Norwegen: Skandinavische Winter sind sportlich

Überzug. Die Schneedecke hier oben hält bis in den Mai.
Überzug. Die Schneedecke hier oben hält bis in den Mai.(c) Madeleine Napetschnig
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Dazu reicht schon ein kleineres Skigebiet: Hovden, das größte im Süden Norwegens.

Was wollt ihr bitte hier in the middle of nowhere, fragt der norwegische Skiverleiher leicht verwundert und zählt uns auf, wo er in Österreich schon überall zum Skifahren war. Die Liste ist beachtlich, aber angesichts der Direktflugverbindungen von Norwegens großen Städten nach Innsbruck und Salzburg in der Wintersaison verständlich. Also erklären wir, quasi aus der Position der Überversorgung heraus, genau das Gegenteil zu schätzen: eben keinen Skizirkus mit zig Dutzend Aufstiegshilfen, keine Iglus mit industriellen Getränken und inferiorer Beschallung, keine gebügelten Pisten, keine gewärmten Achtersesselliftsitze, keine architektonischen Monster im Tal und am Berg, keine herausgesprengten Speicherteiche, keine Inszenierungen, kein WLAN am Lift, keine Extrawürste. Und vor allem: keine Menschenmassen. Freilich, argumentieren wir im gegenseitigen Länderabgleich weiter, würden jene Österreicher, die Norwegen zum Skifahren entdeckt haben – und das sind gar nicht so wenige – eher in die Lyngenalpen reisen, wo die Berge höher, schroffer sind.

Nach Trysil oder Geilo, um sich einmal die größten Skigebiete Norwegens anzusehen. Oder etwas exotischer für Austriaken: auf einem Schiff im Fjord bei Tromsø einchecken, um jeden Tag eine andere steile Skitour mit Meerblick zu starten. Und überhaupt ziemlich entlegen: Skitouren in Alta unternehmen, ganz hoch oben in Norwegen, vielleicht sogar halb im Dunkeln. Aber hier, in einem kleinen „Skisenter“ wie Hovden am Ende des Setesdal, wo die Berge rund und keine 1000 Meter hoch sind, sich Fjell (Hochebene) an Fjell fügt und die Zwischenräume mit Wasser angefüllt sind? Ein nicht allzu stark geneigtes Gelände und weitgehend baumlos? Mit geduckten Hüttenansiedlungen, mit zwei, drei Lokalen, einem Schwimmbad, ein paar Geschäften? Mit wenig organisiertem Skiraum für wintersportliche Großfamilien? Als der Skiverleiher uns grinsend die breiten Freeride-Ski in die Hand drückt, antworten wir: „Genau deswegen.“

Flächen. Nahezu baumlose Hochebenen (Fjells) in die eine Richtung.
Flächen. Nahezu baumlose Hochebenen (Fjells) in die eine Richtung. (c) Madeleine Napetschnig

Kristallin, trocken. Nur ein paar Lifte sind in Betrieb. Für jenen ganz zum Gipfel weht der Wind gerade zu heftig. Die zwei auf der Hinterseite des Nos sind daher nicht zu erreichen. Böen kreiseln neben dem langen Schlepper über den Hang herunter. Die Schneestaubwolken voller Glitzer lassen den Windchill kurz vergessen. Es hat minus 21 Grad. Das schafft trockene, fantastische Materie zum Tiefschneefahren, Champagne Powder würde man’s in den Rocky Mountains nennen. Kein Jammern über kalte Hände, Füße – fast erhitzt streiten sich der maskierte Fünfjährige und der vermummte Sechsjährige, wer von ihnen beiden denn Marcel Hirscher sein darf. Erst als wir den einen Svindal und den anderen Jansrud taufen, ist Ruhe am Start der mittelsteilen Abfahrt.

Da wäre jetzt jede Menge Platz, um dem Skinachwuchs den feinen Unterschied zwischen mittelgroßen und kleineren Schwüngen, zwischen Rutschen und Carven üben zu lassen – doch die Hirschers von morgen fahren lieber geradeaus. Vollgas. Eltern und Tanten jagen hinterher. Minutenlang kreuzt kein anderer Skifahrer die Wege der Abfahrer – zum Glück. Außerhalb der norwegischen Schulferien und Wochenenden verstreuen sich die ohnedies wenigen Skifahrer im freien Gelände. Aus den laublosen niedrigen Baumstreifen neben den Pisten weht der Wind Gejohle herüber: Jugendliche, die mehr durch den natürlichen Parcours springen als fahren, im Schnee herumkugeln und sich gegenseitig abklopfen. Hinterher, fordert der Kleinere.

