Zeigt her eure Füße

Barfuß in Cannes. Julia Roberts zeigt, was sie von der angeblichen Regel hält, dass Frauen auf dem roten Teppich High Heels tragen sollen. Sie zog ihre aus.
Barfuß in Cannes. Julia Roberts zeigt, was sie von der angeblichen Regel hält, dass Frauen auf dem roten Teppich High Heels tragen sollen. Sie zog ihre aus.(c) REUTERS (JEAN-PAUL PELISSIER)
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Selten haben sich Dresscodes so sehr verändert wie gerade eben. High Heels auf dem roten Teppich oder im Büro sollten ebenso wenig Pflicht sein wie Krawatten.

Ein Hollywood-Superstar bloßfüßig auf einem der edelsten roten Teppiche des Filmgeschäfts und eine britische Angestellte, die ihr Recht auf flaches Schuhwerk am Arbeitsplatz vor dem Parlament durchsetzen will: Es tut sich einiges in Sachen Dresscodes – und nach den Männern, die bereits vor Jahren damit angefangen haben, Weltkonzerne in Rollkragenpullovern oder Kaputzenpullis zu führen, wollen nun offenbar auch die Frauen mit ihnen Schritt halten. Im Wortsinn.

So beschloss die 27-jährige Britin Nicola Thorp Mitte Mai, es nicht mehr hinzunehmen, dass sie an ihrem ersten Arbeitstag als Leiharbeitskraft an der Rezeption von Price Waterhouse Coopers in London umgehend wieder heimgeschickt wurde, weil sie die Kleidervorschriften der Agentur nicht erfüllte. Diese hat vorgeschrieben, dass Frauen hohes Schuhwerk zu tragen haben, was Thorp nicht nur als unbequem, sondern auch sexistisch empfunden hat, wie sie gegenüber der BBC erklärt hat. Also hat sie eine Petition für ein Verbot von Vorschriften gestartet, die Frauen zum Tragen hoher Schuhe am Arbeitsplatz zwingen. 100.000 Unterschriften sind für eine entsprechende Anhörung im Parlament nötig; die Tatsache, dass Thorp innerhalb eines Tages über 140.000 gesammelt hat, zeigt, welchen Nerv das Thema getroffen hat.

Erste Anzeichen dafür hatte es im Vorjahr schon gegeben, als sich Prominente in Cannes darüber empört hatten, dass angeblich zwei Frauen der Zugang zum roten Teppich verwehrt worden war, weil sie die geforderten Stückelschuhe nicht vorweisen konnten. Ein Vorwurf, den die Festivaldirektion zwar später auf Twitter dementierte, was dem entsprechenden Dresscode allerdings auch heuer keinen Abbruch tat. Und Schauspielerin Julia Roberts im Mai bei der Premiere ihres neuen Films „Money Monster“ dazu veranlasste, sich mitten auf dem roten Teppich ihrer High Heels zu entledigen und den Rest ihres Wegs fröhlich lächelnd barfuß zurückzulegen. Sie bekam dafür jede Menge Lobpreisungen.


Von China bis Hollywood. Ganz neu ist das Konzept, Frauen durch unbequemes Schuhwerk zum schönen, aber auch langsameren Geschlecht zu machen, bekanntlich nicht: „Das berühmteste Volkslied in China heißt immer noch ,Das Mädchen mit den kleinen Füßen‘“, erinnert Gerhard Fröhlich, Professor an der Johannes-Kepler-Universität in Linz und Sprecher der Sektion Kulturtheorie und Kulturforschung der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie. „Die Verkrüppelung, die damit einherging, war damals völlig egal.“ Auch wenn die Kleidervorschriften von heute nicht mit der Brutalität der chinesischen Tradition des Füßebindens vergleichbar sind, warnen Orthopäden doch in schöner Regelmäßigkeit vor den Deformationen, die durch das langjährige Tragen von hohen Absätzen ausgelöst werden; und Frauen, die ernsthaft behaupten, dass sich die schönen Schuhe schmerzfrei tragen lassen, sind selten.

Umstände, die sich eine wachsende Zahl von Frauen zumindest dienstlich nicht mehr vorschreiben lassen will. „Natürlich gibt es Frauen, die einfach gern hohe Schuhe tragen“, sagt Unternehmenspsychologin Natalia Ölsböck, „aber es ist ein großer Unterschied, ob ich es tue, weil ich mich damit gut fühle, oder weil ich es muss.“ Und der Unmut über bestehende Dresscodes ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen: Begonnen hat es mit den Casual Fridays – heute oft nur mehr eine lustige Erinnerung an die Neunzigerjahre – ehe Unternehmer von Apple-Gründer Steve Jobs bis Facebook-Manager Marc Zuckerberg vorgelebt haben, dass sich Weltkonzerne auch ohne Anzug führen lassen. Ein Vorbild, das schnell Schule gemacht hat – „schließlich ist der Mensch das nachahmungswilligste aller Tiere“, so Fröhlich – und inzwischen außerhalb von Banken, Beratungsunternehmen und Rechtsanwaltskanzleien das Tragen von Jeans und T-Shirts etabliert hat.

Das dokumentiert auch einen Wandel in der Gesellschaft: „Generell ist Kleidung immer ein Ausdruck von Kultur und Gesellschaft, und wenn die Menschen ihre Einstellungen verändern, sieht man das auch in der Mode“, erklärt Ölsböck. „Das hat sich schon mit dem Trend Normcore (das Tragen unauffälliger Unisexmode, Anm.) abgezeichnet, mit dem man nicht mehr schrill sein oder auffallen wollte, und setzt sich jetzt fort“, so Ölsböck. Die Leute haben die Nase voll von Bürokratie und Regeln, die keinen Sinn haben, erklärt die Psychologin, „sie wollen sich nicht entmündigen lassen, sondern authentisch sein und sich nicht vorschreiben lassen, was sie anziehen sollen.“


Das Ende des Krawattenzwangs. Wie sensibel international auf solche Vorschriften reagiert wird, zumal dann, wenn dabei Unterschiede zwischen den Geschlechtern sichtbar werden, hat kürzlich die „New York Times“ in einem Essay zum „Ende der Bürodresscodes“ dokumentiert. „Da hat es in jüngster Zeit wirklich dramatische Veränderungen gegeben“, wird Susan Scafidi, Jus-Professorin an der Fordham University und Gründerin des Fashion Law Institut zitiert. Ein gutes Beispiel dafür seien die neuen Richtlinien, die die Kommission für Menschenrechte von New York City Ende vergangenen Jahres veröffentlicht hat: Darin sind ausdrücklich sämtliche Vorschriften zu Kleidung, Uniformen und Körperpflege verboten, die geschlechtsbasiert sind – was einen Krawattenzwang ebenso obsolet macht wie Vorschriften bezüglich der Absatzhöhe und Rocklänge. „Womit die Kleidung nun vielmehr der Interpretation des Individuums unterliegt als der der Institution“, so Scafidi.


Flache Schuhe erlaubt. Und auch Nicola Thorp könnte jetzt in bequemem Schuhwerk an den Ort zurückkehren, der ihr noch letztes Monat verschlossen blieb. Nach dem öffentlichen Druck hat ihre Zeitarbeitsfirma sich beeilt, ihre Vorschriften geschlechtsspezifisch anzupassen: Frauen dürfen ab sofort in flachen Schuhen zur Arbeit kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2016)

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