Florenz

Florentinische Streetart: Renaissance der Schildbürgerstreiche

In Florenz und auf den Hügeln: die Belmond-Villa San Michele; die Fassade wird gar Michelangelo zugeschrieben.
In Florenz und auf den Hügeln: die Belmond-Villa San Michele; die Fassade wird gar Michelangelo zugeschrieben.Hotel Belmond Villa San Michele
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Die einen lassen sich vom Strom der Touristen in Richtung Dom oder Uffizien treiben, die anderen schwimmen gegen den Strom und tauchen in florentinische Streetart ein.

Kunst wird meist hinter hohen Mauern oder dickem Panzerglas gehortet. Nicht so in und um Florenz, wo so manches Werk direkt – und allgemein zugänglich – auf der Straße liegt. Wahre Schätze sind da zu bestaunen, sofern man den trägen Touristenmassen rund um die Piazza del Duomo den Rücken kehrt und einen Umkehrschwung gen „Hinterland“ einlegt. Hinter den Palazzo Vecchio etwa, wo ein junger Mann auf dem staubigen Boden kniet und mit seiner Kreide Leonardos vitruvianische Proportionsstudie zu neuem Leben erweckt. Originalgetreu bis ins kleinste Detail. Zumindest, solang kein Regen fällt, denn derart flüchtige Kunstwerke sind weniger von der Gnade der Fußgänger als vielmehr von der Laune des Wettergottes abhängig. Doch gerade diese Vergänglichkeit mache den Reiz der Straßenmalerei aus, erklärt Matteo.

Am Anfang waren Madonnen

Der junge Maler aus den Abruzzen ist Madonnaro aus Leidenschaft. Seit über zehn Jahren findet er sich in dieser stillen Ecke ein, um das Straßenpflaster als Leinwand zu nutzen. Eine Tradition, die angeblich auf den berühmten Giotto di Bondone zurückgeht. Giotto, Wegbereiter der Renaissance, hat bereits im 13. Jahrhundert damit begonnen, in und um Florenz Wände zu freskieren. Und damit irgendwie auch den Grundstein zur Straßenmalerei gelegt. Wobei diese Open-Air-Künstler seit jeher als Madonnari bezeichnet werden, beschränkte sich ihre Darstellung doch lange Zeit auf Bildnisse der Madonna.

Die Zeiten haben sich geändert, die Motive auch. Seit etwa 20 Jahren treiben es die künstlerischen Streetworker in Florenz auffallend bunt. Mit Heiligenbildern haben sie schon lang nichts mehr am Pinsel, sondern vielmehr mit originellen Sujets moderner Pop-up-Kunst unter freiem Himmel rund um die Piazza Santo Spirito. Hier, zwischen der Via San Niccoló, Piazza le Cure und dem Café degli Artigiani, wo man statt touristischer Idiome noch einheimische Klänge zu hören bekommt und kleine schmucke Läden anstelle von Souvenirs „frutta fresca“ für den Eigenbedarf verkaufen, haben die florentinischen Straßenkünstler auf Schritt und Tritt Spuren hinterlassen – als barrierefreies Schauobjekt auf Straßenschildern, Gaskästen, Hausmauern oder Laternenpfählen.

Während Menschenmassen vor den Uffizien anstehen, um die „Geburt der Venus“ von Botticelli zu bewundern, bemerken nur die aufmerksamsten Flaneure – also die, die mit rundum offenen Augen durch die Stadt schlendern – eine blaue, bäuerlich gekleidete Venus mit Taucherbrille auf dem Türchen des Gaskastens.

Kunst kann schwimmen

Hübsch sieht sie aus, diese Figur des anonymen Künstlers Blub, der seine vorwiegend in Blau gehüllten Werke stets mit einer Taucherbrille versieht. Sogar der Duca d'Urbino, bekannt durch den Renaissancemaler Piero della Francesca, trägt eine bei seiner bildlichen Auferstehung in der Via dei Guicciardini. Denn „l'arte sa nuotare“ („Kunst kann schwimmen“), meint Blub. Selbst wenn einem das Wasser bis zum Hals steht. Wahre Kunst geht nicht unter. Ihr Verfallsdatum wird im Fall der Streetart höchstens von Gewitterschauern oder übereifrigen Putzdiensten beschleunigt. Wer sich einen echten Blub mit nach Hause nehmen will, ohne dafür einen Stromkasten abmontieren zu müssen, der braucht sich nur in die Via di S. Niccoló 44 begeben. Dort verkauft Carla, die Sprecherin des anonymen Stars, handsignierte Drucke.

