Tag und Nacht in den Kitzbüheler Alpen

Angerer Alm
Angerer AlmMadeleine Napetschnig
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Übernachten am Berg und früh auf die Skier in St. Johann in Tirol und Fieberbrunn.

Selten war im Tiroler Unterland der Schneehaufen vor den Fenstern höher als Mitte Jänner. Selten war die Belastung auf den Dächern massiver als auf dem vorläufigen Höhepunkt dieses Jahrhundertwinters. Selten hat man diese Geräusche öfter gehört als vor Kurzem auf den Grasbergen an der Alpennordseite: Wumm, und schon wieder ist eine Lawine abgesprengt, noch eine und noch eine. Gefolgt vom Knattern der Rotoren des Helikopters über dem Bergwald, um die Schneelast von den Fichten zu wehen. Immer nur kurze Zeitfenster erlaubten es, die schwierige Lage nachzujustieren – und schon hatte das nächste Schneetreiben das Rattern der Liftrollen, die Signale der Pistenraupen und das Pfeifen der Skilehrer wieder verschluckt.

Diese Schneelast war für die Betreiber und Bewohner (nicht nur) der Skigebiete in den Kitzbüheler Alpen gewiss eine Plage, die Besucher hat sie vermutlich in einen Winter von damals zurückversetzt. Einen, in dem nicht jede Piste plattgewalzt werden konnte, weil der Nachschub einfach zu groß war. Einen, in dem Skifahrer mit einer Handvoll Liften auskommen mussten (weil die meisten über der Baumgrenze gesperrt waren). Einen, der an Kachelofen, Bauernkaro und Hüttenpatschen erinnert.

Blick aus dem Fenster, Mitte Jänner, beim höchsten Schneepegel.
Blick aus dem Fenster, Mitte Jänner, beim höchsten Schneepegel. Madeleine Napetschnig

Das Horn von St. Johann

Das Skigebiet von St. Johann liegt auf der schneereichen Nordseite des Kitzbüheler Horns, gegenüber vom Wilden Kaiser. Seit zwei Jahren befindet sich das Skigebiet mehrheitlich in skandinavischer Hand, die SkiStar-Gruppe aus Schweden und Norwegen (siehe auch R1) ist in das für Tiroler Verhältnisse mittelgroße Skigebiet mit Kapital eingestiegen. Auch in die Infrastruktur hat SkiStar als Skigesamtdienstleister investiert. Hinzu kommt, dass sich durchs Marketing die Tür zu skandinavischen Gästen weiter öffnet.

Was sind schon etwas weniger Pistenkilometer, wenn das Verhältnis von Abfahrten zu Hütten so speziell hoch ist wie hier. Über den Berg verteilen sich viele Einkehren, vom Gasthaus bis zur 700 Jahre alte Almhütte. Die bekannteste unter ihnen ist vermutlich die Angerer Alm – eigentlich keine Hütte, sondern eine schöne alte Gastwirtschaft auf 1300 Metern. Seele des Betriebs ist Annemarie Foidl, die man in der internationalen Weinwelt als Präsidentin des Österreichischen Sommelierverbandes kennt. Im verwinkelten Steinkeller des Holzhauses lagern 6000 Flaschen von 400 Weingütern, darunter ein uralter Madeira und Massandra aus dem Zarenweinkeller. Zum Aperitif öffnet sie hier gern einmal Sekt aus der Sommelier-Edition (Bründlmayer). Abends verwandelt sich das Tagesgeschäft in einen ausgezeichneten Gastrobetrieb, Foidls Schwiegersohn Gerald Weiss steht in der Küche und verarbeitet, was saisonal ansteht, eine Speisekarte gibt's nicht. Auch bei der Weinbegleitung sollte man sich ganz auf Foidl verlassen.

Nach mehreren feinen Gängen in der anheimelnden Stube könnte man mit Stirnlampe und erhöhter Vorsicht (Achtung, Pistenraupen) ins Tal nach St. Johann abfahren. Aber das ist die schlechtere, kältere Variante, da es auf der Angerer Alm doch hübsche einfache Zimmer gibt, in denen sich das Holz akustisch in die Träume mischt und man in hohen Betten gleichauf mit dem Schneehaufen vorm Fenster einschläft. Hier ging die Wirtin, die bereits im Alter von 19 Jahren die Angerer Alm übernahm, keinen Kompromiss gegenüber steigenden Ansprüchen ein. Es bleibt bei den zwei Etagenduschen. Und auch bei aller Küchen- und Kellerleistung: Die Angerer Alm ist kein geeignetes Ambiente zum Repräsentieren und Posen, dieses Programm wird ohnehin in Kitzbühel (um die Ecke) abgedeckt. 1985 hatten Foidls Eltern die Alm zur Landwirtschaft dazugenommen. Damals hat sie sich bereits intensiv mit Wein beschäftigt und begonnen zu sammeln. Heute arbeitet Tochter Katharina im Betrieb mit. Freilich, kehrt man mittags in der Angerer Alm zu, in Skischuhen, vielleicht etwas abgekämpft vom Schneegestöber in dem schönen, übersichtlichen Skigebiet, kann man auch bloß Kaspressknödelsuppe und Bier (Pale Ale) bestellen – und wird glücklich.

