Erfolgreich in Unterhosen

PORTRÄT. Wien hat jetzt auch einen American-Apparel-Shop. Chef des Öko-Labels ist der Kanadier Dov Charney, ein Rebell der Bekleidungsindustrie.

Nackte Haut ist das neue Nadelstreif. So sieht das jedenfalls Dov Charney. Der Unternehmer führt schon mal Vorstellungsgespräche in knappen Unterhosen. Einen Anzug? Besitzt er nicht. Stattdessen trägt er lieber jene Dinge, die er selbst produziert: bunte T-Shirts, Trainingshosen und immer wieder: Unterhosen.

Der 39-jährige Charney ist Spross einer bekannten jüdisch-kanadischen Familie und Gründer der US-Bekleidungskette American Apparel, die rasch erfolgreich wurde. Das hat drei Gründe. Erstens, weil die sehr bunten T-Shirts, Kapuzenjacken (die man dort nur „Hoodies“ nennt) und Tücher ökologisch korrekt erzeugt werden und trotzdem nicht viel mehr kosten als bei der Konkurrenz (H&M und Konsorten). Zweitens, weil ihr Chef ein Freak ist. Ein Freak mit Schnauzbart und Koteletten im Gesicht, der sich (auch ohne Unterhosen-Eskapaden) wie ein Pornodarsteller aus den Siebzigerjahren kleidet.

Womit wir bei Punkt drei wären: dem Sex im Marketing von American Apparel. Bekannt wurde das Unternehmen nämlich vor allem durch ihre Kampagnen. Mit jungen Frauen – meistens Mitarbeiterinnen oder Frauen, die Charney persönlich auf der Straße anspricht – und nicht selten mit dem Chef selbst. Sie liegen lasziv und leicht bekleidet auf ungemachten Betten oder auf dem Boden, Slogans wie „Una Compania rebelde“ („Ein rebellisches Unternehmen“) zieren die Plakate. Charney hat begriffen: Sex and nature sells. Er spielt seit der Gründung des Unternehmens 1997 mit beidem. Auf den Etiketten der pestizidfreien Baumwollware steht nicht Made in Taiwan, sondern Made in L.A., dem Hauptsitz der auf 6700 Mitarbeiter angewachsenen Firma. Seine Mitarbeiter, so rühmt Charney sich stets, würden mehr als den Mindestlohn von acht Dollar pro Stunde verdienen, die großteils eingewanderten Arbeiter könnten kostenlos Englisch- oder Yogakurse besuchen.
Diese Unternehmenspolitik gepaart mit ironisch-erotischen Plakaten zog (und zieht noch immer) vor allem kreative, junge Käufer an. Die offenbar immer mehr werden. Zumindest zeigen das die Zahlen. American Apparel betreibt zur Zeit 180 Geschäfte in 13 Ländern (allein 18 davon in New York City). Jüngster Standort ist Wien, wo vor wenigen Tagen der erste Shop geöffnet hat.

Mit dem Erfolg kommen, wie so oft, die Probleme. Bei Charney war das 2005, kurz nachdem ihn die Unternehmensberater „Ernst & Young“ zum „Entrepreneur of the Year“ gewählt hatten. Drei Mitarbeiterinnen verklagten ihn (zeitgleich, aber nicht zusammen) wegen sexueller Belästigung, wobei die Klagen einige Schlüsse auf das Betriebsklima zuließen. Das sei nämlich so sexuell aufgeladen, dass es unmöglich geworden sei, dort zu arbeiten, meinten die Frauen. Charney selbst gab daraufhin zu, er sei „sexsüchtig“. Er nennt sich selbst „Jewish Hustler“, Letzteres kann man mit „Zuhälter“ übersetzen. Eine seiner Kampagnen trägt die Überschrift: „Das ist Dov. Er liebt seine Angestellten. Vielleicht zu sehr.“

Seit damals folgt ein Gerücht dem anderen. So erzählt man sich, Charney würde während Interviews vor Journalistinnen masturbieren, sich an Mitarbeiterinnen vergreifen. Plötzlich wurden auch die zu Anfang so gelobten ökologisch einwandfreien Produktionsmethoden angezweifelt. Dem Erfolg der Marke hat das bis jetzt nicht geschadet. Seit dem Vorjahr notiert sie an der Börse, und auf der Homepage werden nicht weniger als 49 Adressen für weitere Store Locations angeführt. „Coming soon“ heißt es dort.

Auf einen Blick

Seit einer Woche hat das US-Label American Apparel seinen ersten Shop in Wien eröffnet (Mariahilfer Straße 22-24).

Dov Charney gründete das Label 1997, das heute der größte T-Shirt-Hersteller Amerikas ist. Der 39-jährige Kanadier ist gleichermaßen dafür bekannt, seine Fabrikarbeiter fair zu behandeln und sexuelle Freizügigkeit zu propagieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2008)

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