Mykonos: Dramaturgie einer Wandlung

Unten erstreckt sich die Altstadt, in der sich viele Shops und Lokale befinden.
Unten erstreckt sich die Altstadt, in der sich viele Shops und Lokale befinden.Tom Busch
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Als die goldenen Tourismusjahre vorbeigingen, brauchte auch die Glamour-Insel mehr zum Strahlen: Hotels, Restaurants und Clubs setzen verstärkt auf Klasse, auf mehr Nachhaltigkeit und eine neue Art Spiritualität.

Wie eine Gigantin steht sie am Meer. Über fünf Meter hoch ragt sie auf und blickt hinüber nach Delos: Leto, Tochter von Titanen und Geliebte des Zeus. Mit der kleinen Ägäis-Insel da drüben verbindet sie eine große Sage. Und so wird ihr hier auf Mykonos gerade ein Denkmal gesetzt. Auf einer der südlichsten Landspitzen entsteht ein spiritueller Tempelplatz, kommen Künstler aus aller Welt zusammen und wird der Titanentochter mit einem extra Programm gehuldigt. Das Scorpios setzt auch damit ein Zeichen: Der ungewöhnliche Beachclub gilt als Symbol für ein Mykonos, das sich weiterentwickeln will. Die einstige Jetset-Insel braucht einen neuen Horizont.

Als es auf Mykonos damals so boomte, ging es vielen nur darum, maximal zu lukrieren, fasst Scorpios-Chef Thomas Heyne das Goldene Tourismuszeitalter zusammen. Doch mit der Krise ab 2010 lief es nicht mehr ganz so automatisch – und Hotels wie Tavernen buhlten um die, die kamen. „Während der großen Wirtschaftskrise brachen die Plätze, die die Touristen einfach nur über den Tisch zogen, weg. Jetzt musste jeder liefern: Service, Leistung, Qualität!“ Damit habe sich auf der legendären Partyinsel eine neue Gastgeberkultur entwickelt. „Über 20 Fünfsternehotels, die jetzt statt Masse auf Klasse und auf Nachhaltigkeit setzen, stehen dafür“, ist er überzeugt und betont: „Griechen bieten die beste Gastfreundschaft der Welt.“

Auch die Beachclubs zogen mit. Die beiden Deutschen Thomas Heyne und Mario Hertel haben 2004 den Paradise Club am berühmten Paradise Beach übernommen und zu einem der best gerankten Beachclubs der Welt gemacht. Das neue Scorpios am Paraga-Beach sollte noch einmal ganz anders werden: „Wir wollten nun mehrere Komponenten zusammenbringen, Strand, Essen, Design und Kunst, Musik und Healing“, erzählt Heyne. 2015 eröffnete das Scorpios als holistisches Beach-Konzept mit 1300 Plätzen – an der Sonne, im Restaurant und zum Sunset-Schauen. Jedes Jahr kommen wohl 400.000 Menschen zusammen, essen und trinken, reden oder meditieren gemeinsam. Angelegt wie eine griechische Agora mit Blick vom Sonnenaufgang bis zum -untergang will das Scorpios auch spirituell an das mythische Mykonos erinnern. Nicht von ungefähr: Denn in der Antike galt das in Sichtweite liegende Delos als bedeutendes kulturelles und religiöses Zentrum.

Lichtes Design

Auch zwei Buchten weiter setzt man auf die Magie des antiken Mykonos mit der heiligen Stätte Delos im Herz der Kykladen: Im Luxusrefugium Mykonos Blu empfängt die Delos-Lounge die Gäste in allen Farben von Weiß im gleißendem Licht. In Kykladenblau getünchte, lebensgroße Esel lugen um weiß gekalkte Säulen oder leisten den Sonnenbadenden in der Hängematte Gesellschaft. Mit dem Architekturkonzept will dieses Grecotel die Verbundenheit zum Ursprünglichen zeigen, in detailreichen Verweisen in den über einhundert Island-Bungalows und Suiten dazu modern interpretiert. Der Fünfsterneluxus mit einem extra Service, buchbarem Private Butler oder Privat-Chefkoch bleibt zurückhaltend, Understatement; präsent ist die Ästhetik, die alle Sinne anspricht: Design mit heller Strahlkraft. Das Flair von duftendem Jasmin, das Summen der Bienen vor den weißen Blüten, die leichte Brise des Meltemi fließen in Harmonie in- und übereinander. So legt sich eine Aura von Ruhe über die Open-Air-Sofas in der Delos-Lounge, in deren weiße Leinen man tief versinkt. Kein Platz für Posing – das bleibt den blauen Eseln auf der Terrasse vorbehalten, die auf die Psarou-Bucht hinunterblicken.

