Zwei Frauen, eine Schnittmenge

Die erste Kollektion des neuen Labels Afrikadirndl.
Die erste Kollektion des neuen Labels Afrikadirndl.Klaus Pribernig Photography /bilder.co.at
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Anne Kiwia und Stefanie Kaiser leben 6000 km entfernt voneinander. Die eine in Tansania, die andere in Villach. Die eine liefert afrikanischen Stoff, die andere entwirft Dirndln damit.

Wenn Stefanie Kaiser in ihrer Villacher Wohnung Kundinnen zum Maß nehmen empfängt, wuselt Töchterchen Laura (3) durch die Gegend. Manchmal schnipselt die Kleine aus bemaltem Papier und Klebstoff Spielzeugkleider. „Weil sie mitarbeiten will“, sagt die 32-Jährige. Solche Momente würden sie für vieles entschädigen. Denn das Leben als allein erziehende Mutter und selbstständige Schneiderin ist nicht immer einfach. Oft beginnt ihr Tag bereits um zwei Uhr früh. Dann nutzt sie die Ruhe, um überfällige Näharbeiten zu erledigen.

Anne Kiwia lebt in einer völlig anderen Welt. Vor zwei Wochen wurde die 35-jährige Modedesignerin Mutter, jetzt balgen sich Verwandte darum, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Wenn sie in ein paar Wochen wieder zu arbeiten beginnt, wird sie sich keine Gedanken um ihren Sohn Akili machen müssen. In einer afrikanischen Großfamilie findet sich stets jemand, der ein Auge auf die Kinder hat. Kiwia betreibt eine Boutique in der Innenstadt von Daressalam, Tansania. Hin und wieder klickt sie sich durch Kaisers Facebook-Profil, auf der Suche nach neuen Schnitten. „Ich will sehen, was sie wieder gezaubert hat“, sagt Kiwia.

Noch kennen sich die beiden Frauen nur über das Internet. Doch im Dezember will Kaiser nach Daressalam fliegen – um einen Dirndl-Nähkurs für einheimische Schneiderinnen zu halten. Und außerdem hofft sie auf neue Ideen für ihre schräge Brauchtumskollektion, die in diesen Tagen beim Villacher Kirchtag für Aufsehen sorgt: das Afrika-Dirndl, Kärntner Tracht aus afrikanischen Stoffen. Martina Klementin, die Moderatorin des Trachtenspektakels, trägt eines und ist begeistert: „Total cool“, sagt sie. Auch die Kärntner Stylistin Silvia Katzdobler schwärmt von ihrem türkisem Kleid aus Kaisers Nähwerkstatt. Das Afrikadirndl ist auch ein Symbol für einen unbefangenen Umgang mit der Tradition in Kärnten. Der Einfluss gestrenger, FPÖ-naher Brauchtumsschützer, die sich gegen lockere Experimente mit dem Altbewährten verwahren, hat seit dem Regierungswechsel abgenommen. Multikulti liegt im Trend, Kaisers Afrikadirndl gehen weg wie warme Semmeln.


Von München nach Tansania. Möglich wurde die neue Modekollektion nur durch die ungewöhnliche Bekanntschaft der beiden Modeschöpferinnen, die 6000 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt leben. Kiwia ist die Tochter einer Rumänin und eines Tansaniers. Ihre Kindheit verbrachte sie in München, wo sie eine Ausbildung zur Modedesignerin machte. Nach Aufenthalten in Australien und Großbritannien zog es sie vor einigen Jahren mit ihrem späteren Ehemann nach Daressalam, zu ihrem Vater. „Das war eine Frage der Lebensqualität. Das Leben ist einfacher hier“, sagt sie.

Mit einer Handvoll einheimischer Schneiderinnen eröffnete sie eine kleine Boutique. Kiwia klappert Secondhand-Shops und Märkte ab und schneidert aus alten Klamotten ausgefallene Vintage-Kleider – mit einfachsten Mitteln. „Ich war verzweifelt auf der Suche nach einer Schneiderpuppe“, erzählt sie. Eines Tages schneite Martina Ressmann, eine österreichische Entwicklungshelferin, in den Laden. Sie stellte den Kontakt zwischen Kiwia und und ihrer Freundin Kaiser her. Die Villacher Schneiderin schickte Kiwia Ende 2013 eine alte Schneiderpuppe – und diese revanchierte sich mit einer Auswahl an afrikanischen Stoffen. „Am Anfang war es nur eine Blödelei“, sagt Kaiser. „Ich habe mir gedacht, dass es lässig wäre, aus diesen Stoffen ein Dirndl zu machen.“ Halb im Spaß setzte sie sich an die Nähmaschine. Weil: „Schneidern ist ohnehin mein einziges Hobby.“


Erfolg aus einer Blödelei. Schon als junges Mädchen habe sie aus alten Geschirrtüchern Puppenkleider für ihre Mitschülerinnen genäht, erzählt sie. „Ich habe jedes Futzerl Stoff verwendet, das ich gefunden habe.“ Mit Anfang 20 eröffnete sie ihre erste Schneiderei in der Villacher Innenstadt. Was später geschah, erzählt sie in vielsagender Kürze: „Ich habe wen kennengelernt, bin nach Salzburg gezogen und habe leider mein Geschäft zugesperrt. Das war keine so gute Idee.“ Nun lebt sie mit ihrer Tochter wieder in Villach und betreibt ein kleines Modegeschäft als Einpersonenunternehmen. Die Idee mit dem Afrikadirndl erwies sich als Glücksgriff: Als sie Fotos von ihrem ersten Kleid auf Facebook stellte, erhielt sie binnen Tagen Anfragen aus ganz Österreich. Aus einer Blödelei ist ein veritabler Geschäftserfolg entstanden.

Die nächsten Wochen werden hektisch für Kaiser. „Ich muss noch viele Dirndln verkaufen, damit ich mir den Flug nach Tansania leisten kann“, sagt sie. Dort soll sie der Stargast bei einer von Kiwia organisierten Modenschau sein und den einheimischen Schneiderinnen ein paar Kniffe beibringen.

„Ein Dirndl zu nähen ist Meisterarbeit“, sagt Kiwia, die die Tracht noch aus ihrer Kindheit in München kennt. Das sei eine Übung in Präzision für ihre Mitarbeiterinnen, die Kleider meist nur nach Augenmaß anfertigten. Die Designerin will eines der Dirndln bei ihren Streifzügen durch die Märkte von Daressalam tragen. Dort würde das Kleid wohl mindestens so viel Aufsehen erregen wie am Villacher Kirchtag.

Zur Person

Stefanie Kaiserbetreibt in Villach die Kleidermanufaktur Mode im Hof 1981. Die 32-Jährige hat eine Fachschule für Modedesign absolviert. Seit Kurzem fertigt sie maßgeschneiderte Afrikadirndln an, traditionelle Kärntner Festtagstracht mit afrikanischen Naturstoffen. www.afrikadirndl.com

Anne Kiwia (Bild unten) ist Modedesignerin in Daressalam, Tansania. Die 35-Jährige hat die Deutsche Meisterschule für Mode absolviert, danach bereiste sie als Modeschöpferin und Journalistin die Welt. Nun produziert sie Kleider und Accessoires aus alten Stoffen.
Martina Ressmann/Privat

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2014)

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