Höhen. Hügel, Seen, Hügel, Seen, Hügel in die andere.
Höhen. Hügel, Seen, Hügel, Seen, Hügel in die andere.(c) Isabel Napetschnig

Solche Routen durchs Geäst lieben die Kinder, wir Großen nicht weniger. Die niedrigen Birken werden zu Slalomstangen, die Buckel unter den Verwehungen stauchen den Fluss der Bewegungen, natürliche Gruben heben die Ski unter den Sohlen aus. Eine großartige Gleichgewichtsübung, immer wieder rauf und runter, bis der Schlepplift abgestellt wird. Kinder lernen schnell, und mutiger als die Großen sind sie auch: Als tags darauf der Sessellift bei schönstem Wetter auf den Gipfel schwebt, entdecken die Buben die Schanzen darunter: Meterhohe Halfpipes, auf denen Cracks offensichtlich für einen Bewerb trainieren. Wilde Jumps, das wollen die zwei Kleinen aber sofort. Wir Großen suchen eine Ausweichroute weit außerhalb der Sichtweite des Freestyle-Parks, damit das Gezeter aufhört. Es geht durch wenig präpariertes Gelände, immer wieder einen Schlenker in den unverspurten Powder. Da drüben auf der anderen runden Kuppe, überlegen wir, könnte man morgen eine kleine Tour gehen.

Verkehrsmittel Langlaufski. Es braucht sogar Überredung zur Einkehr in die Hütte. Nun ja, da wäre aus österreichischer Sicht gastronomisch Luft nach oben. Pölse sind keine Frankfurter Würstel, sondern nur der Hauch einer Idee davon. Pommes können andere besser. Bleiben Köttbullar, die faschierte Wunderwaffe vom Nordkap bis ans Kattegat. Und Pizza, die geht immer und überall. Die Flasche Bier um über zehn Euro, die muss man wirklich wollen. Cola um unter zehn Euro reicht. Aber das Lokal bei der Talstation ist hübsch: Alte Skiplakate hängen dicht an den Wänden, mit Motiven von Kitzbühel bis Chamonix, wohl Sehnsuchtsziele der Locals. Dazwischen Trophäen. Und natürlich alte Ski, schließlich meinen die Norweger, sie hätten diesen Sport erfunden. Was auch stimmt, mit der Einschränkung Langlaufen. Tatsächlich scheint man im norwegischen Outback mehr der Loipe als der Piste zugeneigt. Wahrscheinlich, weil man dadurch weiter in dieser großen, leeren Landschaft herumkommt. Wie „skandifiziert“ die Neffen bereits sind, merken wir, als sie nach einem Alpin-Skitag freiwillig auf die Langlaufski steigen und Mama und Papa noch auf einer einstündigen Runde begleiten wollen – mitten durch das Schneegestöber.

Langlaufski sind Grundausstattung. Manche Hütten wären im Winter ohne sie gar nicht erreichbar. Wenn mitten in der Botanik Autos am Straßenrand parken, heißt das meist nichts anderes, als dass sich der Eigentümer mit den Skiern Zugang zu seinem abgelegenen Zweitwohnsitzidyll verschafft hat. Und wenn in ebendieser Hütte Brot, Nudeln oder Milch ausgehen, schwingt man sich halt auf die Ski und sprintet ein paar Kilometer zum Supermarkt.

Bewohner. Elche sind scheue Wesen, ein Zufall, sie zu sichten.
Bewohner. Elche sind scheue Wesen, ein Zufall, sie zu sichten.(c) CH – Visitnorway.com

Lebensmittelvorrat, Ski und Hütte: Viel mehr brauchen Norweger in der unberührten Natur dem Klischee nach nicht. Wenn das gastronomische Angebot klein (wobei durchaus aufstrebend) ist oder gänzlich fehlt, ist das halb so wild. Gesellschaftliches funktioniert ohnedies mehr im privaten Rahmen. Und das Wort Hütte scheint für diese Art Immobilie auch stark untertrieben. Der einzige Unterschied zu einem Einfamilienhaus besteht bei privaten (mietbaren) Objekten in der simplen Kubatur. Wäschetrockner, Skiraum, Fußbodenheizung, Heimkino – alles da. Mehr oder weniger geschmackssicher ausgestattet, denn so schlicht und uniform sich diese Holzhäuser nach außen zeigen: Es scheint gern mehr Geld fürs Interieur ausgegeben zu werden als für augenfällige Architektur.

Bei minus 28 Grad endet ein projektierter Skitag noch beim langen Frühstück und geht in Kaminstunden über. Doch es kribbelt in den Füßen: Also schnallen wir uns die Ski an und präparieren auf dem Hügel vor dem Küchenfenster mit Alias-Svindal und Aka-Jansrud eine kleine Piste. Gemeinsam entsteht eine Schanze, ein Super-G wird mit Birkenzweigen ausgepflockt. In der Nacht pfeift der Wind ums Haus, tags darauf ist unsere Hausstreif Geschichte. Der Wind schafft ständig neue Verhältnisse. Im Skigebiet sind sie mit dem Präparieren etwas hinten nach, auf der Piste staubt der Powder.

