Geschichten aus der Asylkrise

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Der Autor und Asylrechtsberater Daniel Zipfel hat einen Roman geschrieben. Ein Gespräch über gleichgültige Beamte und den Reiz des Juristendeutsch.

„Schreiben ist, wie ein Haus zu bauen“, sagt Daniel Zipfel und nimmt einen Schluck aus seiner Espresso-Tasse. „Man nimmt zuerst Bodenproben, um zu sehen, ob er für das Fundament stark genug ist: Entwickeln die Figuren genug Tiefe? Ist die Grundidee der Geschichte tragfähig für einen Spannungsbogen über 200 Seiten? Dann beginnt man mit Skizzen und Entwürfen, die verfeinert man immer mehr. Ab einem bestimmten Punkt beginnt man, die Ziegel zu legen und sich Sätze und Formulierungen zu überlegen. Aber der Rohbau steht da schon längst.“

Nach diesem Prinzip hat Daniel Zipfel seinen ersten Roman geschrieben, der am Montag in der neuen Literaturschiene im Verlag Kremayr & Scheriau erscheint. „Eine Handvoll Rosinen“ ist nicht nur aus literarischer Sicht lesenswert: Zipfel, der seit sieben Jahren als Asylrechtsberater bei der Caritas arbeitet, hat darin seine Erfahrungen eingebaut. „Im Buch schildere ich eine historische Situation, die im Winter 2003/2004 eskaliert ist“, sagt er. In jenem Winter gab es eine Unterbringungskrise, 1800 Flüchtlinge mussten zusammengepfercht im zu kleinen Lager in Traiskirchen wohnen, die Notquartiere der Hilfsorganisationen waren voll. „Damals gab es noch keine Grundversorgung, deshalb kam es zur Massenobdachlosigkeit.“ Die Situation sei vergleichbar mit der heutigen – dass die Problematik, die Zipfel in seinem Roman schildert, noch einmal so hochaktuell sein würde, hätte er sich beim Schreiben nicht gedacht.

„Eine Handvoll Rosinen“ dreht sich um den in Traiskirchen stationierten Fremdenpolizisten Ludwig Blum, einen rechtschaffenen Mann, der den Menschen helfen will, sich dabei aber streng an die Gesetze hält. Die Betreuungskrise führt ihn dabei an seine Grenzen: Das Lager ist überfüllt, die obdachlosen Asylwerber belagern die Bahnsteige. Wer in Schubhaft kommt, entscheidet offenbar die Willkür. Hinter Blums Rücken werden seine Akten beschlagnahmt, Abschiebungen werden ohne sein Wissen angeordnet. Er beginnt, an der Rechtsordnung zu zweifeln.
Zur selben Zeit taucht der afghanische Schlepper Nejat Salarzai in seinem Leben auf. „Er ist ein literarischer Archetypus, ein Januskopf“, sagt Zipfel. „Auf der einen Seite rettet er Menschen, auf der anderen Seite kann er sie ins Verderben stürzen.“ Nejat, der aus Menschlichkeit handelt und dabei doch den Gesetzen des Schleppermarktes gehorcht, lockt Blum in eine gefährliche Zusammenarbeit. Und lehrt ihn, dass es mehrere Arten der Ordnung gibt.

Realistisch

Beide Figuren sind aus Versatzstücken real existierender Personen entstanden, sagt Zipfel. „Blum will alles richtig machen. Viele Beamte wollen alles richtig machen. Auch der Schlepper versucht, alles richtig zu machen. Das ist ja das Interessante: Dass alle versuchen, alles richtig zu machen, und trotzdem entstehen dabei menschliche Tragödien.“ Zipfel berät und betreut Flüchtlinge in ihrem Asylverfahren. Als er an seinem Roman schrieb, war er oft bei Einvernahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Traiskirchen. „Das Buch ist realistisch“, sagt er. Und verweist etwa auf die Szene, in der Blum beim Innenministerium anruft und versucht, einen Schlafplatz für einen jungen Inder zu bekommen. „Er bekommt die Antwort: Es gibt keinen Platz, irgendwer wird sich schon um ihn kümmern. So passiert es halt, und es ist nichts Böswilliges dabei, aber eben eine gewisse Gleichgültigkeit.“

Eine politische Agenda verfolgt Zipfel mit dem Roman aber nicht. „Ich sehe mich als Geschichtenerzähler“, sagt er, er will mit seinem Buch als Autor und nicht als Caritas-Mitarbeiter wahrgenommen werden. „Wobei“, räumt er ein, „meine Arbeit als Jurist mich natürlich auch als Autor beeinflusst.“ Die Arbeit mit Gesetzestexten habe seiner Sprache eine Nüchternheit gegeben, im Roman kommt das zum Ausdruck, wenn die Biografie von Asylwerbern in Form ihres Einvernahmeprotokolls erzählt wird. Die juristische Sprache sei ein Schutz für die Beamten, die jeden Tag mit menschlichen Schicksalen zu tun haben, gleichzeitig aber auch ein Schutz für die Betroffenen, meint Zipfel: „Man operiert an der offenen Erinnerung.“

Der nüchterne Zugang habe ihm auch geholfen, Klischeefallen zu vermeiden: „Bei emotional so aufgeladenen Themen gerät man leicht in Gefahr, die Dinge zu vereinfachen und in den Sozialkitsch zu kippen. Da kommt es mir zugute, dass ich acht Stunden täglich in dem Bereich arbeite.“

Handwerk

Zipfel denkt analytisch und strukturiert. Das Schreiben ist für ihn ein Handwerk, das er neben seinem Job zu festgelegten Zeiten, meist am Vormittag, betreibt. Erlernt hat er es in einer Schreibwerkstatt am Institut für Narrative Kunst. „Während meiner Gerichtspraxis hat mir ein Richter gesagt, dass ich eigentlich nicht schreiben kann und mir andere Talente suchen soll“, so Zipfel. Er musste einen Urteilsentwurf für ein Mietrechtsurteil verfassen. „Das war hinten und vorn nicht brauchbar. Aber ich muss dazusagen, dass es mich auch hinten und vorn nicht interessiert hat. Ich bin nicht gut in Dingen, die ich nicht gern mach.“

Romane schreibt er gern. Sein zweiter ist schon in Planung, es soll um die „Rolle des Flüchtlings als politisches Subjekt“ gehen und darum, dass Flüchtlinge oft als Opfer wahrgenommen werden. Wie weit er schon ist? „In der Hausbaumetapher gesprochen: Ich habe die Skizzen bei der Baubehörde eingereicht. Es ist noch zu früh, konkret darüber zu reden.“

Neu Erschienen

„Eine Handvoll Rosinen“
von Daniel Zipfel
Verlag Kremayr & Scheriau
240 Seiten
19,90 Euro

Daniel Zipfel wurde 1983 in Freiburg geboren und lebt in Wien. Er ist Teamleiter in der Asylberatung der Caritas und schreibt seit 2007 professionell Texte. Seine Erzählungen erschienen in österreichischen Literaturzeitschriften, „Eine Handvoll Rosinen“ ist sein erster Roman.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2015)

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