Elegante Bahnhofbars sterben aus

Verweilen ist verpönt, der Reisende hat hastig zu konsumieren.
Verweilen ist verpönt, der Reisende hat hastig zu konsumieren.APA/AFP/LIONEL BONAVENTURE
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Verweilen ist verpönt, der Reisende hat hastig zu konsumieren.

Wenn ich, was angesichts der monatlichen Plenumswochen des Europäischen Parlaments recht oft der Fall ist, eine Zugfahrkarte von Brüssel nach Straßburg buche, hoffe ich insgeheim, keine Direktverbindung mehr zu finden, sondern in Paris umsteigen zu dürfen. Der kurze Fußmarsch von der Gare du Nord zur Gare de l'Est wurde nämlich bisher mit der Möglichkeit zur Einkehr in ein hübsches Art-Deco-Bahnhofsrestaurant belohnt. In dieser „Brasserie Flo“ ließ sich die halbe Stunde bis zur Weiterfahrt bei einem Kir auf bequemen Fauteuils überbrücken, die Abwesenheit krawalliger Hintergrundbeschallung erlaubte Kontemplation im Trubel der großen Stadt. Umso größer war vorige Woche meine Bestürzung, als ich die Tür der Brasserie verschlossen, ihre Glasfassade verklebt sah. Zu Silvester hatte sie zugesperrt, der Gaststättenkonzern Autogrill, Platzhirsch der Gare de l'Est, wird hier etwas anderes hineinpflanzen. Betäubt und um einen kleinen Moment Flaneursglück gebracht suchte ich das einzige andere Etablissement auf, in dem man sitzend, statt am Tresen einer windigen Schnellbäckerei, etwas trinken konnte. Vor einem Pappbechercappuccino auf einem unbequemen Stockerl in seelenlosem Ambiente musste ich erneut meine Gestrigkeit zur Kenntnis nehmen: Wir Reisenden sollen auf Bahnhöfen nicht mehr träumend innehalten, uns an schöner Möblierung und stilvollem Interieur erfreuen. Sondern konsumieren: rasch, im Wegwerfgeschirr, in jeder Hinsicht geschmacklos.

oliver.grimm@diepresse.com


Nächste Woche:
Timo Völker

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2019)

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