Alfred Šramek: "Ich will dort noch nicht hin"

Alfred Šramek
Alfred Šramek(c) imago/Viennareport
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Der österreichische Opernsänger Alfred Šramek hat vor vier Jahren seine Frau verloren und vor wenigen Monaten seine Tochter. Trotz seiner Krebserkrankung steht er regelmäßig auf der Bühne. Was ihm Kraft gibt.

Alfred Šramek: Stört es Sie, wenn wir gleich in der Kantine bleiben? Da bin ich am liebsten, die Leute sind hier nicht so g'spreizt.

Haben Sie denn sonst so viele g'spreizte Leute um sich?

Aber ja. Ich habe unter meinen Kollegen viele davon. Die werden Sie aber hier in der Kantine nicht antreffen. Das sind Pseudo-Individualisten, aber keine Künstler.

Wann ist man ein Künstler?

Ein Künstler muss sich jeden Abend auf der Bühne breittreten lassen für seine Zuschauer. Er muss weinen, lachen und sich jeden Tag aufs Neue aufgeben können. Und wenn die Vorstellung vorbei ist, muss man das Gefühl haben, dass einem schon ein bisschen etwas aus dem Herzen herausgerissen worden ist. Und trotzdem muss man sein Publikum gernhaben, auch wenn man es ja gar nicht kennt.

Haben Sie sich schon als Kind auf der Bühne so wohlgefühlt?

Als zehnjähriger Bub bin ich das erste Mal mit den Mozart-Sängerknaben auf der Bühne gestanden und habe die Hosen voll gehabt vor Angst. Nach dem zehnten Mal habe ich aber gespürt, dass ich die Zuschauer fassen, sie berühren kann. Das hat mir natürlich gefallen. In der Schule hatte ich es allerdings schwer. Weder die Lehrer noch die Schüler haben mich akzeptiert, weil sie nicht verstanden haben, dass ich statt der Rolling Stones Beethoven und Mozart höre und am Abend in der Volksoper singe.

Hat Ihre Mutter Ihr Potenzial erkannt?

Meine Mutter? Nein! Meine Mutter nicht und mein Vater auch nicht. Niemand. Meine Mutter hat oft geschimpft, weil ich so spät heimgekommen bin nach der Vorstellung. Am nächsten Tag in der Früh musste ich ja früh auf, um in die Schule zu gehen. Ich habe immer kämpfen müssen, und ich muss auch jetzt kämpfen.

Wofür oder wogegen kämpfen Sie?

Ich kämpfe gegen meine Krebserkrankung. Ich kämpfe mit dem Tod meiner Frau. Und ich kämpfe damit, dass meine Tochter Johanna vor ein paar Monaten mit 26 Jahren gestorben ist.

Das ist ja furchtbar . . .

Meine Frau ist schon vor vier Jahren gestorben. Eines Tages ist sie aufgestanden und hat auf dem rechten Auge schlecht gesehen und Kopfweh gehabt. Wir sind gleich zu den Ärzten, und die haben festgestellt, dass ihr Körper voll Metastasen ist. Sie ist gleich ins Hospiz und drei Wochen später war sie tot.

Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.

Das wusste ich damals auch nicht. Ich bin vor ihrem Bett gestanden und habe nicht fassen können, wie sie jeden Tag weniger wird. Merkwürdigerweise hat meine Frau in dieser Zeit einen unglaublichen Humor entwickelt. Dabei war sie sonst immer so reserviert. Ich habe zu ihr gesagt: „Gabi, wieso warst du nicht in den letzten 40 Jahren so wie jetzt, dann hätten wir doch eine viel größere Hetz miteinander gehabt.“

Hat sie auch über ihren nahenden Tod sprechen wollen?

