Niederlande

Utrecht: Neu genutzte Kirchen und ein Dom mit Loch

Kirchen gibt es viele, manche werden anders genutzt.
Kirchen gibt es viele, manche werden anders genutzt.NBTC
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In Utrecht kommt einem angesichts der vielen Geschäfte, Lokale und Radler nicht sofort die Historie in den Sinn. Ein zweiter Blick zeigt Grachten und historische Ensembles. Und manches Relikt entdeckt man auf den dritten.


Utrechts besonderer Schatz sind die Kirchen. Die Stadt besitzt die meisten mittelalterlichen Gotteshäuser der Niederlande. Und der Dom ist nicht das älteste. Der Grund: Utrecht war vor der Reformation das religiöse Zentrum der Niederlande und Bischofssitz. Allerdings zeigen sich die Kirchen weniger als städtebauliche Schauobjekte, weil meist nicht auf den repräsentativen Plätzen oder im Zentrum von Blickachsen, sondern manchmal geradezu versteckt. Erkennen kann man sie oft nur aus einiger Entfernung – an einer aus dem Dächer- und Giebelgewimmel herauslugende Turmspitze. So etwa der Kirchturm von St. Willibrord.

Die dem wichtigsten Missionar der Niederlanden geweihte Kirche beschreibt den zeitlichen Endpunkt einer Kirchenroute durch Utrecht. 1877 fertiggestellt, ist die Willibrordkirche ein von außen schlichtes Gebäude, das sich in die Zeile der Wohn- und Geschäftshäuser integriert. Wer aber die Tür öffnet, dem gehen die Augen über. Er steht in der am reichsten dekorierten Kirche der Niederlande. Kaum ein Fleck, der nicht kräftig bemalt ist. Religiöse Bildmotive wechseln sich mit rein dekorativen ab. Der Willibrord-Schrein ruht hingegen nicht hier, sondern in der Kathedrale St. Katharina, der einzigen alten Kirche, die die Protestanten den Katholiken zurückgegeben haben. Das war im Jahr 1840. Sie war Mitte des 16. Jahrhunderts als Klosterkirche vollendet worden – wie so viele andere Utrechter Gotteshäuser auch.

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Alte Substanz, neue Nutzung

Vor der Reformation gehörte ein Drittel der Stadt der Kirche. Nicht weniger als 20 Klöster drängten sich rund um die Grachten. Heute befindet sich im Katharinenkonvent das Nationalmuseum für christliche Kunst und Kultur. Herausragende Objekte wie ein Kelch aus der Zeit Karls des Großen oder Werke von Frans Hals und Rembrandt, frühmittelalterliche Skulpturen und Buchmalereien sowie Zeitgenössisches sind hinter den alten Backsteinmauern zu entdecken.

Beim Kulturspaziergang wird man öfter Mariendarstellungen begegnen, als Kleinplastik an Fassaden oder als Namensspenderin: Von der Marienkirche existieren nur noch Garten, Kreuzgang und Maria Minor – allerdings mit neuem Hausherrn, denn im früheren Sakralbau hat ein beliebtes Lokal Quartier bezogen: Theke statt Altar sozusagen. Manches, aber vor allem die Orgel auf der Empore, erinnert noch an die alte Nutzung. Jede Woche müssten in den Niederlanden ein bis zwei Kirchen aufgegeben werden, hört man. Wer da über Bier statt Messwein die Nase rümpft, muss sich der Alternative bewusst sein – und diese heißt Abriss.

Dass Stadtbilder ohne Kirchen und statt dessen womöglich mit weiteren austauschbaren Tempeln des Konsums ärmer sind, hat man in Utrecht schon vor langen Jahren erkannt: Seitdem gibt es in der Martinskirche 36 Appartements. In der Buurkerk wiederum wurde das wunderbare Museum Speelklok eingerichtet. Selbstspielende mechanische Musikinstrumente sind dort zu sehen und zu hören: von der Spieluhr bis zu großen Drehorgeln. Wenn diese ihren Dienst antreten, wird der Zuhörer auf Zeitreise geschickt – auf die Jahrmärkte und in die Tanzsäle längst vergangener Tage. Auch die Buurkerk (Bürgerkirche) liegt versteckt, nur der massige Turmklotz, der die umstehenden Geschäftsobjekte überragt, macht auf sie aufmerksam. Wie einige andere Kirchen in Utrecht, deren älteste aus dem elften Jahrhundert stammen, hat auch sie ihr mittelalterliches Erscheinungsbild großteils behalten.

Mittelschiff im Sturm zerstört

Ganz anders verhält es sich mit dem Dom. Ursprünglich nach dem Vorbild des Doms von Speyer geplant, wurde er nach mehreren Bränden gotisch ausgeführt. Übrigens sind mit Konrad II. und Heinrich V. auch zwei Kaiser aus dem Geschlecht der Salier in Utrecht gestorben. Die Stadt gehörte zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Wer der Glockenspielmelodie bis zum Domturm gefolgt ist, sieht es auf einen Blick: Hier fehlt etwas. Tatsächlich fiel das gesamte Mittelschiff des Doms einem Sturm im 17. Jahrhundert zum Opfer. Seitdem besteht der dennoch gewaltig himmelstrebende Rest nur noch aus Chor, Querschiff und eben dem gegenüberstehenden Turm. Wenn nach Einbruch der Dunkelheit das Glockenspiel Pause macht, wird das offene Innere des Turms von sich bewegenden, weißen Lichtpunkten erfüllt. Eine Idee einer Künstlergruppe, die mit „Trajectum Lumen“ die besondere Bedeutung der Utrechter Kirchen nutzten. Sie inszenierten wichtige Stellen in der Altstadt mit Licht. Oft mit originellen Mitteln wie einem Kirchenfenster, das sie auf dem Platz vor der Buurkerk aufgestellt haben. Bei Dunkelheit wird es angestrahlt und taucht das Pflaster rundherum in leuchtende Flecken.

Freiwillige läuten Glocken

Auch das Paushuize ist ein Ort mit religiöser Vergangenheit: der einstige Papstpalast, den der aus Utrecht stammende Hadrian VI., der Lehrer Karls V., allerdings nie bewohnen konnte, weil er – gegen seinen Willen – zum Papst gewählt wurde. Heute flattert, wenn's dunkel ist, eine weiße Taube aus Licht über die Fassade.
Utrecht und seine reiche Kirchengeschichte, das ist nicht nur eine lange Geschichte, auch die Gegenwart schreibt neue Kapitel. Da spielen die mehr als 200 Freiwilligen, die dafür sorgen, dass die Kirchen nicht nur zu Messen oder Konzerten öffnen, und gern die Fragen der Besucher beantworten, eine tragende Rolle. Auch darum, dass die vielen Glocken der Stadt klingen, kümmern sich Freiwillige – von der Klokkenluidersgilde, der Glockenläutergilde.

Sakral und profan

Übernachten: Grand Hotel Karel V: fünf Sterne, früher Kloster. www.karelv.nl

De Witte Leeu: B&B in altem Werftkeller. www.bedandbreakfast-utrecht.eu

Einkehren: Blauw, sehr gute indonesische Küche. www. restaurantblauw.nl. Olivier, geselliges Bier-Café in einer ehemaligen Kirche. www.cafe-olivier.be

Kirchentour: Infos, Plan, Öffnungszeiten: www.kerkenkijken.nl.

Lichtkunst: Trajectum Lumen, nach Einbruch der Dunkelheit, an 15 Stellen der Altstadt. www.trajectumlumen.nl

Infos: Utrecht, www.besuch-utrecht.de.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2018)

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