Bogotá: Bitte nicht jetzt klatschen!

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COLOMBIA-WEATHER-FEATURE-CITYSCAPE(c) APA/AFP/JUAN BARRETO (JUAN BARRETO)
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Bogotá gilt als keine einfache Reisedestination, doch es tun sich Zeitfenster auf. Anlass gibt es genug: etwa ein alle zwei Jahre stattfindender internationaler Marathon klassischer Musik. Barocke Kirchen. Und präkolumbianisches Gold.

Im Wiener Musikleben gehört das Husten quasi zum guten Ton. Kaum ist die letzte Phrase verklungen, schon geht es los, die Menschen können nichts dafür, es ist ja oft so kalt in unseren Breiten. In Bogotá wird zwischen den Sätzen geklatscht, das ist das lateinamerikanische Temperament, erkältete Konzertbesucher scheint es nicht zu geben, kein Wunder bei dem tropischen Klima. Wer nach Kolumbien reist, dem ergeht es ähnlich wie einem, der eine Iran-Tour plant: „Muss das sein? Warum Kolumbien? Pass auf dich auf!“ Und wer dann noch in das Buch „Kulturschock Kolumbien“ schaut, dem vergeht jeder Gusto. Die Wirklichkeit sieht aber dann wie so oft anders aus.

Es ist weniger gefährlich als in vergangenen Zeiten. Die Millionenmetropole Bogotá war lang schwer zu erreichen, sie liegt in einer Senke, umgeben von hohen Bergen. Erst durch den Flugverkehr wurde sie leicht zugänglich, sie wächst rasch. Bogotá ist eine grüne Stadt. Allein der Botanische Garten hat fast 20 Hektar, eine Oase, durchzogen von Wasserläufen und Wasserfällen, über denen Kolibris tanzen. Hier wächst üppig, was Hobbygärtner zu Hause oft vergeblich zu ziehen versuchen: Orchideen, Hibiskus, Calla, Oleander. Einen Park hat auch die Quinta des Nationalhelden und Unabhängigkeitskämpfers Simón Bolívar.

Gebeuteltes Land

Aus dem vielen Grün in und um die Stadt zu schließen, dass man hier leicht zu Fuß unterwegs sein kann, wäre ein Irrtum. Der Verkehr ist wohl weniger schlimm als in Indien, ein geringer Trost. Autofahren in Bogotá, lieber nicht. Es gibt Busse und Taxis. Das Taxifahren ist wegen der Preise, die sich jederzeit ändern können, und zwar gleich um 200 Prozent, eine Wissenschaft und Glückssache. Das Gefühl von ständiger Spannung, Feindseligkeit oder Gefahr, das in manchen Ländern als Erstes auffällt, ist gering. Hier herrscht eine Grundfreundlichkeit, die andernorts, in Wien sowieso, unbekannt ist.

Anlass der Reise war das alle zwei Jahre (alternierend mit einem Theaterfestival) stattfindende Fest klassischer Musik, das sich bisher etwa Beethoven, Mozart oder Tschaikowski widmete, heuer aber der deutschen Romantik: „Bogotá ist Brahms, Schubert, Schumann“ hieß es. Das „ist“ klingt nach Marketingtrick, ist aber hier eine Ansage: In einem Land, das seit Jahrhunderten von Kolonialmächten und Nachbarn (USA) ausgebeutet wurde und zerrissen wird von Mafia- und Guerillakriegen, das große Mengen von Binnenflüchtlingen verkraften muss, die vor den Drogenbaronen (siehe Netflix-Serie „Narcos“) flüchteten und im südlich der Stadt gelegenen Bolivar City, einem Slum, eine Langzeitunterkunft gefunden haben, ist Kultur ein Rettungsanker. Sie dient als Lichtblick, als Möglichkeit, das Image zu verbessern, Offenheit, Gastfreundschaft, die den Lateinamerikanern leicht fällt, zu signalisieren. Über 50 Konzerte in nur vier Tagen locken, auch via Ausstrahlungen in Fernsehen und Radio, ein Millionenpublikum. Finanziert wird das Festival teilweise von der Handelskammer, die ein vitales Interesse daran haben muss, Touristen ins Land zu locken.

Und es kommen immer mehr, Kolumbien ist zu Recht ein Geheimtipp, wenn man seine Sicherheitsbedenken überwinden kann, hier gibt es alles: Meer, Berge, schöne Landschaft, hervorragendes Essen, tropische Früchte, die nicht wochenlang unterwegs waren, bevor sie auf den Teller kommen. Veranstalter des Festivals ist das Teatro Mayor Julio Mario Santo Domingo. Der 2011 in New York verstorbene Geschäftsmann steuerte ein Imperium mit über 100 Unternehmen, das aus einer Enteignung hervorgegangen ist: Als Kolumbien dem nationalsozialistischen Deutschland den Krieg erklärte, wurde die deutsch-jüdische Familie Kopp (wie sämtliche deutschen Firmen) enteignet, Julio Mario Santo Domingo sicherte sich 75 Prozent des Aktienpakets.

Bei Betrachtung der großzügigen philanthropischen und kulturellen Aktivitäten in Kolumbien hat man das Gefühl, dass hier das Aushängeschild Kunst als Camouflage besonders gefragt ist. Eine stabile politische Lage wäre vielen Menschen vermutlich lieber, dennoch ist zumindest Bogotá mit chaotischen Drittweltländern, wo einem auf Schritt und Tritt Armut und Elend begegnen, nicht zu vergleichen.

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