Ja, wir haben über alles gesprochen. Sie war schon so neugierig auf all das, was danach kommt. Sie hat auch gesagt, welches Kostüm sie im Sarg tragen will und dass Mozart bei ihrem Begräbnis gespielt werden soll. Und es ist mir auch gelungen, das ganze Mozart-Requiem aufzuführen. Darauf bin ich heute noch stolz, auch wenn wir dabei mordsmäßig geheult haben.

Wie alt ist Ihre Frau geworden?

67 Jahre. Wir waren 39 Jahre verheiratet und haben – unfreiwillig – zwei Töchter bekommen.

Unfreiwillig?

Ich wollte nie Kinder. Meine Töchter haben mir immer vorgeworfen: „Du wolltest uns nicht!“ „Seid's nicht so deppert“, hab' ich zu ihnen gesagt. „Ich habe euch damals ja noch gar nicht gekannt.“ Und beide sind so liebe Mädchen geworden. Aber das nutzt ja jetzt nichts. (Pause) Man kann nichts machen. Die Johanna ist auf einmal tot umgefallen.

Wollen Sie darüber reden?

Ihr Herz ist einfach stehen geblieben. Das gibt es. Dabei habe ich sie noch am Tag ihres Todes mit meinem Freund Christian zu Mittag getroffen. Nachdem ich mich von ihr verabschiedet habe, sagte er zu mir: Du verabschiedest dich von deiner Tochter, als würdest du sie nie wieder sehen. Und so war es. (Pause) Ich habe immer Angst gehabt, dass ihr etwas zustoßen könnte. „Du, ich habe das Gefühl, dass die Johanna nicht alt wird“, hab ich immer zu meiner Frau gesagt.

Woher kam diese Angst?

Ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich ihr deshalb auch immer alles durchgehen lassen. Weil, sie hat ja nichts gelernt, die Gurke. Aber vor ihrem Tod war sie ganz glücklich, weil sie einen Job bei einem Bestattungsunternehmen in Stuttgart angeboten bekommen hat. Die wollten sie unbedingt haben.

Wie kommen Sie seitdem über die Runden?

Ich weiß, dass es meiner Tochter blendend geht. Ich habe schon zweimal mit ihr über ein Medium Kontakt aufgenommen. Sie hat das erlebt, was ich auch schon erlebt habe. Ich hatte nämlich eine Nahtoderfahrung, als 2008 meine Nieren total versagt haben. Da war ich auf einmal in einer Welt, für die das Wort schön nur ein lauer Abklatsch wäre. Und dort ist die Johanna jetzt mit ihrer Mutter, und beide warten schon auf mich. Aber ich will dort noch nicht hin, ich will noch leben, auch wenn ich mit meinem Krebs sehr zu kämpfen habe. Erst im Juni sind mir zwei Lungenmetastasen rausgeschnitten worden. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie solche Schmerzen gehabt wie damals.

Wie schön, dass Sie trotzdem auf der Bühne stehen und singen.

Ja, das Singen geht tadellos. Singen geht immer. Das ist kein Problem. Die Oper hält mich aufrecht. Ich komme immer in die Kantine, selbst wenn ich am Abend gar keine Vorstellung habe. Dann sprech' ich ein bisschen mit den Burschen hier, führ' Schmäh und fahre wieder heim nach Mistelbach. Ich brauch das. Ich kann ja nicht immer meine ältere Tochter fragen, ob sie kommt. (Pause) Wissen Sie, das Alleinsein macht mir ja nichts. Aber manchmal bin ich einsam. Das ist schwer.

Allein oder einsam sein, was ist der Unterschied?

Ich kann mich auch unter Menschen sehr einsam fühlen. Gerade da, wenn alles lebt und rauscht um dich herum, und für einen selbst ist alles anders.

Was tun Sie, wenn Sie sich einsam fühlen?