Wildalpgatterl
Wildalpgatterl Madeleine Napetschnig

Das Schneeloch Fieberbrunn

Einige Berge weiter, überragt von Gipfeln wie dem Wildseeloder, befindet sich das vermutlich größte Schneeloch in den Kitzbüheler Alpen. Die Lage von Fieberbrunn sorgt dafür, dafür dass es hier abschneit wie aus Kübeln – rechts am Horizont der „Koasa“, links die Leoganger Steinberge, dazwischen die Waidringer Steinplatte und die Buchensteinwand. Das macht das Skigebiet zu einem der wichtigsten Orte der Freeride-Szene weltweit; während die meisten anderen Punkte der Freeride-Worldtour variieren, sind die wilden Flanken des Wildseeloders Fixstarter des spektakulären Bewerbs. Das färbt gewissermaßen auf die Skifahrer und die Skischulen ab: Alles eine Spur lässiger hier, die Ski einige Zentimeter breiter und weniger tailliert, die Zwickel zwischen den Pisten, die freien Hänge, die Passagen zwischen den Waldstücken weit verspurter als anderswo (nicht freilich zu Zeiten von Lawinenwarnstufe tiefstrot). Seit wenigen Jahren ist Fieberbrunn, früher ein echter Geheimtipp, mit dem riesenhaften Skiverbund von Saalbach, Hinterglemm, Leogang und demnächst wohl auch mit der Schmitten in Zell am See vernetzt. Die Abfahrt in den Graben in Richtung Hinterglemm (Reckmoos) ist übrigens eine der schönsten. Zudem ein Ort, um in der Sonne zu sitzen (etwa beim hausgemachten Kuchen in der Hochhörndl-Hütte).

Auch hier liegen die Hütten engmaschig beieinander – klassisches Almgebiet –, die meisten sind gut im Mittagsgeschäft. Mit dem Wildalpgatterl besteht hier die (einzige) Möglichkeit, auch nachts am Berg zu bleiben. In einem der einfach (aber mit WC- und Duschzelle) ausgestatteten Zimmer unten oder oben ins Stockbett zu kriechen und in der Früh darüber zu staunen, wie schmal das Blickfeld aus dem Fenster wieder geworden ist, das hat freilich nicht mit den deutschen Rieslingen zu tun, die Angela Fürhapter zum Menü am Vorabend serviert hat, sondern mit dem Nachschub vom Tiroler Berghimmel. Die Wirtin des Berggasthofs ist schon früh, um sechs Uhr, auf den Beinen, weil sie den Holzofen einheizt – jeden Tag wird hier oben am Berg Brot gebacken.

Auf einen Blick

Und im Sommer, erzählt Fürhapter, bestelle sie einen Garten, mit dem sie das Wildalpgatterl versorgt – Kräuter, Salat, Gemüse gedeihen hier heroben gut. Übernommen hat sie das Haus von ihrem Vater, dessen deutliche Handschrift das Interieur trägt. Walter Fürhapter ist ein begeisterter Sammler alpiner Fotografie, Plakate und Skier, daher sitzt der Gast hier wie in einem kleinen Museum voller alpiner Geschichten, meist in Schwarz-weiß – eben nicht bloß zugekauft zwecks Deko, sondern mit Herz über Jahrzehnte zusammengetragen und arrangiert.
Dass in den Sechzigern hier an dieser Stelle einmal nur ein Stall gestanden hat, kann man sich nicht vorstellen. Und auch nicht, dass man schon froh war, dass nach dem Schlepp- ein Sessellift heraufgebaut wurde. Aber eigentlich braucht es nicht viel mehr für ein paar tiefenentspannte Skitage. Übernachten/Einkehren: Angerer Alm in St. Johann in Tirol, erreichbar mit der Gondelbahn, 13 Zimmer, buchbar auch für Feste und Seminare. Toller Weinkeller, Gourmetküche, www.angereralm.at.

Berggasthof Wildalpgatterl in Fieberbrunn, winters nur mit Liften erreichbar, Platz für 19 Leute in Zimmern mit Stockbetten sowie DZ, feine Küche,
wildalpgatterl.at. Beide sind Mitglied von „Kochart Tirol“, www.kochart.tirol.

Kitzbüheler Alpen: Vier touristische Ferienregionen: Hohe Salve, Brixental, St. Johann in Tirol und Pillerseetal (zu dem Fieberbrunn gehört). Unzählige Pistenkilometer, die zwar geografisch nicht alle direkt zusammenhängen, aber per Ticket verbunden sind: z. B. SkiStar in St. Johann in Tirol, Fieberbrunn plus Saalbach/Hinterglemm/Leogang.

Eintrittsticket: Super Ski Card, die über die Kitzbüheler Alpen hinaus für 2750 Pistenkilometer und 23 Skigebiete gilt. Kosten für drei Tage: 166 Euro.

Unterwegs: Die Gästekarte gilt als Zug- und S-Bahn-Ticket: Urlauber der vier Kitzbüheler Alpenregionen können damit Züge (REX) und S-Bahnen zwischen Wörgl und Hochfilzen nützen.

Anreisetipp: Mit der ÖBB nach St. Johann i. T. oder Fieberbrunn, www.oebb.at. Infos: Kitzbüheler Alpen Marketing, www.kitzalps.com, info@kitzalps.com.

Compliance: Die Reise wurde von Kitzbüheler Alpen Marketing unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 2.2.2019)

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