Gesellschaft seine Austern schlürfen kann. In den 1870ern von dem Gründer der Zeitung „Le Figaro“ als Villa gebaut, um befreundeten Künstlern das richtige Ambiente auf der Suche nach Inspiration zu bieten, wurde es bald „modernisiert“ und im Stil Napoleons III. zu einem Hotel umgestaltet. Seither trifft sich dort nicht nur Reich mit Schön, auch Filmstars schmücken den Adel der Besucher und des Hauses, und Würdenträger aus aller Herren Länder zeigen, dass sie wissen, wo der Luxus wohnt.

Murnau am Staffelsee

Ein ganz anderer Kunst-Hotspot liegt auch am Wasser, allerdings an einem See, dem Staffelsee am malerischen Rand der bayrischen Alpen: nämlich Murnau, erstmals 1150 erwähnt. Noch vor 100.000 Jahren bedeckte eine 600 Meter dicke Eisschicht diesen Landstrich und ließ schließlich die größte Moorlandschaft Mitteleuropas – hier Moos genannt – und den inselreichen See zurück. Hier ist es nicht vornehm und elegant, hier ist es lieblich und bodenständig. Aber auch hier schwirrt ein ganz besonders Licht, inspiriert das Blau – das der entfernten Alpen mit dem See als Himmelsspiegel – in einer ganz eigenen Landschaft.

Dieses „blaue Land“, wie Franz Marc seine Heimat liebevoll nannte, bezauberte nicht nur Künstler. Die „heitere Lage“, wie man sie in einem Zeitungsbericht um 1900 anpreist, „. . . wo man in zahlreichen Gasthöfen komfortable Aufnahme findet“ war eine beliebte Sommerfrische „zwischen See und Hochgebirge“. Vor allem, als Murnau 1879 durch eine direkte Bahnlinie mit München verbunden wurde. Auch der Liebling der Bayern, „ihr“ König Ludwig II., machte hier immer wieder halt, wenn er von München nach Linderhof oder zum Königshaus am Schachen wollte. Im Hotel Post gab es zur Stärkung stets ein Omelett mit Käse, bevor er weiterfuhr in seine prunkvollen Residenzen. Auch seine Post wurde von hier aus – unverzüglich, so lautete der Befehl – weitergeleitet. Allerdings einmal nicht (der Brief war rosa, das Wetter schlecht, der Abend spät), was dem Posthalter einen Tag Gefängnis eintrug. Aber sosehr sie ihn auch verehrten, ihren „Kini“, die Insel Wörth im Staffelsee wollten sie ihm nicht überlassen, und so musste er mit Herrenchiemsee vorliebnehmen.

Hier trinkt man Bier statt Champagner (bis vor gar nicht so langer Zeit gab es hier acht Brauereien, beachtlich bei damals etwa 2300 Einwohnern) und erfreut sich an Bodenständigem, wie Milzwurst, Haxn und sonstigen urbayrischen Schmankerln. Aber nicht nur. Seit König Ludwig hat sich die Kulinarik deutlich geändert. Und die Kunst.

Hier wurde sie geboren, die von Hitler so verachtete „entartete Kunst“, der Expressionismus. Im Münter-Haus, damals auch herablassend „Russenhaus“ genannt und von Kindern mit Steinen beworfen, entstanden neue Ideen und Kunstwerke, die man in Nazi-Kreisen verabscheute: „G'hört ins Clohaus“ war die gern geäußerte Meinung. Ein Mann, der seine Nichten porträtiert sah, meinte „Schöne Madeln warn's nia, aber so schiach a net.“

Maler und Machosprüche

Dort fanden Gabriele Münter und ihr Lebensmensch, Wassily Kandinsky (der sie später höchst lieblos behandelte), mit Franz und Maria Marc, Heinrich Campendonk, August und Helmut Macke, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin inmitten selbst bemalter Möbel und Wände neue Zugänge, sich künstlerisch auszudrücken. 1912 entstand der Almanach „Der Blaue Reiter“, Redaktion Kandinsky und Marc, als Manifest der neuen, gemeinsam erarbeiteten Kunstrichtung.