Das klingt jetzt sicher ganz deppert: Ich habe eine Traktorensammlung, insgesamt sind es fünf. Auf der Tullner Landwirtschaftsmesse habe ich mir jetzt einen schönen neuen roten Traktor gekauft mit Radio, Aircondition, Heizung. Mit dem fahre ich spazieren, wenn es mir schlecht geht. Bei uns in Mistelbach ist es ja sehr schön. Ich wohne im Paradies, aber ich kann es mit niemandem teilen. Ja, und dann gibt es noch den Hund. Ein entzückendes Viech, das ich da am Hals habe. Der braucht sehr viel Aufmerksamkeit.

Wie geht es Ihnen derzeit gesundheitlich?

Morgen ist der Tag des Herren, da komme ich wieder in die Röhre, um zu sehen, ob noch Metastasen vorhanden sind.

Haben Sie Angst?

Ja, dass mich wer überfällt in meinem Haus in der Nacht und ich nichts bemerke. Und ich habe Angst, dass der Hund stirbt, weil, der würde mir wirklich abgehen. Er ist schon elf Jahre alt, aber Gott sei Dank noch ganz fit.

Ich bewundere Sie. Sie fürchten den Einbrecher in der Nacht mehr als einen bedrohlichen Befund.

Sicher! Gegen den Krebs kann ich ja etwas tun. Aber wenn ich schlafe und mir jemand den Schädel einschlägt, kann ich mich nicht einmal wehren.

Für mich wäre es trotzdem sehr belastend, nie zu wissen, ob die Krebserkrankung wieder zurückkommt.

Sie sehen das viel dramatischerals es ist. Was soll passieren? Mir ist klar, was nachher kommt. Nach meinem Nahtoderlebnis weiß ich, dass es Klacks macht und man weg ist. Die Scherereien haben die anderen. Für mich ist alles wunderbar. (Pause) Am schönsten wäre es, wenn ich auf der Bühne umfallen würde. Oder doch lieber nach der Vorstellung; vorher noch ein bisschen etwas gemeinsam trinken und dann . . . Wie Fritz Muliar, der hat das hervorragend gemacht.

Steckbrief

1951
wurde Alfred Šramek in Mistelbach in Niederösterreich geboren. Ab seinem zehnten Lebensjahr sang er bei den Mozart-Sängerknaben. Im Alter von 23 Jahren wurde der Bariton an die Wiener Staatsoper geholt, wo er kürzlich sein 40-Jahre-Bühnenjubiläum feierte.

Kammersänger Šramek war und ist in allen bekannten Bariton und Bassbaritonrollen an der Wiener Staatsoper zu sehen, unter anderem als Figaro in „Le nozze di Figaro“, Leporello in „Don Giovanni“, Pistola in „Falstaff“, Don Alfonso in „Così fan tutte“.

Zahlreiche Gastspiele führten ihn u. a. zu den Salzburger und Bregenzer Festspielen. Darüber hinaus trat er an der Wiener Volksoper auf und gastierte regelmäßig in Spanien, Deutschland und den USA.

Darf man fragen ...

... ob Sie gern in Mistelbach leben?
Ja, wir haben es ja so schön dort. Ich genieße meinen großen Garten. Aber Mistelbach ist auch ein Kuhdorf. Als meine Tochter gestorben ist, sind auf einmal die merkwürdigsten Gerüchte herumgegangen. Die habe ich dann bei ihrem Begräbnis aus der Welt geschafft, indem ich selbst die Predigt gehalten und gesagt habe, wie es wirklich war. Ich will nicht, dass jemand blöd umanand'redet.

... ob Ihnen jemals langweilig ist?
Nein, fad wird mir nie, weil ich sehr begeistert fernsehen kann. Und ich weiß schon jetzt, welche Vorstellungen ich bis Juni habe. Dann habe ich drei Monate Urlaub, das gibt mir Berge. Da fahr ich mit meinem Traktor und helfe meinem Bauern Getreide transportieren. Das macht mir einen irrsinnigen Spaß. Und ich habe mir jetzt einen tollen Computer und einen riesigen Bildschirm gekauft. Jetzt kann ich Flüge und Eisenbahnfahrten simulieren. Darauf freu ich mich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2016)

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