Geführte Kolonne. Der Schnee regelt hier oben, in dieser baumarmen, wie abgeschliffenen Gegend, alles. Sich eine Fräse für den SUV zuzulegen gehört nicht zu den Schrullen wohlstandsverwöhnter Autofahrer, sondern kann eine sinnvolle Investition für einen Ort wie Hovden sein. Die Distanzen zwischen Oslo, Bergen oder Stavanger und dem Outback sind weit größer als die Luftlinie, aber die durch Erdöl reich gewordene Nation nimmt stundenlange Fahrten für ein Wochenende in der Natur gern in Kauf. Schon deshalb, weil es in küstennahen Regionen mehr regnet als schneit.

Von Osten: Ein Glück, wenn die Straße frei und  geräumt ist.
Von Osten: Ein Glück, wenn die Straße frei und geräumt ist. (c) Isabel Napetschnig

Wenn alles glattgeht, dauert die Fahrt von Stavanger oder Bergen nach Hovden an die sechs Stunden, erste Etappen davon überwindet man mit der Fähre. Dann sollte die Straße südlich der Hardangervidda und weiter Richtung Süden ins Setesdal frei sein. Auch von Oslo aus mutet die geografische Distanz weit kürzer als die Fahrzeit (ebenfalls sechs Stunden) an. Die Straßen in dichter besiedelten Gegenden werden geräumt, gesalzen. Doch je weiter man ins Landesinnere vordringt, desto besser muss man mit schmalen Schneefahrbahnen und starken Verwehungen zurechtkommen. Es wird nur leicht gestreut, weshalb viele Norweger Reifen mit Spikes montieren, Jause, warme Kleidung, Taschenlampe, Schlafsack mitnehmen. Denn manchmal führt die Anreise vermeintlich in die Sackgasse, zu einer Straßensperre, die „Kolonnekjøring“ ankündigt, was Stunden an Wartezeit bedeuten kann: Ein Räumfahrzeug fährt langsam vor, Autos schließen auf, ein Fahrzeug der Straßenmeisterei macht das Schlusslicht, dahinter wird die Straße wieder gesperrt. Hat den Vorteil, dass niemand bei minus 30 Grad im Schneetreiben unbemerkt liegenbliebt. Gibt es ein Problem, alarmiert der Fahrer der Straßenmeisterei das Räumfahrzeug. Erst nachdem alles behoben ist, fährt die Kolonne weiter.

Wir nehmen den Bus, es ist der letzte, der in diesen Tagen zwischen Oslo und Bergen über die Berge und Fjells fahren wird. Mit Down­tempo fräst er durch grafisch wirkende Landschaften: die Telemark, eine urtümliche Gegend, die nicht zu Unrecht bekannt ist. Immer mehr löst sich das Gelände Weiß in Weiß auf. Kristalle wirbeln durch die Luft, Schneemauern hausen die Straße ein. Alle zehn Minuten ein einzelnes Haus. Dann ein Anruf, der Bus kehrt um und klaubt nach zehn Kilometern einen einzelnen Fahrgast mit Ski auf. Er war zu spät an die Haltestelle gekommen, nun setzt er sich nach hinten und fragt uns, was wir hier im Outback wollen, wo doch in Österreich . . . Wir deuten auf den großartigen Whiteout da draußen: „Gerade deswegen.“

Tipps

Hütte. Nicht wenige Norweger vermieten ihre private Hütte. Meist sind diese Objekte sehr komfortabel ausgestattet und bieten Platz für eine Gruppe oder größere Familie. Zudem gibt es in Hovden etliche Ferienwohnungen.

Skifahren. Das Skisenter Hovden ist das größte in Südnorwegen. Zudem werden 170 km Loipen gespurt. Gute Skigebietsübersicht:
www.visitnorway.com

Gastronomie. Mittlerweile kann man im Outback gut (nicht ganz günstig) essen, und die Interieurs der (wenigen) Lokale werden zusehends anheimelnder. Die Craft-Beer-Szene bringt auch in Norwegen Gutes hervor.

Autofahren. Der Weg ist das Ziel: Die schmalen Straßen führen durch großartige Landschaft, Rasen ist verpönt und wird saftig bestraft. Immer wieder sind Straßen nur kurzfristig mittels „Kolonnekjøring“ befahrbar, Infos bei Statens vegvesen (T: 175). Winterausrüstung: Spikes oder Schneeketten, gute Batterie. Alternativ bietet sich der Bus an, regelmäßig ab Oslo. Hovden liegt mit einmal Umsteigen in Haukeli auf der Strecke nach Bergen.

Kosten. Aufgrund des niedrigen Kronen-Kurses ist Norwegen für Urlauber aus dem Euroraum seit einiger Zeit um rund 20  Prozent günstiger.

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