Doch Gabriele Münter wird, wie viele Künstlerinnen, von der Männergesellschaft in den Schatten gedrängt, war mit ihrem Können nicht nur Franz Marc ein Dorn im Auge. In einem Brief an August Macke beklagt sich Marc: „. . . Jedenfalls hat dieses Frauenziefer auf meine Freude am Blauen Reiter bös gespuckt . . . Die typische alte Jungfer schlimmster und dümmster Sorte . . . Ich könnte dieses Frauenziefer direkt kaputtschlagen . . .“ Münter hatte offenbar höchst gewagt eigene Meinungen geäußert. Gabriele Münter, die sich später unbeirrt um den Nachlass Kandinskys kümmerte, der sie verlassen und in Moskau eine junge Bewunderin geheiratet hatte, kam nie über die Trennung zu ihrem Ideal hinweg: „Ich sah in Kandinsky den reinsten, größten, gütigsten Menschen. Ich gab mir keinen Wert mehr neben ihm. Wie habe ich für ihn gearbeitet, gedacht, gelebt und ihn bewundert“, schrieb sie noch 1962, im Jahr ihres Todes.

Auch Ödön von Horváth, umzingelt von Hitler-Begeisterten, dichtete und dachte zehn Jahre hier, bis er schließlich 1933 entnervt nach Paris emigrierte. Auch über ihn erzählt man sich noch viele Geschichten. Vor allem bei den Damen scheint der Schriftsteller ziemlich erfolgreich gewesen zu sein. Die Großmutter des jetzigen Hotel-Post-Besitzers Kögelmayr (seit 1632 in Familienbesitz), die ihn damals an seinem Stammplatz, einem Ecktisch, bediente, wird zitiert: „Was die Murnauer gegen den gehabt haben? Ich war ja leider schon verheiratet . . .“ Was sie gegen ihn hatten, ist nicht schwer zu erraten, wenn man seine Stücke sieht, er hat ihnen eben sehr genau auf die Finger und den Mund geschaut, den Murnauern. So gibt es eine Ödön-von-Horváth- Dauerausstellung unter dem Dach des Schlossmuseums Murnau, in der man (sich ungern) an diese Zeit des aufkeimenden Nationalsozialismus erinnert, der hier blühte und gedieh.

Kunst-Kulinarik-Kombination

All diesen Hintergründen und den Werken, die trotz (aus?) allen diesen Querelen entstanden, kann man in Murnau nachspüren. Aber nicht nur in Museen, sondern – wie auch an den Luxusgestaden der Côte d'Azur – in Hotels und Restaurants. Weil die Idee, so die Kunst und den Künstler zum Betrachter zu bringen, den Murnauern noch nicht originell genug war, entwickelten die Wirte ein Projekt, in dem sie die Tradition der Expressionisten, Lebensform zur Kunstform zu erheben, weiterführen wollen: Dafür hat sich heuer wieder eine Reihe an „Kunstwirten“ zusammengetan, die jeweils einen Künstler aus der Umgebung „adoptieren“, der seine Werke ausstellt und erklärt. „Wir wollen die Kunst aus der Deko-Ecke rausholen“ war eine der Devisen der Staffelseewirte, die gemeinsam mit dem Tourismusbüro und dem KuHaus in Murnau das Programm und das Menü zusammenstellen. Immerhin leben in der nächsten Umgebung heute mehr als 80 Kunstschaffende, die Auswahl ist also erklecklich, die Begeisterung, bei den Kunstwirten präsent zu sein, groß.