Unten am Strand wird neben dem Sonnenbereich des Mykonos Blu dann doch posiert, was der Bikini hergibt. Die Nammos-Beachbar setzt auf High Class mit rotem Teppich am Strand und Riva-Jachten am Exklusivsteg. Roberto Cavalli, Giorgio Armani, Tom Hanks, Flavio Briatore und Mariah Carey wurden hier begrüßt. Auf den 5000 Euro teuren Mahagoni-Sonnenliegen dürfen sich auch ganz normale Urlauber niederlassen, wenn sie denn für das Liegenpaar mit Sonnenschirm 150 Euro zahlen – pro Tag, und Snacks, Shisha-Pfeifen und Champagner nicht inklusive. In Europas teuerstem Beachclub wurde dieser schon für 120.000 Euro angeboten: Die Midas-Flasche der elitären Marke Armand de Brignac, die dem Rapper Jay-Z gehören soll, fasst 30 Liter.

Doch bloßer Luxus, der an Verschwendung grenzt, ist auf Mykonos eben nicht mehr alles. Inselpioniere wie Heyne wissen das. Mit seinem für 2020 geplanten Restaurantprojekt will er wieder einen Schritt Neuland auf der Insel beschreiten: Die Küche soll mit alten kykladischen Kochtechniken arbeiten, etwa mit Meerwasser kochen. Dass wahrer Luxus aus anderen Zutaten als nur Geld und Protz gemacht ist, zeigt auch Kikis Taverne oben im Norden bei Agios Sostis, ein winzig kleines Lokal. Hier wird ohne Strom auf einem Holzofen gekocht, und die Gäste genießen ihr Glas Wein im Schatten eines Baums, bis ein Tisch frei wird. Mykonos' neue Wege sind vielfältig – und die meisten entspannend.

Tom Busch

Sundowner mit Saxofon

Auf den Lounge-Polstern klirrt das Eis in den Cocktailgläsern, davor geht der Saxofonspieler in die Knie und breitet sich Mykonos-Town aus. Die 180-Grad-Sunset-Bar gilt als die neue In-Location in der Stadt, wo man sich zu Sonnenuntergang einfindet. Was Santorins Oia-Spots können, kann Mykonos schon lang, meint der Sitznachbar, nippt am Mastiha-Mojito und versinkt dann wieder in andächtiges Schauen. Mit den jazzigen Klängen, die weit über die Chora fliegen, wandert der Blick über die Bucht zu den weißen Segeln auf der Ägäis und bis zu Mykonos' Horizont, wo die Sonne sich langsam dem Meer zuneigt.

Griechische Mythologie

Da unten kehrt das letzte Schiff von Delos retour. Zurücklehnen ins Loungekissen. In der Mythologie entstand die Mykonos vorgelagerte Insel erst auf Zeus' Geheiß, der seiner schwangeren Geliebten Leto beistehen wollte. Die eifersüchtige Gattin des Zeus tat alles, um die Geburt zu verhindern: Hera sandte den Drachen Python, der Leto verschlingen sollte, und verhieß der Erde, ihr keinen Ort zum Gebären zu geben. Die Götter standen Leto bei und ließen Delos aus dem Wasser auftauchen, wie eine der vielen Sagen erzählt, und kauften dem Himmel sogar den Mond ab, sodass Hephaistos daraus das schönste Halsband als Gabe an die Göttin der Geburt schmiedete. Das glänzende Mondgeschmeide stimmte sie wohl, und Leto gebar Zeus' Kinder auf Delos, die Zwillinge Artemis und Apollon.

Der Mond ist wieder am Himmel. Er schickt nun sein silbriges Licht über die Ägäis und seine Inseln, über Delos und Mykonos, das nach einer Sage den Namen von Apollons Enkel Mykons trägt.

BUCHTIPPS

Klassisch: Die mythische Reise Odysseus', die großen Seefahrten der Antike und viele mehr beschreibt der Atlas der legendären Seewege als wunderschöner bibliophiler Bildband von François Chevalier, Delius Klasing Verlag.

Animalisch: Katzenfotos, Katzenbilder, alles dreht sich auf einer griechischen Insel um Katzen. Passend dazu der Klassiker, der heuer mit Kykladenkatzen erscheint: „UnforCatable – Whiskas Kalender 2019“, Heye Verlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2019)

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