Weniger anonym, doch ebenso stadtbekannt, präsentiert sich die Kunst des Abraham Clet. Der Franzose, der seine sozialkritische Kreativität seit zwölf Jahren in Florenz auslebt, vertritt mit seinen Werken eine klare Botschaft: „Don't obey!“ Sein Aufruf zum Regelbruch hat unzähligen Verkehrsschildern ein neues, trendiges Outfit beschwert. Da mutieren Fahrverbote zu Liebeserklärungen, Sackstraßen zu Kreuzigungen und Kreisverkehre zur Wurstschneidemaschine – Hauptsache, seine Schildbürgerstriche erweitern den geistigen Horizont. Überall in und über der Stadt, etwa in Fiesole, sind dessen Kritiken am blinden Autoritätswahn und Regelgehorsam zu sehen. Zerstört werden die Schilder dabei allerdings nie, es handelt sich allein um Aufkleber, die ähnlich den meisten anderen Werken von frischluftkreativen Kollegen über Nacht mit einem Leim aus Mehl und Wasser aufgetragen werden. Also – im Unterschied zu Graffiti – ökologisch bedacht, mauerschonend und deshalb in den meisten Fällen von den Behörden toleriert, erklärt Matteo Bdn, der erste offizielle Streetart-Guide von Florenz.

Matteo von der Progeas-Family eröffnet einem bei seinen Rundgängen Einblicke in die aktuelle urbane Kunstguerilla. In der Via Toscanelli etwa finden sich sogar zwei Werke des Künstlers Il Sedicente Moradi an einem Fahnenhalter. Moradi, der bevorzugt mit Treibholz, Blättern und Ästen arbeitet, verfolgt mit seinen Skulpturen das Credo „Ogni forma é nella natura“ („Jede Form ist in der Natur“). Nahe der Via delle Caldaie hingegen weisen ein paar Revolver mit liebevoll verschlungenen Läufen auf den pazifistischen Grundgedanken Moradis hin. Wer seine Blicke aufmerksam schweifen lässt, der wird in nahezu jeder Gasse auf Gratiskunst stoßen. Und nicht nur dort.

Hotel als Kunstobjekt

Majestätisch thront die Villa San Michele auf einem Hügel über Florenz. Ganze 13 Fußballfelder umfasst diese elitäre Urlaubsdestination. Die einstige Klosteranlage aus dem 16. Jahrhundert – die Rezeption etwa befindet sich in der originalgetreu belassenen Taufkapelle – fasziniert heute aber nicht nur durch die grandiose Landschaft ringsum, sondern vor allem durch die gelungene Kreuzung aus Renaissancewurzeln und Modern-Art-Trieben. Bereits in der prachtvollen Auffahrt fallen nicht nur antike Kunstobjekte und ewig lange Rosenhecken auf, sondern auch eine gigantische Treibholzstatue eines Handymans in Selfiepositur (von Moradi). Und danach geht es Schritt auf Blick.

Der enorme Wandteppich im Foyer ist zum Kunstwerk des italienischen Streetartisten Hopnn mutiert, im kleinen Salon ziert ein Triptychon des Peruaners Jamesboy die Wand, neben dem letzten Abendmahl von Ferrucci setzen drei beeindruckende Bilder von exit/enter spannende Kontraste, und auch die restlichen Gemächer bersten vor Streetart. Kulinarische Schilder von Clet im Restaurant, blaue Klassiker mit Taucherbrille in der Taufkapelle, wildwüchsige Leinwände des Giovanni de Gara, des Gründers der Florence Art Factory, in den Korridoren und dazu architektonische Großtaten.

Die Idee, der Straßenkunst erstmals ein vorübergehendes Heim zu widmen, stößt bei Gästen wie Besuchern jedenfalls auf Begeisterung. Bis November sind die Bilder, Plastiken, Collagen und Drucke hier permanent zwischen Pool, Orangerie, Park und altehrwürdigen Räumlichkeiten zu sehen. „I love it“, meint die ältliche englische Lady vor einer Arbeit und erhebt ihr Champagnerglas. Damit hat sie eigentlich alles gesagt. Eine derartige Ansammlung von Kreativem an einem Ort muss man einfach mögen.

An den Wänden

Kunst im öffentlichen Raum: Eine Werkschaurunde führt durch die Straßen von halb Florenz: Giovanni De Gara/Via di San Niccoló 48, Blubb artworks/Via di San Niccoló 44, Clet's Studio/Via dell'Olmo 8, Hopnn's Art/Via Faentina 43, Exit Enter's Art/Via Tosca-nella, Il Sedicente Moradi/Via delle Caldaie 27, Jamesboy's Art/Via S. Reparata

Infos und Streetart-Führung: Matteo Bdn, Street Levels Gallery, Via Palazzuolo 74. galleriastreetlevels@gmail.com, street-level-gallery

Unterkunft: Hotel Belmond Villa San Michele, historisches Ambiente eines Renaissanceklosters, große Gartenanlage mit Blick auf Florenz, Restaurant La Loggia. Die Streetart-Ausstellung im Hotel läuft noch bis November. Via Doccia, 4, 50014 Fiesole FI,
Tel.: +39/(0)55/567 82 00, www.belmond.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.8.2017)

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