Heuer werden nun zum dritten Mal Gäste eingeladen, so eine „Kunst-Gourmet-Reise durch das Blaue Land“ mitzumachen, zu fünf Gängen und fünf Künstlern. Dafür trifft man sich um 17.30 Uhr vor der Tourismus-Info, wo Busse für die Rundfahrten warten. Meist treffen sich 12 bis 15 Kunst- und Kulinarikinteressierte, die gemeinsam an die fünf Stunden unterwegs sind. Der Fokus des erfolgreichen Programms (die Anzahl der Rundreisen wurde mittlerweile auf zehn erhöht) liegt heuer auf der Arbeit von in und rund um Murnau lebenden „Kunstweibern“. Auch als eine Hommage an Künstlerinnen wie Gabriele Münter, Marianne Werefkin oder Maria Marc, die Anfang des 20. Jahrhunderts maßgeblich zur Entstehung des Blauen Reiters und des deutschen Expressionismus beigetragen haben. Umgeben von Skulpturen, Malereien, Comics, Installationen oder Grafiken schnabuliert man in fünf verschiedenen Gasthäusern, Restaurants, Brauhäusern und Höfen. Unterhält sich mit den Kunstschaffenden und hat am 13. Oktober beim Abschlussfest die Möglichkeit, die Werke, in die man sich beim Essen verliebt hat, auch zu kaufen.

Sieben Inseln, großes Moos

Die Gegend mit dem größten Moos – hier nicht Moor genannt – Deutschlands und dem Staffelsee ist nicht nur als Kunsthintergrund entdeckenswert. Das stille Gewässer kann man mit Rad oder zu Fuß umrunden (und auf halbem Weg in Uffing per Schiff die Rückreise antreten). Stets ein grandioses Alpenpanorama vor Augen. Sieben Inseln liegen in dem moorhaltigen See, wovon nur eine bewohnt ist – und zwar mit Weidetieren. Doch es gibt Zeugnisse von früher Besiedlung, Reste einer Kapelle, keltische Spuren auf den kleinen Eilanden. Leicht kann man sich Inspiration für all die Künstler vorstellen – liegen in der Nähe doch noch weitere Gewässer (Riegsee und Froschhauser See) und das große Moos. Das Idyll sollte wirklich entdeckt, erschaut und erwandert werden – und vielleicht bei einem Kunstkurs gemalt, um die Liebe vergangener und gegenwärtiger Künstler zu dieser „Blauen Landschaft zwischen See und Hochgebirge“ noch besser zu spüren.

Kulturell unterwegs

Im Hinterland der Côte d'Azur: Wer in Vence stilvoll residieren und Kunst im Schlosspark, in der Kapelle und überall im Hotel erleben möchte, bucht im Chateau Saint-Martin & Spa ein recht unbescheidenes Zimmer mit grandioser Aussicht. www.oetkercollection.com

Ein paar Austern am Cap d'Antibes? Die empfehlen sich im Hotel du Cap-Eden-Roc, ebenfalls Teil der Oetker Collection.
www.hotel-du-cap-eden-roc.com

Kunst im Park der Foundation Venet in Le Muy. Anmeldung empfiehlt sich. www.venetfoundation.org

Im bayrischen Alpenvorland:
Sehr empfehlenswert ist das Griesbräu in Murnau, die Zimmer einfach perfekt, ohne Schnickschnack, das Bier ebenso.
www.griesbraeu.de

Eine Orts- und/oder Schlossführung, zum Beispiel mit Gabriele Macher, die den vom Architekten Emanuel von Seidl nach einem Großbrand gestalteten Ort, bis heute nur behutsam verändert, besonders begeistert erklärt: gmacher@t-online.de  oder
www.murnauer-gaestefuehrer.de

Schlossmuseum:www.schloss-museum-murnau.de

Münterhaus:www.muenter-stiftung.de

Malkurse im Murnauer Moos: bei Christian Schied, Ganztagskurse, info@christian-schied.de.

Kulinarische Reisen zu Kunstwirten: am 7. und 14. Juni, 5. und 12. Juli, 2. und 9. August, 6. und 13. September.
Reservierung: Tourismus-Information Murnau, touristinfo@murnau.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2019)

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